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Im Grunde genommen sind wir auch nur eine bessere Art von PCDoktor. Wo immer sich ein Rechner unpässlich fühlt, rücken wir aus. Nein, besser, wir sind Fachärzte für PC-Gerontologie, schließlich muss die Datacorp immer dann ran, wenn die Alten und Lahmen Ärger machen. Von denen gibt es auf der Welt gottlob genug, wir brauchen uns keine Sorgen um unseren Job zu machen. Der Schrott wird sogar ständig mehr. Auf jeden neuen Rechner kommt ein alter, der weiterschuften muss. Never change a running system. Bei wirklich wichtigen Sachen vertrauen die Leute eben doch lieber Computern, die nicht alle zwei Tage ein Servicepack brauchen und trotzdem nicht abrauchen. Der Digitalschrott ist überall. Letztens zum Beispiel hat die US-Luftwaffe neue Simulatoren für ihre Bomberpiloten beschafft, da musste alles ganz schnell gehen. Warum? Weil die alten Programme auf einem PDP-11 liefen - ein Rechner so groß wie ein Schrank aus der Zeit, als Hans Rosenthal noch die Mattscheibe regierte. Oder das Space Shuttle: In der Kiste arbeitet ein Uralt-Chip mit 4,77Megahertz, der bei eBay nicht viel mehr kostet als das Porto, weshalb ihn die Nasa auch genau da einkauft, wenn sie Ersatz braucht. Und als Arnie Schwarzenegger seinen Angestellten in Kalifornien letztens einen Mindestlohn spendieren wollte, musste er sie erstmal mit einem »I'll be back« vertrösten: Das Programm für die Lohnbuchhaltung war noch in Cobol programmiert, und in der ganzen Verwaltung gab es niemanden, der den Code verstand oder ihn hätte verändern können. Gerade der Deutsche liebt den antiken Rechner. In all diesen kleinen Familienfirmen im Sauerland, Westerwald oder weiß Gott wo stehen noch reihenweise Relikte herum. Es gibt halt nicht nur altdeutschen Apfelkuchen, sondern auch altdeutsche EDV. Letztens musste Nick ausrücken, zu einer Fabrik irgendwo im nirgendwo, die Nylonfäden herstellt. Warum? Ein Gerät, das die Fadendicke überprüfen sollte, lief nicht mehr. Es wurde von einem Commodore 64 gesteuert. David Pogue von der Times hat es mal gut auf den Punkt gebracht: »In Technoland nothing ever replaces anything.«
In der Computerwelt ersetzt ein neues Gerät niemals komplett das alte; in irgendwelchen Winkeln laufen die altvorderen Maschinen treu weiter, so lange, bis es keine Ersatzteile mehr gibt oder die Menschen gestorben sind, die sie bedienen können. Nick nennt das die »Rom-Theorie«: Alles Neue steht immer auf den Ruinen von was Altem, wie in Rom eben. Und wenn sich der Neubau nicht lohnt, werden halt die Trümmer saniert. Wow, Bomber, Banken und Space Shuttles, die in letzter Sekunde vom Indiana Jones des Infozeitalters gerettet werden - was für ein cooler Job! Theoretisch. Und was Nick angeht, stimmt das sogar ein bisschen. Ihn haben sie zum Beispiel echt im Privatjet zum B-52-Trainingszentrum gekarrt, um da die Simulatoren zu sichten. Diese Luxusbehandlung gab es für mich nur einmal, und zwar bei unserem ersten Einsatz in Russland. Dabei war die ganze Hektik völlig überflüssig: Letztendlich mussten wir nichts tun, als neben den Profis aus Amiland zu stehen und ihnen das Handbuch eines alten DDR-Rechners ins Englische zu übersetzen. Danach hat wohl jemand bei der Datacorp seinen Bleistift gespitzt und ausgerechnet, dass es etwas unwirtschaftlich ist, einen nutzlosen deutschen Slacker mit IT-Halbwissen im Privatjet um die halbe Welt zu kutschieren. Seitdem haben sie mich zum Data Retrieval Specialist runtergestuft, so steht es zumindest auf meiner Visitenkarte. Mutter habe ich erklärt, dass das »so eine Art von Computerarchäologe« sei, was sie natürlich nicht verstanden hat. Ganz anders Nick, der ist richtig auf dem Karriere-Trip. Er darf sich laut seiner Karte als Legacy Systems Consultant bezeichnen und in seiner Funktion als »Ell-Ess-Ciiieeeh«, wie er es abkürzt, auf Big Business machen: mit Andie in der Hon-Lounge am Flughafen abhängen, kostenlos Milchkaffee schlürfen und mit den Datacorp-Bossen konferieren. Hat sie zumindest mal erwähnt, wenn auch nur im Nebensatz, denn Andie hat Taktgefühl Mein Job ist also das Data Retrieval. Klingt toll, bedeutet aber nichts anderes, als aus alten Rechnern die Daten rauszufrickeln - sie von Festplatte, Diskette oder vom Bandlaufwerk runterzuziehen und in ein modernes System rüberzukopieren. Auftrag Datenmigration, wie es in der Anweisung von oben immer heißt. Dabei könnte das kein schlechter Job sein, sogar ziemlich interessant, zum Beispiel wenn man einen Altair 8800, Apple Lisa oder NeXT Cube unters Messer kriegt - Rechner, die Geschichte geschrieben haben. Doch bei mir landen nur Rechner, auf denen Geschichtchen geschrieben wurden. Jedes Mal, wenn der DHL-Mann wieder einen mittelgroßen Karton rüberreicht, ist völlig klar, was drinsteckt. ein stinkender Tandy Radio Shack 80, Modell 100. Oder, um in den Worten von Major Tom zu sprechen: »Kee, du bis mein Tandy-Dandy!«
Obwohl die Kiste grottenhässlich ist, war sie ein totaler Hit: Seit Anfang der Achtziger wurde das Teiltausendfach verkauft, und bis heute gibt es noch irgendwelche Irren, die dem TRS-80 die Stange halten und auf der Kiste ihre Kochrezepte tippen oder so. Ehrliche Menschen nennen ihn Trash-80, eben weil er aussieht wie ein Haufen Müll aus den Achtzigern, und da ist was dran: Der Rechner ist von einer billigen beigen Plastikhaut überzogen, die selbst neu aussieht, als wäre sie schon Jahre alt. Er ist genauso groß wie ein Telefonbuch und lässt sich weder auf-noch umklappen oder sonst wie größer machen. Oben steckt ein Schwarz-Weiß-Display drin, auf das acht Zeilen mit jeweils vierzig Buchstaben passen und das man - dank einem Kontrastverhältnis von ungefähr 1: 2 - nur bei grellstem Sonnenschein erkennen kann. Immerhin taugt die Tastatur was: Ihre schweren braunen Tasten klappern beim Tippen schön laut, ganz anders als die modernen Keyboards mit ihrem diskreten Klicken. Damit man mit dem Tandy auch was anfangen kann, haben ihm seine Erbauer ein erträgliches Textverarbeitungsprogramm spendiert; ein gewisser Bill Gates hat das übrigens noch persönlich geschrieben. Ein wirklich cooles Feature hat die Kiste allerdings, das muss man zugeben: das Batteriefach auf der Rückseite, wie bei einem billigen Hongkong-Spielzeug. Da kann man vier Walkman-Batterien reinstecken, und dann läuft die Kiste auch ohne Kabel. Apropos: Sagt heute jemand noch Walkman-Batterien? Und wenn nicht, wie heißen die dann? Jedenfalls kann man mit einem Satz Batterien fast einen ganzen Tag und eine ganze Nacht durcharbeiten. Eine Ausdauer, die selbst moderne Kisten nicht bringen. Weil der Tandy so wenig Strom nippt, hat die Nasa den gleichen Prozessor auch in ihren Mars-Rover gesteckt. Auf der Erde fuhren Walfisch-Forscher, Reporter und IT-Schrate jeder Art auf den Tandy ab. Und die wollen jetzt ihre Memoiren aus der Mottenkiste rausgezogen haben. Tadaaa! An dieser Stelle tritt der brutalst überbezahlte Data Retrieval Specialist auf den Plan und krempelt sein Brooks-Brothers-Hemd hoch. Das heißt, so richtig hochkrempeln muss er die Ärmel nicht mehr. Nach gefühlten 175Tandys kann ich die Dinger im Schlaf auslesen: einfach hinten dieses Kästchen dranstecken, das so tut, als ob es ein externes Diskettenlaufwerk ist, warten, bis das Wunderding alle Daten abgesaugt und auf einen normalen Speicherchip gepackt hat. Fertig. So simpel, dass es schon fast peinlich ist. Jedes Mal frage ich mich, warum sich die Datacorp nicht einfach selbst für 100 Dollar so ein Auslesegerät bestellt hat. Was am Schluss so aus dem digitalen Orkus auftaucht, lese ich mir schon lange nicht mehr durch. Ein Großteil gehört ohnehin in den I-always-loved-you-darling-Schmalz-Ordner, weil es meist irgendwelche Enkel sind, die Opas alten Rechner zu uns einschicken. Nur letzte Woche, da war mal wieder ein echtes Highlight dabei: In dem Tandy, den die Datacorp rübergeschoben hat, steckten die Lebenserinnerungen eines Silicon-Valley-Pioniers. Wirklich pures Gold. Am besten war eine Story, die der Typ aus seiner Studi-Zeit aufgeschrieben hat. 1971oder 1972 muss das gewesen sein. In Stanford hatten sie damals wohl gerade ihren ersten Arpanet-Anschluss gekriegt, und die Studis überlegten sich nun, wie sie die neue Technologie nutzbringend einsetzen konnten. Das waren die Siebziger. und die Antwort hatte man schnell gefunden: Dope. Per Mail kontaktierten die Informatiker ein paar Kollegen am MIT, also am anderen Ende des Landes, und machten aus, sich gegenseitig einen fetten Batzen Marihuana zu schicken. Da wurde der E-Commerce geboren! Steht in den Geschichtsbüchern komischerweise nicht drin. Solche Perlen sind aber leider selten; die meisten geretteten Dateien enthalten wie gesagt die Memoiren von Herren, die alt, aber nicht weise geworden sind. Anders als Nickybaby muss der Data Retrieval Specialist natürlich auch keine Dienstreisen machen. Die Kisten kommen immer per Kurier. Paket auf, Daten auslesen und hochladen - schon ist das Gehalt verdient. Umso seltsamer, dass mich Major Tom heute persönlich sehen will.