#25 T-3: 21:44
Komm schon: Gib doch zu, dass du es brauchst, du Stück! Du brauchst mal wieder ein ordentliches Gerät! Eine geschlagene Stunde friemelt Nick jetzt schon am Autoradio rum. Erst mal hat er alle Sender auf Mittelwelle durchgescannt - mit dem üblichen Ergebnis: Entweder kreischen irgendwelche konservativen Moderatoren rum, weil sie stört, dass man die Penner nicht auf der Straße verrecken lässt, oder es dudelt mexikanische Musik, die wie der Soundtrack zu einem Hütchenspiel klingt. Nach der Mittelwelle hat sich der Beifahrer die UKW-Frequenzen vorgeknöpft, wo es außer Country-Sendern auch nichts zu holen gab. Als Nächstes probierte der Herr sämtliche Equalizer-Einstellungen durch.
»Cool, wir hören jetzt alles nur noch mit dem TALK-Preset, da klingt selbst UKW wie Mittelwelle.«
Ja, supercool, Nick. Danach wurde die Uhr eingestellt, jetzt ist er beim Fader angekommen. Seit zehn Minuten lässt Nick das Country-Gedudel durch unser Boot wandern: Erst fiedelt es ganz hinten auf der Rückbank, dann pirscht sich der Sänger langsam an die Windschutzscheibe ran und jammert über »Bin Laden«, was sich bei ihm doch tatsächlich auf »forgotten« reimt. Nach dem Refrain marschiert das Gesülze wieder zurück Richtung Kofferraum. Zehn Minuten lang! Ich halt's nicht mehr aus.
»Alter?«
Nick reißt seine Hand vom Radio weg und tut so, als wäre er nicht da.
»Ja?«
»Kann es sein, dass du elektronischen Entzug hast?«
»Was meinst du?«
Noch mehr Unschuldsmiene.
»Na, dass du Gadget-Turkey schiebst, dass du dringend ein Gerät zum Rumspielen brauchst.«
Nick deutet einen Kinderschmollmund an, aber nur eine Sekunde lang, dann quillt es aus ihm raus.
»Und ob! Bitte, lass uns bei der nächsten Tanke rausfahren. Nur irgendwas mit Strom.«
Seine Finger klimpern auf einer Tastatur aus Luft rum.
»Wie wär's denn mit 'nem CB -Funkgerät, das wär doch geil.«
Er hält sich ein imaginäres Mikro vor den Mund.
»Schschschscht. This is Rubber Duck.«
Natürlich eine Anspielung auf »Convoy« mit Kristoffersen und Borgnine, ganz großer Streifen.
»Du vergisst, dass wir keine Spuren hinterlassen dürfen«, sage ich, wie ein braver Schüler, der sich freut, mal den Lehrer korrigieren zu dürfen. Der Beifahrer legt wieder eine Schmollsekunde ein, kann sich von seiner CB-Vision trotzdem nicht ganz losreißen.
»Schschscht. Breaker, breaker, I need a bear check, over! «, krakelt er ins eingebildete Mikro. Diesen Code benutzen Trucker, wenn sie von ihren Kollegen wissen wollen, ob jemand einen »Bären«, also einen Polizisten, auf der Strecke gesichtet hat. Wo wir gerade langzuckeln, sind allerdings die Chancen größer, einen echten Bären zu treffen. Seit dem Frühstück geht es weiter nach Norden, immer an der Kante der Rockies entlang. Eine seltsame Landschaft, fast wie aus dem Computerspiel: Auf meiner Seite des Autos stapeln sich die Dreitausender bis zur Oberkante des Fensters - ein Meer dunkler Fichten mit Inseln aus schroffem Fels und Schnee. Auf Nicks Seite, wo die Morgensonne langsam hochkriecht, gibt es nichts zu sehen als eine platte beige Ebene, die theoretisch bis Chicago reicht. So 'ne binäre Kulisse gibt's bei uns nicht. Wenn man in Europa auf die Alpen zufährt, dann merkt man ja kaum was davon: Da kommen erst die VorVoralpen, gefolgt von den Voralpen und irgendwann steht man vorm Gotthard. Die guten Menschen von Amerika sind natürlich schon aufgestanden. In den Vorgärten der Farmhäuser, allesamt so groß wie ein Fußballplatz, laufen die Rasensprenger auf Hochtouren; im Gegenlicht sehen die Fontänen aus wie Goldregen an Silvester. Ganz klar die schönste Zeit auf der Straße. In einer Garageneinfahrt steigt ein kleiner Junge gerade zu seinem Vater aufs Quad. Beide tragen Tarnwesten und Gummihosen - wohl der Start eines Angelausflugs. Zoom. Wir zischen an einem Opa vorbei, der mit einem langen Piekser in der Hand den Seitenstreifen entlangspaziert und Müll aufsammelt. Er hat wohl die Meile des Highways adoptiert, für sich oder einen seiner Kameraden, der in Korea geblieben ist. Schöne Idee. Ich schaue zu Nick rüber. Er stiert über den Rand seines längst eiskalten Tankenkaffees hinweg ins Nichts. Wohin wir fahren, lässt er sich nach wie vor nicht aus der Nase ziehen. Er hält sich strikt an das CIA-Prinzip need to know: Der Kollege erfährt immer nur genau so viel, wie er für seinen nächsten Schritt wissen muss - nicht mehr und nicht weniger. Nachfragen gehört sich nicht. Sobald wir an eine Kreuzung kommen - was auf diesen Sträßchen alle paar Meter passiert -, schielt er kurz auf seine Karte, die er heute Morgen zusammen mit dem Kaffee gekauft hat, und zeigt dann in eine beliebige Himmelsrichtung.
»Noch 'n guten Tag« würden wir noch brauchen, mehr verriet er nicht. Unser Ziel liegt also im nördlichen Wyoming oder in Montana, vermutlich kennt er die Location noch von seinem letzten Abenteuer im Atombunker. Außer nuklearen Relikten gibt's da oben nämlich nicht viel, nur ein paar Missile Alert Facilities, wo eine Legion armer Schweine immer noch rund um die Uhr mit der Hand am roten Knopf sitzen muss. Wer da oben wohl einen IBM einundfünfzig-zehn im Keller hat? Vielleicht so ein durchgeknallter Waldschrat. Den Bundesstaat Montana kennt der Rest von Amiland ja nur als die Heimat des Unabombers, eines durchgeknallten Inlands-Terroristen. Kaczynski hieß der Typ, war zunächst ein unauffälliger Matheprofessor. Irgendwann sind ihm die Sicherungen durchgebrannt und er fing an, in einer Hütte im finsteren Wald Bomben zu basteln. Er wollte die Welt von aller Technologie befreien oder so. Drei Leute mussten sterben, Mitte der Neunziger hat das FBI ihn gekriegt. Zu so einem Typen würde es natürlich passen, dass er seine Manifeste auf einem Computer von 1978 tippt.
»Komm schon - nur das Funkgerät?«, bettelt Nick und faltet die Hände. Ich muss lachen. Dann legt sich wieder Stille über unser Boot. Nein, so sehr wir uns auch anstrengen: Das entspannte Cruisen will sich nicht richtig einstellen. Wie sollte es auch, wenn jeder ständig klammheimlich in den Rückspiegel guckt, um zu checken, ob wieder irgendein Hubschrauber zum Sturzangriff ansetzt? Unser heiliges Tape hat Nick heute Morgen beim Einsteigen als Allererstes ins gekühlte Handschuhfach gelegt, und zwar so vorsichtig, als sei es ein Faberge-Ei. Bloß nicht irgendwo anstoßen, das könnte die wertvollen magnetisierten Metallatome auf dem Band stören, die - zumindest in meinem Kopf - wie Dominosteine im Wind wackeln. Ob wir wohl schon Stoff für eine Story auf CNN sind? Sehe schon das Laufband unten am Bildrand: GERMAN TERROR SUSPECTS IN CROSS COUNTRY CHASE. Die von CNN finden bestimmt irgend'nen Dreh, um uns zu Feinden des Homeland hochzustilisieren. Auf der anderen Seite: Wen interessiert's, was die senden? Okay, zu Zeiten des ersten Golfkriegs, von Bush Senior oder O.J. Simpson war CNN noch relevant. Aber heute läuft da allenfalls Promi-Klatsch. Das Bewusstsein der Welt ist schon lange ins Netz abgewandert.