#24 T-4: 02:22

Die rote Anzeige des Radioweckers glimmt vor sich hin.

3:34

Die Zahlen sind, wie sich das gehört, aus guten alten SiebenSegment -Leuchtdioden zusammengebaut. Mensch, das war einer der vielen Momente, in denen mir klar wurde, dass ich niemals mit Nick würde schritthalten können: als er an einem Nachmittag mal hoppla-hopp genau so eine Anzeige zusammengelötet hat, aus Dingen wie einem »astabilen Multivibrator« - das Wort ist natürlich nur deshalb hängen geblieben, weil es »Vibrator« enthielt und wir als Dreizehnjährige dazu einige ungelenke Zweideutigkeiten absondern mussten.

3:34

Super, mal wieder richtig ausgeschlafen, wie immer in der ersten Nacht in den Staaten. Wenn es hier halb vier nachts ist, denkt der europäische Körper, es sei höchste Eisenbahn, endlich vom Mittagsschlaf aufzustehen. Habe ich überhaupt geschlafen? Nicks Bett quietscht, vielleicht ist er schon empfangsbereit.

»Alter?«

Wieder nur Lakenrascheln. Wahrscheinlich quält er sich gerade durch einen dieser horrormäßigen Jetlag-Träume, in denen alle Menschen immer zerfetzt werden oder verbrennen. Er pennt wie üblich im rechten Bett, weil das maximal weit weg von der Klimaanlage steht, in deren gewaltigem Luftstrom er sonst einen steifen Hals kriegt, wie er behauptet. Schade, dass er schläft, dabei hätte ich so 'nen guten Eröffnungszug fürs Auto-Ausfüllen: Bitte ergänzen Sie diese Liedzeile: »Why does it hurt ... «

Vermutlich würde er den Rest der Zeile - »when my heart misses a beat« - nur so rausballern. Den Satz sagt die Frau am Anfang von »Dr. Mabuse«.

Achtung: Bitte an dieser Stelle eine Pflichtzote einfügen, schließlich kommt in »Mabuse« ein Stück von »Busen« vor. Jaja, die geistige Armut männlicher Heranwachsender kann gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Propaganda hieß die Kapelle und kam aus Düsseldorf, was einen auf eine diffuse Art stolz machte. Im Grunde genommen ist es aber bedeutungslos, ob man die erste Zeile des Hits noch kennt oder nicht, genauer gesagt, es ist scheißegal. Denn fürs Unesco-Weltkulturerbe reicht der Kram ohnehin nicht. Als wir uns die Propaganda-CD letztens aus Spaß nochmal reingetan haben, konnten wir den Synthiebrei keinen Song lang aushalten. Er war einfach nur schlecht. Komisch ist, dass die Nostalgier trotzdem nicht nachlässt. Kaum hat man gemerkt, dass ein Kindheits-Hit im Licht der Gegenwart von Schrott zerfällt, schwärmt man schon vom nächsten - der unterm Reality Check genauso zerbröseln würde. Es ist wie mit den alten Games, die wir immer rauskramen. Selbst das von uns so verehrte Impossible Mission schrumpft »am Ende des Tages« - wie es der Nickmeister ausdrücken würde - auf zwei Dinge zusammen. Jump und Run. Plus ein Puzzlespiel, das kein Mitglied der menschlichen Rasse jemals interessiert hat. Deshalb zockt es sich heute so zäh. Das Spiel ist zwar dasselbe. nur der Mensch am Joystick nicht. Sind meine Augen überhaupt schon auf? Es ist so dunkel. und so ruhig. Die Klimaanlage kann völlig ungestört vor sich hinbrummen, nicht mal ein Trucker, der möglichst früh auf dem Bock sitzen will, lässt seinen Kenworth einen Meter vor dem Motelzimmer warmlaufen. Hat die Null-Sterne-Absteige doch noch ihre Vorteile. In zwei Stunden geht unsere elektronische Schleichfahrt also weiter. Vielleicht sollten wir eine falsche Fährte legen, um unsere Verfolger abzuschütteln. Wir könnten zum Beispiel an der Tanke mein Telefon anschalten und es bei irgendeinem fremden Pick-up auf der Ladefläche deponieren. Dann würden die Bluthunde von der Datacorp hinter dem herhetzen. Klingt zu einfach. Vermutlich würde der Beifahrer diese Idee in einer Nanosekunde zerlegen und mich als totalen Kindergarten-Agenten entlarven. Warum muss er immer recht haben? Warum muss er überhaupt immer alles haben? Wenn er wenigstens ein Angeber wäre, dann könnte man ihn einfach hassen. Aber nein, er muss ja so wahnsinnig gut und bescheiden sein - und kriegt trotzdem alles. Keine Frage: Nick hat die Dinge im Griff, oder zumindest tut er so, als hätte er sie im Griff, auch jetzt, auf unserer Dienstreise.

»Ist doch alles glattgegangen mit dem Hubschrauber«, würde er sagen, wenn ich ihn drauf anspreche. Ja, alles ganz easy, nur ein bisschen Flug-Nerdwissen ausspielen, und schon müssen die Bösen abdrehen. Aber glaubt er wirklich, dass die Sache hier gut ausgeht jetzt, wo es keinen John mehr gibt, der uns den Rücken frei hält? Shaun und die anderen hungrigen Karrieristen in der Company werden doch über Leichen gehen, um das Tape in die Hände zu kriegen. Und selbst wenn wir die Sache durchstehen: Wie geht es danach weiter, im Leben nach der Datacorp? Vielleicht fällt dann ja ein Krümel von seinem Glückskeks für mich ab, wäre echt höchste Zeit. Es würde völlig reichen, wenn mal eine Frau hinter der Schiebetür am Flughafen auf mich wartet. Sie muss kein Schild mit »Kee« drauf hochhalten, ein Blumenstrauß reicht. Das wär's. Nick raschelt weiter. Gute Nacht, John-Boy. Du weißt doch, Alter, dass ich's dir in Wirklichkeit gönne.

Extraleben - Trilogie
titlepage.xhtml
1Extraleben01.xhtml
1Extraleben02.html
1Extraleben03.html
1Extraleben04.html
1Extraleben05.html
1Extraleben06.html
1Extraleben07.html
1Extraleben08.html
1Extraleben09.html
1Extraleben10.html
1Extraleben11.html
1Extraleben12.html
1Extraleben13.html
1Extraleben14.html
1Extraleben15.html
1Extraleben16.html
1Extraleben17.html
1Extraleben18.html
1Extraleben19.html
1Extraleben20.html
1Extraleben21.html
1Extraleben22.html
1Extraleben23.html
1Extraleben24.html
1Extraleben25.html
1Extraleben26.html
1Extraleben27.html
1Extraleben28.html
1Extraleben29.html
1Extraleben30.html
1Extraleben31.html
1Extraleben32.html
1Extraleben33.html
1Extraleben34.html
1Extraleben35.html
1Extraleben36.html
1Extraleben37.html
1Extraleben38.html
1Extraleben39.html
1Extraleben40.html
2DerBug01.xhtml
2DerBug02.html
2DerBug03.html
2DerBug04.html
2DerBug05.html
2DerBug06.html
2DerBug07.html
2DerBug08.html
2DerBug09.html
2DerBug10.html
2DerBug11.html
2DerBug12.html
2DerBug13.html
2DerBug14.html
2DerBug15.html
2DerBug16.html
2DerBug17.html
2DerBug18.html
2DerBug19.html
2DerBug20.html
2DerBug21.html
2DerBug22.html
2DerBug23.html
2DerBug24.html
2DerBug25.html
2DerBug26.html
2DerBug27.html
2DerBug28.html
2DerBug29.html
2DerBug30.html
2DerBug31.html
2DerBug32.html
2DerBug33.html
2DerBug34.html
2DerBug35.html
2DerBug36.html
2DerBug37.html
2DerBug38.html
2DerBug39.html
2DerBug40.html
2DerBug41.html
2DerBug42.html
2DerBug43.html
2DerBug44.html
2DerBug45.html
2DerBug46.html
2DerBug47.html
2DerBug48.html
2DerBug49.html
2DerBug50.html
2DerBug51.html
2DerBug52.html
3Endboss01.xhtml
3Endboss02.html
3Endboss03.html
3Endboss04.html
3Endboss05.html
3Endboss06.html
3Endboss07.html
3Endboss08.html
3Endboss09.html
3Endboss10.html
3Endboss11.html
3Endboss12.html
3Endboss13.html
3Endboss14.html
3Endboss15.html
3Endboss16.html
3Endboss17.html
3Endboss18.html
3Endboss19.html
3Endboss20.html
3Endboss21.html
3Endboss22.html
3Endboss23.html
3Endboss24.html
3Endboss25.html
3Endboss26.html
3Endboss27.html
3Endboss28.html
3Endboss29.html
3Endboss30.html
3Endboss31.html
3Endboss32.html
3Endboss33.html
3Endboss34.html
3Endboss35.html
3Endboss36.html
3Endboss37.html
3Endboss38.html
3Endboss39.html
3Endboss40.html
3Endboss41.html
3Endboss42.html
3Endboss43.html
3Endboss44.html
3Endboss45.html
3Endboss46.html
3Endboss47.html
3Endboss48.html
3Endboss49.html
3Endboss50.html
3Endboss51.html
3Endboss52.html
3Endboss53.html
3Endboss54.html
Gillies.html