#37 T-2: 07:21

Absolut ungeschlagen ist der Beifahrer darin, in total ernsten Situationen total unpassend den Clown zu spielen. Jetzt zum Beispiel: Nachdem uns Joseph rauskomplimentiert hatte, blieb uns nichts anderes übrig, als durch die Dunkelheit zurück zum Wagen zu stolpern und darauf zu warten, dass der Weltuntergang vorbeigehen würde. Durch die Matschwüste zurückzufahren kam nicht infrage, da wären wir garantiert irgendwo stecken geblieben. Jetzt sitzen wir also da, im Gefunzel der Cockpit-Lämpchen, und hören zu, wie der Regen aufs Dach unseres Geländewagens trommelt, der ausschließlich für das Gelände >Parkhaus im Shoppingcenter< gebaut wurde. An sich ein ganz guter Moment, um ein bisschen still nachzudenken. Und was tut er? Er sitzt und pfeift, und zwar immer die gleiche Melodie, in Endlosschleife. Anstatt mir ja zu erklären, warum uns Ned Flanders angeschaut hat, als ob wir Ebola hätten, trällert er vor sich hin. Und mit jedem Durchlauf wird die Melodie lauter und schriller, bis ich schließlich einknicke.

»Okay, Alter: Was ist das nochmal?«

Von meiner Unwissenheit angestachelt flötet Nick noch lauter und wackelt dazu im Takt auch noch mit dem Kopf, als ob er ein Liedermacher beim Kindergartenfest wäre, der will, dass endlich mal jemand mitsingt. Ich erkenne das Lied trotzdem nicht. Nun rücks schon raus, Mann!

»This is not Americaaa«, fistelt er plötzlich los. Ach so.

»Schalalalala«, ergänze ich dienstbeflissen, »Bowie und Pat Metheny, oder?«

»Genau: Pet my weenie«, lacht Nick. Klasse Wortspiel: Streichel meinen Pimmel. Ich spende ihm einen müden Golfapplaus - das heißt: zweimal in Zeitlupe in die Hände klatschen -, was der Dude mit einer angedeuteten Verbeugung quittiert.

»Weißte noch: Das war der Song aus dem Film Der Falke und der Schneemann«, quasselt er los.

»Hm, habe ich damals aber nicht gesehen. Du?«

»Jau, war ganz okay - obwohl mit Sean Penn.«

Er fängt an, in den Ausdrucken rumzuwühlen, die Joseph uns von den Daten auf dem Tape gemacht hat. Sich nur mit einer Sache auf einmal zu beschäftigen, reicht Nick ja fast nie. Also wird geblättert und schwadroniert.

»Der Film basierte ja auf einer wahren Geschichte: Ende der Siebziger haben zwei Jungs den Russen Informationen über amerikanische Spionagesatelliten verkauft. Sind natürlich geschnappt worden. Einem von denen haben sie 40 Jahre Knast aufgebrummt, der müsste heute noch sitzen.«

»Und?«

Anstatt zu antworten, klopft der Beifahrer auf das Endlospapier zwischen seinen Beinen.

»Alter: Wir sind jetzt der Falke und der Schneemann.«

Das sagt er so ganz ruhig? Will er im Ernst andeuten, dass die Daten auf dem Tape irgendwas mit Spionagesatelliten zu tun haben? Jetzt ist er endgültig durchgeknallt. Zu viel Kaffee und Dew, zu wenig Schlaf und zu wenig Kuscheln mit Sabina. Er ist fertig mit der Welt, braucht wahrscheinlich einfach nur ein bisschen Ruhe. Alles klassische Burnout-Symptome. Trotzdem erst mal mitspielen, sonst kriegt er womöglich noch einen cholerischen Anfall, wenn ich ihn nicht ernst nehme. Spinnern und Schlafwandlern muss man ja immer gut zureden.

»Im Ernst?«, frage ich brav.

»Jap. Keyhole ist der Codename für die Spionagesatelliten, die Amerika in den frühen Achtzigern hochgeschossen hat. Jede Mission bekam ihr eigenes Kürzel. Ich dachte zwar, bis in den Orbit hätten es nur Keyhole 11/1 bis 11/8 geschafft, aber anscheinend haben sie noch einen mehr gebaut - wieder was gelernt. Und das Attitude Contral System ist der Bordrechner, der die Fluglage kontrolliert.«

Gespenstisch, genau mit diesen Worten fing die Datei wirklich an: Keyhole 11/9, Attitude Control System. Bei jedem anderen Menschen wäre jetzt der Moment gekommen, in einen Lachanfall auszubrechen. Aber Nick ist Sput-Nick, der kennt sich mit dem ganzen Weltraumscheiß aus, und was er sagt, leuchtet auf unangenehme Weise ein.

»Das heißt, auf dem Tape ...«

Er nickt.

» ... ist das Navigationsprogramm eines uralten Aufklärungssatelliten, oder zumindest ein Teil davon.«

»Scheiße.«

»In der Tat: Scheiße. Damit dürfte so ziemlich jede Agency dieses schönen Landes hinter uns her sein.«

Extraleben - Trilogie
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