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Essen hält Leib und Seele zusammen, hat Mutter früher immer gesagt. Und wie bei fast allen ihrer Weisheiten, mit denen sie uns Kinder jahrzehntelang genervt hat, muss man auch bei dieser zugeben: Sie stimmt. Kaum hat der Kellner die Silberglocken über unseren Tellern geliftet, steigt die Stimmung schon. Wir hocken mit gekreuzten Beinen auf unseren Betten und schaufeln das Sterne-Essen rein. Lauchküchlein mit Lachs-Salat, dazu importiertes Heineken. Ein Essen für die Götter, wer die in dieser Ecke der Welt auch immer sein mögen. Nick schluckt zum Reden nicht mal runter.

»Waff wolltefft du mir denn jetff feigen?«

Ich imitiere den Beifahrer-Style und lasse die Bombe platzen, ohne hochzuschauen.

»Ich weiß, wie wir die Location von Irvings Datenbunker rausfinden. «

Nick ist so überrascht, dass er sogar kurz zu kauen aufhört.

»Echt? «

Ja, zur Abwechslung kommt mal eine Idee von mir.

»Echt, Pass auf. Der Grid hat doch hinten einen Telefonanschluss. «

Nick winkt mit der Gabel ab.

»Habe ich gesehen. Aber der ist nur zum Telefonieren, glaube ich. Man konnte an den Grid nämlich einen Hörer anschließen.«

Ein bisschen schnell aufgegeben, mein Guter.

»Ne ne, die Kiste hat ein eingebautes Modem. Und mit dem hat Irving sein Zeug einfach per Telefonleitung in seine Höhle hochgeladen. Habe das Terminal-Programm schon lokalisiert.«

Okay, lokalisiert ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Ich klappe den Grid auf, zur Abwechslung zittern mal meine Hände; aber Nick sitzt viel zu weit weg, um das zu erkennen. Jetzt einfach nochmal dasselbe machen wie vorhin, nochmal die gleiche Tastenkombination wie im KAFE INTERNET 24 erwischen. Besonders viel Vertrauen scheint der Beifahrer nicht in meine Fähigkeiten zu haben, sonst würde er nicht weiter so konzentriert die Lachsstreifen aus seinem Salat fischen. Ist ja nur Kee, das kann nichts Wichtiges sein. Okay, ganz ruhig. Irgendwas mit Code-A, dann Code-U, nein, das ruft das Menü mit der Speicherbelegung auf. Ich kneife unauffällig die Augen zusammen, bis ich nichts mehr erkennen kann, und tippe einfach blind drauf los. Als ich sie wieder öffne, ist die Brezel da. Oder besser gesagt - das Telefon, jetzt ist es klar zu erkennen, mit einem wulstigen Hörer wie früher. Ausnahmsweise darf ich den großen Dreh veranstalten. Natürlich muss Nick erst mal auf cool tun und weiter im Salat rumprokeln, Als er sich dann endlich erbarmt, auf den Bildschirm des Grid zu gucken, kann er seine Begeisterung kaum verbergen. Seine Augen leuchten, und er lässt sich sogar zu einer seiner schlechten Stimm-Imitationen hinreißen.

» E.T. nach Hause telefonieren.«

»Gelle, dann wollen wir mal.«

Ich fische das Telefonkabel raus und stöpsele es an einem Ende in den Grid rein, am anderen in Nicks Dienstrechner. Tadaa! Mit einem zufriedenen Klick rastet es auf beiden Seiten ein. Es kann also losgehen: Wenn ich gleich das Programm zur Datenübertragung im Grid starte, wird die Kiste versuchen, rauszutelefonieren, zu Irvings geheimen Bunker, wo immer er auch versteckt sein mag. In diesem Moment wird der Dienstrechner die Tonwahlsignale mitschneiden - ein schönes Wort, mitschneiden, das klingt wieder nach Tonbändern und dem Interview mit Helmut Schmidt. Der Rest ist Routine: Der Dienstrechner dechiffriert das Gepiepse und zeigt im Klartext die Nummer an, die der Grid gewählt hat. Grundlagen, darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren. Nick fährt am Dienstrechner routiniert das Programm hoch, mit dem sich Audiosignale aufzeichnen lassen. Ich lenke die Auswahlleiste des Grid auf den Menüpunkt DIAL.

»Fertig?«

Nick klickt wild rum.

»Ja, Aufnahme läuft.«

Ich drücke auf RETURN. Der Grid fängt an zu wählen, ohne auf ein Freizeichen zu warten. Aus dem Lautsprecher des Dienstrechners, der ihn abhört, erklingt das typische Stakkato, wie eine elektronische Spieluhr. Tonwahlverfahren, steckt seit Jahrzehnten in jedem Telefon. Das Prinzip ist völlig simpel: Je nachdem, welche Taste auf dem Nummernfeld gedrückt wird, gibt das Gerät zwei Töne gleichzeitig von sich. Bei der »1«zum Beispiel ist es ein ziemlich schräger Zweiklang - 697 Hertz und 1209 Hertz. Die Vermittlungsstelle erkennt anhand der Töne, welche Taste gedrückt wurde, und stellt die Verbindung mit der gewünschten Nummer her. Plain old telephone service - die gute alte Telefonie. Der Grid braucht gerade mal zwei Sekunden, um die Nummer zu wählen, an die er seine Daten senden will. Wirklich senden kann er natürlich nicht, weil er ja gar nicht mit einer Telefonbuchse verbunden ist. LINE BUSY, beschwert sich der Oldie prompt. Keine Chance, von uns kriegst du keine freie Leitung, Bitch! Dafür hast du uns gerade verraten, wo dein Herrchen seine schönen IBM-Schmuckstücke versteckt hat. Ich schaue zu Nick rüber.

»Alles angekommen?«

»... und ausgewertet«, quittiert der. Genug des pathetischen Rechner-Rumdrehens. lch springe auf Nicks Bett und spinkse auf den Bildschirm des Dienstrechners. Das Programm hat dem Gefiepse eine Nummer zugeordnet und freundlicherweise gleich noch im Datacorp-Netz nachgeschlagen, wem der Anschluss gehört. Jetzt wissen wir nämlich, wo du wohnst! SITE 6 COMMUNICATIONS, Batum/WA. Washington State, amerikanischer Nordwesten. Zurück in unsere zweite Heimat. Ich frickele die Telefonleitung wieder in die Dose und wähle testweise die gleiche Nummer, die der Grid eben ausprobiert hat. Die Leitung ist tot. Wir müssen also mal wieder persönlich ausrücken - die letzten zwei Handlungsreisenden in einer virtualisierten Welt. Nick legt den Dienstrechner beiseite, greift zum Telefon rüber und ordert im Überschwang noch vier Heineken, um den Tiger-Schwips aufzufrischen. Wo ist nur seine Sparsamkeit hin? Wir sind noch lange nicht zuhause, Nickybaby. Noch lange nicht, das liegt in der Luft.

Extraleben - Trilogie
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