#40 T-2: 04:55

Zuerst ist es nur eine unbedeutende Störung im Soundtrack. Sie wäre leicht zu überhören gewesen, nur eine winzige Variation im sonst so regelmäßigen Atmen des Highways. Einatmen: Etwas rauscht in der Ferne, das Brummen eines Motors. Dann passiert der Wagen das Ortsschild, Details treten hervor, der Wind flüstert um die Zierleisten. Schließlich kommt das Tutti: Das Auto donnert am Motel vorbei, Country Music plärrt aus dem Fenster und die Geigen wimmern mit dem Doppler-Effekt um die Wette. Dann wieder ausatmen: Der Fahrer cruist im vorgeschriebenen Kriechtempo über die Dorfstraße, gibt irgendwann sachte Gas und der Motor geht wieder im Grundrauschen der Nacht unter. Attack, Decay, Sustain, Release. Nur diesmal warten die Hörnerven vergeblich auf das erlösende Release, auf das leise Ausklingen des Motors in der Ferne. Dieses eine Motorgeräusch wird komischerweise nicht leiser. Das Auto hat also vor dem Motel gehalten. Nick hört es auch, logisch. Normalerweise funktioniert er ja zuverlässig wie eine Schlafbarbie - bei Rückenlage klappen sofort seine Klüsen zu und er fährt das System runter. Aber heute nicht. Der kleine Plausch mit den Satellitenfritzen hat ihn zu sehr aufgekratzt, als dass er jetzt schlafen könnte. Also quälen wir uns synchron durch die Nacht, werfen uns abwechselnd herum, knüllen das deutlich zu weiche Kopfkissen zusammen oder zupfen die Decke zurecht. Gefühlte zwei Stunden läuft die Marter jetzt schon. Sie kommen uns abholen – ja toll, Alter, aber wann? Jetzt etwa schon? Bestimmt nicht. Trotzdem geht das Geräusch nicht weg. Der Motor brummelt immer noch im Hof. Vielleicht ist es nur ein Gast, der beim Motelbesitzer nach einem Zimmer fragt und dafür nicht extra den Wagen abstellt. Bestimmt sind es zwei gute christliche Teenager, die zwar wissen, dass »wahre Liebe warten kann«, wie es immer auf den Plakaten heißt - aber nicht unbedingt warten muss. Scheint ein großer Wagen zu sein, das Bett vibriert richtig unter dem Blubbern des Big-Block-Motors, so, als stünde er direkt vor unserer Tür. Jetzt mach halt endlich die Scheiß-Karre aus, du Idiot! Geht doch. Ein paar finale Explosionen wummern durch die Zylinder, der Motor gurgelt aus. Ah, gut, man hört wieder das Jaulen der Hunde in der Nacht. Sie müssen irgendwo hinter dem Bach sitzen, tiefer im Wald, da haben sich bestimmt ein paar Dorfschrate mit ihren Wohnwagen versteckt. Die wissen einfach, wo es gut ist: Die Luft vorhin beim Aussteigen roch gut, nach Harz, Tannennadeln und Weihnachten mit der Familie. Stille. Nein - doch nicht. Eine Autotür geht auf. Dingding-dingding, der Autogong warnt einen weiteren U.S.-Bürger davor, dass sein Leben lebensgefährlich ist. Fump, die Tür wird zugeworfen. Jemand ist ausgestiegen. Kies knirscht unter festen Sohlen. Die Füße schleifen über den Boden, schieben bergeweise Steinchen vor sich her. Der Angreifer scheint müde zu sein - oder total abgefüllt. Ich muss unbedingt den Beifahrer alarmieren, so leise, wie es irgendwie geht.

»Scht.«

»Habs gehört«, brummelt Nick zurück. Gott sei Dank, er ist wach.

»Und?«

»Sachen an«, befiehlt er. Würde seine Stimme nicht so zittern, könnte es nach einer besonnenen Anweisung klingen. Vorsichtig schiebe ich meine Beine seitlich aus der Decke raus -ungefähr so vorsichtig wie in der ersten Nacht mit einem Mädchen, wenn man noch so tut, als sei man ein Geschöpf aus reiner Liebe -und kein Mensch, der eine Blase hat. Okay, jetzt mit den Zehenspitzen den Boden abtasten, die verfluchte Hose suchen. Ja, Mutter, hätte ich sie vorhin auf den Stuhl gelegt, müsste ich jetzt nicht suchen. Ja, ich weiß, wie es im Zimmer aussieht, so sieht es im Kopf aus. Endlich, die Hose. Beine rein, ich taste mich zur Knopfleiste hoch. Nick raschelt auf seiner Seite heftig rum. Klonk, klonk, klonk. Sohlen raspeln über die verwitterten Holzstufen der Veranda. Jetzt ist er oben, direkt unter dem kleinen Vordach, vielleicht zwei oder drei Zimmer weiter rechts. Vielleicht ist es schon ein Agent des NRO? Dann wären die Jungs aber wirklich schnell gewesen. Wer weiß, was die mit uns vorhaben, wenn sie erst mal aufgekreuzt sind. Da, wo sie uns hinbringen, wird uns Andie, die Göttin, sicher nicht mit einem schnellen Ticket rausholen können. Wenn die Sache vorbei ist, rufe ich sie an und frage nach einem Date. Oder einem Frühstück. Ja, klar. Dielen knarren. Da, er hat angehalten, wahrscheinlich, um auf die Zimmernummer zu schauen. Genau, du bist erst bei der 107, du musst noch zwei Türen weiter.

»Fertig«, zischt Nick.

»Nur noch die Schuhe«, flüstere ich zurück. Weiter den Boden abtasten. Die langen Haare des siffigen Teppichs gleiten zwischen meinen Fingern durch. Sie fühlen sich speckig an wie das Fell von Opas Dackel, nachdem er eine halbe Stunde lang Stöckchen geholt hat. Was sollen wir eigentlich machen, wenn wir fertig angezogen sind - vielleicht eine Waffe suchen oder so? Wenn wir früher in den ganz miesen Buden abgestiegen sind, hat sich Nick manchmal den zusammengeklappten Wagenheber auf den Nachttisch gelegt. Hab ihn immer damit aufgezogen, Security-Nick und so. Aber hier im Zimmer ist absolut nichts, was man als Waffe verwenden könnte. Der Fernseher jedenfalls nicht, ist zu schwer zum Werfen. Der Stuhl vielleicht? Klonk, klonk, klonk. Klonk. Jetzt steht der Angreifer direkt vor unserer Tür. Nur noch drei Zentimeter mitteldichte Holzfaserplatte halten ihn davon ab, uns die Kehle zuzudrücken. Die Scheiße ist, dass wir nicht nach hinten Richtung Bach rausschlüpfen können, dafür ist der Schlitz im Badezimmerfenster viel zu klein. Wir sitzen in der Falle. Wie bei Doom, wenn du in einem dieser kleinen geheimen Räume rumgetrödelt hast, dich umdrehst und eine ganze Armee Monster über dich herfällt.

»Bssssssst« macht es immer, wenn sie dir mit ihren Pranken eine verpassen, als ob man einen Hochspannungsmast anfasst. Spätestens danach gibt's kein Entkommen mehr: Hinter dir ist die Wand, vor dir der sichere Tod. Wir müssen was tun.

»Möbel vor die Tür?«, raune ich rüber. Der Klassiker. Was Besseres fällt uns nie ein. Dieses Quietschen, Gott, der Angreifer dreht wirklich am Türknauf, erst ganz sachte, dann ruckelt er richtig dran. Jetzt oder nie: Wir müssen die Tür verrammeln, irgendwas davorstellen, Zeit schinden. Nick verliert die Nerven.

»Kommode davor - go!«, ruft er und poltert los. Alter, das war viel zu laut, das hat der Typ draußen mit Sicherheit gehört! Na, auch egal. Ich haste nach vorne zur kleinen Kommode neben dem Fernseher, versuche sie anzuheben. Scheiße, ist das Ding schwer, dabei sah sie doch nur nach Sperrholz aus. Nick friemelt seine Finger unter die Beine der Kommode, ächzt in mein Ohr. Er drückt ein »Los« raus, wir hieven die Kommode kurz an, doch meine Finger glitschen ab und sie kracht mit voller Wucht auf den Boden zurück. In diesem Moment hören wir ihn.

»Guys?«

Es ist eine bekannte Stimme. Es ist die Stimme von John.

Extraleben - Trilogie
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