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Noch ist es nur ein fernes Grummeln, der Wagen muss noch weit weg sein. Doch das Motorengeräusch ist da, und das reicht. Ich schnappe das Tape und springe raus auf den Gang. Shit, wirklich: Ein schwarzer Geländewagen biegt hinten um die Straßenecke. Noch ist er einen ganzen Block weit weg, doch selbst auf die Entfernung hallt der V8 schon bedrohlich laut durch die Häuserschlucht. Anders als das klapprige Taxi, mit dem wir gekommen sind, gleitet er unbeeindruckt über die Schlaglöcher hinweg; seine Reifen sind so groß, dass die Karosserie nicht mal wackelt. Wo ist Nick? Ich drehe mich um. Er kauert immer noch in der Mitte des Archivs. Hallo? Aufwachen?

»Da kommt einer!«

Seelenruhig blättert er weiter.

»Sicher?«

»Voll sicher. Komm!«

Genervt schaut er hoch. Erst als er meinen Alarm-Blick sieht, merkt er, dass die Sache ernst ist, und reagiert. Mit einer schnellen Bewegung rafft er so viele Papiere, wie er nur kann, zusammen und stopft sie unter den Arm. Ich schnappe meinen Dienstrechner. der immer noch neben der Eingangstür lehnt - wer den alles in der Zwischenzeit hätte klauen können! Nick klemmt den Grid unter seinen freien Arm und kriecht raus auf den Flur. Atemlos kauern wir am Boden hinter der Balustrade. Ich wage einen Blick über den oberen Rand: Zwischen uns und dem Auto liegen nur noch zwei Wohnbunker, und der Fahrer gibt weiter im zweiten Gang Vollgas. Nick riskiert auch einen Blick.

»Wir müssen weg!«, zischt er.

»Aber wohin?«

»Ein Stockwerk nach oben.«

Klingt nach keinem guten Plan.

»Aber da sitzen wir in der Falle!«

Er rollt die Augen.

»Wenn wir runtergehen. laufen wir ihnen in die Arme!«

Auf einmal klingt das ihnen nicht mehr abstrakt, wie ein Witz, sondern nach einer echten Drohung. Im Hals macht sich ein Kloß breit; mir bleibt nichts übrig, als das Startsignal zu geben.

»Ock!«

Blitzschnell zieht Nick die Wohnungstür zu und rennt vor, immer im Schatten der Balustrade weiter Richtung Treppe. Also hinterher. Jetzt bloß keinem der anderen Bewohner begegnen! Jeder könnte uns verraten. Noch fünf Wohnungstüren, noch vier, aus Nicks Stapel unter dem Arm flattern die ersten Papiere raus, noch drei Türen. Mein Fuß bleibt in einer Fuge hängen und ich falle nach vorne. Automatisch lasse ich das Tape fallen und bremse mit der Hand den Sturz ab. Haut scheuert über Beton, egal, besser auf diese Hand fallen als auf die andere mit dem Rechner. Ich greife nach hinten und sammle das Tape wieder ein. Weiter. Noch zwei Wohnungstüren, die Treppe kommt näher. Noch eine Tür. Rechts abbiegen, geschafft, wir sind schon mal auf der Treppe. Jetzt nur noch ins nächste Stockwerk hochkommen, ohne dass die unten uns sehen. Ihr Motor faucht ein letztes Mal, dann ist es still. Wie Betrunkene stürzen wir die Stufen rauf. Unmöglich, in der Hocke Treppen zu steigen. Wir müssen uns hinstellen, auch wenn dann die Deckung weg ist. Nick wankt. Der Grid rutscht seinen schweißnassen Arm runter, er kann ihn mit dem Ellenbogen nochmal stoppen; dafür muss er weitere Papiere opfern. Sehr unauffällig: Wenn sie uns echt kriegen wollen, müssen sie nur der Aktenspur folgen. Mit einem Satz nimmt Nick die letzten drei Stufen zum Flur des siebten Stockwerks. Weiter hoch geht es nicht, wir sitzen in der Sackgasse. Von unten hallen Stimmen hoch. Fremde, aufgeregte Stimmen, es klingt nach Kommandos. Dann Schritte, das Keuchen von Männern. Wie viele sind es? Zwei oder drei? Wir hetzen gebückt den Flur runter. Eine völlig sinnlose Aktion. Es gibt auf der anderen Seite keine Treppe, die wir im Notfall runtersteigen könnten, sondern nur eine Wand. Wenn sie in dieses Stockwerk raufkommen, sind wir am Arsch. Die Türen zischen wieder an uns vorbei, diesmal links, zwei Wohnungen, drei Wohnungen. Die da unten sind keine Amerikaner, dafür klingen die Wortfetzen zu fremd. Warum drei Leute? Um eine Wohnung zu durchsuchen reicht doch theoretisch einer. Warum wir? Warum sind sie hier? Woher kennen sie die Adresse? Klar, sie sind uns vom Hotel aus hinterhergefahren. Nein, dann wären sie ja gleichzeitig mit uns angekommen. Wohnung Nummer fünf, sechs, sieben. Ende. Wie Ameisen kleben wir am Boden und starren an der Betonwand hoch. Sie schaut auf uns zurück, als wollte sie uns auslachen. Und jetzt, ihr Idioten? Plötzlich klingen die Schritte der Männer unten anders, leiser, sie müssen von der Treppe in den Flur unter uns eingebogen sein. Genau, und jetzt rennt die Truppe den Gang runter, viel schneller als wir. Nur noch ein paar Sekunden, nur ein paar Sekunden. Jetzt! Die Schritte hören auf. Wir halten die Luft an. Sie stehen genau unter uns. Nur dreißig Zentimeter Beton trennen uns von ihnen. Dreißig Zentimeter zwischen einer bequemen bundesdeutschen Existenz und einer Randnotiz in der Zeitung. Wie das Auswärtige Amt bekannt gab ... zwei Touristen ...ungeklärte Umstände ...in einem Kanal ertrunken. Bundes. War immer eine schöne Vorsilbe. Bundeskegelbahn und so, da weiß man, was man hat. Gemütlich, verlässlich, ungefährlich. Was ist los? Eben haben sie doch noch geredet. Aber auf einmal ist alles still. Vielleicht telefoniert einer? Dann splittert das hellgrüne Holz.

Extraleben - Trilogie
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