#29 T-3: 07:53
Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man glatt drüber lachen. In all den Jahren sind wir nicht ein einziges Mal in eine Alkoholkontrolle gekommen, weder zuhause noch hier in den Staaten. Dabei hätte es reichlich Möglichkeiten gegeben, vor allem früher, da waren viele unserer Trips nicht astrein. Heute lassen wir diese Ha-ha-und-sie-haben-uns-nicht-erwischt -Geschichten lieber unter den Tisch fallen, weil es uns mit jedem Jahr ein bisschen peinlicher wird, was wir damals für eine Kinderkacke veranstaltet haben. We was young and we was dumb - leider allzu wahr, 2PAC, du alter Ghetto-Heintje. Aber es waren halt die Löschblattjahre, da ging es darum, möglichst alles aufzusaugen: das Leben, Mädchen, Assembler. Wenn es sein musste -und das musste es - dann haben wir halt auch mal acht Stunden am Stück Elite gezockt, was kein Problem war, denn die fühlten sich ohnehin nur wie zehn Minuten an. Heute schaut man beim Code-Schreiben schon nach zehn Minuten auf die Uhr, weil sie einem wie acht Stunden vorkommen. Sachte lasse ich das Boot ausrollen, bis der letzte Wagen der Schlange nur noch eine Motorhaube entfernt ist: ein roter Toyota Pick-up, dessen Besitzer im allerfeinsten Neunziger-Stil den eingeprägten TOYOTA-Schriftzug auf der Heckklappe bis auf ein schwarzes YO in Wagenfarbe nachlackiert hat. D.U.I. - Driving under the Influence, Fahren unter dem Einfluss von was auch immer. So sehen die Checkpoints also aus, vor denen alle amerikanischen Teenager zittern. Die Highway Patrol hat den Mittelstreifen mit Hütchen abgesteckt und hinten, am Ende der Autoschlange, wo kontrolliert wird, ein mobiles Stoppschild aufgestellt. Jetzt ist auch klar, warum der Cop eben in dem Waldweg auf der Lauer lag. Der ist dafür da, sich alle Schlaumeier zu krallen, die die Kontrolle sehen und noch schnell umdrehen wollen. Man kann schon erkennen, wie hinten die Taschenlampen der Cops durchs Halbdunkel tanzen, es scheinen zwei zu sein. Dieser Sorte sind wir als Teutonen natürlich schon öfter begegnet, immer wenn wir überm Tempolimit erwischt wurden. Die meisten Bullen haben absolut professionell das Bußgeld von uns kassiert, nur einer hat mal 'nen Witz rausgedrückt: »Guys, this is not the Autobahn!«
Die Herren in Schwarz werden sich also wieder etwas unterkühlt vorstellen und nach den Wagenpapieren fragen. Wir werden galant »It's arental« kundtun, woraufhin sie den Vertrag verlangen. Nick reicht ihn rüber und grinst dabei etwas verlegen, weil der Wisch schon so zerknittert ist. Der Cop wird es ignorieren und mit dem Papier zum Streifenwagen rübergehen, um das Nummernschild in seinen Rechner einzutippen. Irgendwas Ungewöhnliches wird auf dem Display erscheinen, irgendwas, das den Bullen dazu bringt, vorsichtig den Druckknopf zu öffnen, mit dem sein Revolver im Holster fixiert ist. Wir sitzen in der Falle, und bis zum Stoppschild sind es noch fünf Autos. Wie kann Nick nur so ruhig bleiben? Fast nachdenklich legt er den Kopf zur Seite und stöhnt angenervt, so als hätte er sich den Fingernagel aus Versehen abgebrochen. Schade, dass wir keine Zeit haben, die Szenerie zu genießen. Dabei brechen gerade die wunderbaren zehn Minuten an, in denen von Osten her eine dunkelblaue Wand über den Himmel zieht, als ob jemand ein Tintenfass umgeworfen hätte. Das Tal breitet sich wie ein großes, schwarzes U hinter dem Highway aus. Am Horizont flackern schwach ein paar Lichter in der letzten heißen Luft. Von da müssen die Bullen gekommen sein. Fast alle Fahrer vor uns haben in vorauseilendem Gehorsam ihren Motor abgestellt. Nick beugt sich vor, um unter seinen Sitz zu greifen. Widerwillig zieht er das Tape raus und hält es mir unter die Nase.
»Okay?«
Ich verstehe nichts.
»Was ist okay?«
»Na, wenn ich das Tape rauswerfe. Jetzt sind wir noch weit genug weg. Wenn wir erst da vorne stehen, kriegen die Bullen das mit.«
Ist er völlig durchgeknallt?
»Bist du bescheuert? Warum denn das?«
Nick tut so, als wolle er das Band wieder zurücklegen.
»Von mir aus - wenn du damit erwischt werden willst ...«
Er scheint sich ja mal wieder eine ziemlich umfassende Theorie zusammengebaut zu haben.
»Was ist denn so verdammt gefährlich an dem Tape? Was passiert, wenn uns die Cops damit erwischen?«
»Was passiert? Was passiert?«, explodiert Nick und rutscht vor lauter Aufregung in die Kopfstimme.
»Warum, glaubst du, haben Shaun und die anderen Wichser in der Company den armen John ausgeschaltet? Weil hier der Source Code für Visicalc drauf ist?«
Er schüttelt das Tape, als wolle er so die Daten rauskriegen.
»Alter, ich garantiere dir, dass diese Informationen uns in den Scheiß-Knast bringen. Und da warten ein paar sehr böse Herren nur darauf, dass ihnen anschmiegsame weiße Jungs wie wir die Seife aufheben. Ich weiß ja nicht, was mit dir ist, aber ich hab da keinen Bock drauf!«
Er winkelt den Arm mit dem Tape an, als ob es ein Frisbee wäre, den er gleich mit voller Kraft losschleudern will.
»Wenn du also keine besseren Vorschläge hast, würde ich das Teil jetzt entsorgen. Mit 'n bisschen Glück sieht es der Bulle nicht mal. Also: Was ist?«
Vorne startet einer den Motor, und sofort drehen auch alle anderen Fahrer am Zündschlüssel, um ja nicht aufzufallen. Der Toyota lässt sich -ziemlich unamerikanisch - nach vorne rollen, ohne den Motor anzumachen. Mittlerweile sind wir von hinten durch andere Autos eingekeilt, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als auch aufzurücken. Widerwillig tippe ich kurz das Gaspedal an. Noch vier Autos. Aber wenn wir das Tape jetzt opfern, wäre der ganze Scheiß ja umsonst gewesen, der Hack in der Botschaft, unsere Flucht übern Teich. Vielleicht haben wir ja noch was vergessen, eine weitere Option, ein cooler Hack wie mit dem Heli? Dem Beifahrer muss was einfallen, tut es doch sonst immer. Ich muss ihn nur aus seinem Zombie-Modus rausholen, damit er wieder klar denken kann.
»Was kann denn da so Schlimmes drauf sein?«, frage ich.
»Keine Ahnung.«
Seine Stimme ist mittlerweile wieder auf normale Höhe runtergerutscht, doch seinen Arm mit dem Tape hält er unverändert in Abschussposition.
»Irgendwas, das die nationale Sicherheit gefährdet, Infos über ein neues Watergate, eine Todesliste der CIA, vielleicht Drogenscheiß, spielt doch auch keine Rolle. Es ist irgendein Dreck drauf, und die Ärsche von der Company wollen den Besitzer des Tapes damit erpressen.«
Er kneift die Augen zusammen und schaut nach vorne. Die zwei Cops in ihren schwarzen Hemden beugen sich von beiden Seiten in den ersten Wagen rein. In einem solchen Moment sollte man im Auto besser cool bleiben und keine hektischen Bewegungen machen, sonst brennen die einem gleich eins mit der Elektroschock-Pistole über - im besten Fall. Da, sie treten einen Meter vom Auto weg, dabei halten sie ihre Taschenlampen tatsächlich genauso albern wie Nick - mit angewinkeltem Arm. Der eine gibt dem Fahrer das Signal zum Weiterfahren und das Anlasser-Domino geht von vorne los.
»Ich warte«, ranzt Nick rüber, »die Bullen sehen uns schon fast! Was ist jetzt: Noch 'ne zündende Idee?«
Das ist doch nicht mein Job, oder? Der Toyota rollt nach vorne, wir hinterher. Noch drei Autos.
»Und was ist, wenn wir ihnen alles erzählen?«, schlage ich vor. Gekünsteltes Lachen von rechts.
»Ach ja? Die Company wird der Autovermietung irgendeine Räuberpistole erzählt haben, von wegen, dass wir die Karre klauen wollen oder was auch immer. Deshalb werden uns die Cops keine Sekunde lang zuhören, ganz egal, was wir sagen. Außerdem - wem werden sie glauben: einer ordentlichen Firma wie der Datacorp, die im Homeland Steuern zahlt, oder irgendwelchen Pennern aus Old Germany? Vergiss es: Wenn wir erst da vorne sind, haben wir allerhöchstens das Recht zu schweigen.«
Was? Es geht schon weiter? In dem letzten Wagen hat wohl ein Kumpel des Sheriffs gesessen. Noch zwei Autos. Wir rollen nach vorne, langsam kann man alles erkennen. aha, der zweite Cop ist eine Frau, sie trägt einen stramm aussehenden Pferdeschwanz. Über ihr schwarzes Kurzarmhemd hat sie eine neonrote Warnweste mit Streifen aus Katzenaugen gestülpt. POLICE steht unten quer drauf. Nick hibbelt mit dem Bein, als ob er gleich einen epileptischen Anfall kriegt. Dann bäumt er sich ein letztes Mal auf: »Alter, ich hau das Ding jetzt raus! Dann kriegen uns die Bullen nur fürs Autoklauen, oder was auch immer uns die Company angedichtet hat. Ich will nich in den Bau, ich will nach Hause!«
Er winselt, als ob ihn einer abstechen will. Sabina, das Kind, das Haus - stimmt schon, bei ihm ist der Einsatz höher. Was wartet auf mich? Das Dorint, eine Familie, die mich längst abgeschrieben hat, und eine Sammlung von Laserdiscs, die der Bit-Rot langsam dahinrafft - eine ziemlich ärmliche Existenz. Ob ich im Bau sitze oder nicht, würde wohl niemanden interessieren. Traurig, traurig. Was will der? Warum leuchtet der Cop mit seiner Mist-Taschenlampe zu uns rüber, dabei sind wir doch noch gar nicht dran. Was macht der mit der Hand? Ach so, ich soll den Motor ausmachen. Okay, okay. Die Zündschlüssel klimpern, der Achtzylinder verstummt. Auf einmal klingt das Zirpen der Grillen im Straßengraben so laut wie eine Kiste voll altersschwacher Türsummer. Gott sei Dank. Der Cop leuchtet wieder zum ersten Wagen rüber, man kann schon Fetzen von dem verstehen, was er redet. Ein freundliches, aber bestimmtes „Sir«.
Seine Kollegin schlendert vom Streifenwagen zurück zum Stoppschild und nickt mit dem Kopf. Auch ihr letztes Kontroletti-Opfer, ein grauer Familien-Van mit abgedunkelten Scheiben, ist vom Haken und darf weiterfahren. Scheiße, warum lassen sie keinen blasen oder auf 'ner Linie laufen oder was auch immer die hier tun, um raus zukriegen, ob einer strack ist? Um nicht nochmal aufzufallen, lasse ich den Toyota ein paar Meter voraus rollen, bevor ich aufschließe. Immer schön Abstand halten. Noch ein Auto. Der Cop huscht durch den Kegel des Standlichts: Es ist ein schmächtiger Typ, vielleicht dreißig, mit einem hellblonden Bürstenhaarschnitt. Nachdem er dem Fahrer ein paar knappe Anweisungen gegeben hat, nimmt er die Papiere und studiert sie mit zusammengekniffenen Lippen. Das ist also der offizielle Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika, mit dem wir es gleich zu tun kriegen werden. Nick schluckt laut. Die Idee, das Tape raus zuwerfen, scheint er aufgegeben zu haben. Seine Hand baumelt so schlaff runter, dass die Bandhülle fast den Boden berührt. Warum geht das alles so verdammt schnell? Warum kann die Cop-Frau nicht langsamer zum Wagen marschieren? Übrigens, diese Hose macht keinen guten Hintern, junge Dame. Wie viele verschissene Blaulichter haben die eigentlich da oben auf der Karre drauf? Sie schwingt sich durch die offene Tür. Das Licht im Streifenwagen scheint fahl auf das Gitter, mit dem die Delinquenten auf der Rückbank von den Cops ferngehalten werden. Unsere Plätze sind schon reserviert. Was ist hinter uns los? Warum macht da einer nicht den Motor aus? Will der unbedingt gefickt werden? Zack, die Bullenfrau schwingt sich aus dem Wagen, mit irgendeinem Wisch in der Hand. Sind hier nicht alle Führerscheine im Kreditkartenformat? Was für ein schnelles Netz haben die überhaupt hier draußen, dass der Kennzeichen-Check nur Sekunden dauert? Der Kollege reicht das Papier in den Toyota zurück und nickt kurz. Was ist das an meinen Finger? Ach, nur du. Nicks Hand fühlt sich klebrig und warm an. Jetzt geht's gleich los, Alter. Der Cop streckt die Hand aus und winkt uns rüber. Wir sind dran.