#33 T-2: 17:26

Nick ist so was von scheißtolerant, dass es nervt. Ich habe ihn doch nur gefragt, was für ein Jesusfreak das denn bitteschön war, und er geht gleich an die Decke.

»Das war kein ... «, er deutet mit den Fingern Gänsefüßchen an, » ... Jesusfreak, sondern ... «

An dieser Stelle bricht er seine Gardinenpredigt plötzlich ab, um mir den Autoschlüssel rüberzuschmeißen.

»Ach, ist ja auch egal, lass uns erst mal losfahren.«

Wir schwingen uns in die Kiste und versuchen dabei, möglichst wenig Hintern-Kunstleder-Kontakt herzustellen, da die bordeauxroten Polster glühen.

»Scheiße!«

Nick zieht sich am Haltegriff hoch und versucht, die schwebende Jungfrau zu machen. Ich lutsche meinen Zeigefinger an, halte ihn ans Polster und mache dazu ein Zischgeräusch, als ob ich auf eine heiße Herdplatte gefasst hätte. Der Beifahrer muss lachen und - zack schon hat er mir meine politisch unkorrekte Spitze gegen seinen Busenfreund verziehen. Vielleicht läuft bei denen ja so ein Vater-Sohn-Ding.

»Kannste wohl laut sagen. Das Zeug ist so heiß wie flüssiges Metall«, sagt Nick und versucht, seine Stimme in den Barry-White-Keller runterzudrücken.

»Model T-one thousand, liquid metal.«

Sehr schön frei assoziiert, mein Freund. Wir kichern eine Runde, dann starte ich den Motor, und mit dem ersten kühlenden Stoß Fahrtwind ist alles wieder gut. Erst jetzt fällt mir auf, dass der Vogel eben gar nicht seinen Namen gesagt hat.

»Wie heißt der überhaupt?«

»Joseph«, drückt Nick raus.

»Und was für Verein ist das da, auf dem Bruderhof?«

Ich rolle das »r« wie ein Wochenschau-Sprecher aus den Fünfzigern und kassiere den nächsten bösen Seitenblick. Nick räuspert sich.

»Schon mal was von den Hutterern gehört?«

»Haben die was mit Jabba dem Hutterer zu tun?«

Komm schon, Alter, der war nicht schlecht.

»Genau. Der ist da der Chef«, gibt der Beifahrer etwas säuerlich zurück. Dann spult er den Eintrag aus seiner Nickipedia ab: Anscheinend sind die Hutterer so eine Art von Sekte, die vor hundertfünfzig Jahren aus Europa in die USA ausgewandert ist. Überall, wo sie hinkommen, rotten sie sich zu hundert Mann auf einem Hof zusammen, auch hier in Montana und nebenan in Kanada. Untereinander sprechen sie Deutsch mit bayerischem und österreichischem Einschlag. Und weil die Jungs immer schön mit ihren Cousinen verheiratet wurden, haben sie wohl sogar eine eigene Blutgruppe.

»Innerhalb der Sekte gibt es noch so verschiedene Gruppen mit ganz strangen Namen«, doziert Nick, »so zum Beispiel Prärieleut oder Arnoldleut.«

Ha! Das erklärt den Arnie-Akzent. Weil er gerade so schön im Flow ist, behalte ich den Witz aber lieber mal für mich und lasse ihn zum Ende kommen.

» ... jedenfalls leben die so kommunenmäßig zusammen und haben auch mit Technik nicht so viel am Hut.«

»So krass wie diese Amish, die immer noch mit der Kutsche rumfahren?«

Bei denen spielte doch »Der letzte Zeuge« mit Harrison Ford.

»Nene. Die Hutterer dürfen schon Technik benutzen, die fahren auch mit 'nem Mähdrescher die Ernte ein und so. Allerdings müssen sie eine Regel befolgen: Solange die Technik noch funzt, darf nix Neues gekauft werden.«

»Quasi ein Update-Verbot!«

Genial, die perfekte Religion für uns! Langsam wird auch klar, warum die Datacorp zu denen beste Verbindungen pflegt ...

»Naja, und weil sie keinen neuen Kram anschaffen dürfen, müssen sie den alten eben am Laufen halten.«

Nick setzt einen stolzen »Tadaa«-Blick auf.

»Mir ist Joseph im Netz aufgefallen, weil er dutzendweise alte Commodore 64 aufgekauft hat. Später erzählte er mir, dass die Kolonien in den Achtzigern mal ein Cevi-Programm für die Kuhzucht oder so angeschafft haben und dass er das jetzt bis in alle Ewigkeit am Laufen halten muss. Joseph ist bei denen wohl so was wie der Admin.«

Interessant, trotzdem wird es langsam mal Zeit, zum Punkt zukommen.

»Und der hat einen IBM einundfünfzig-zehn in seiner Scheune?«

»Nicht nur das.«

Nick holt Luft, als wollte er ganz groß auftrumpfen, atmet dann aber aus und legt eine bedeutungsschwangere Pause ein.

»Aber wirste ja sehen.«

Wir haben die Stelle erreicht, an der aus dem Feldweg wieder asphaltierte Straße wird. Dass ich den Weg zurückgefunden habe, obwohl ich doch auf dem Hinweg die Augen zumachen musste, fällt Nick nicht auf. Er plant wohl im Kopf schon den nächsten Schritt.

Extraleben - Trilogie
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