#48 T-1: 20:26

So, Alter, die Geschichte hier ist gegessen, jetzt hör schon auf, Löcher ins Papier zu starren. Ich nehme jetzt mein Telefon und rufe die guten Jungs von Datacorp an oder die Bullen oder, wenn es sein muss, auch BigSis. Wir müssen hier raus, bevor Major Tom seine Kohle gekriegt hat. Denn dann hat er keinen Grund mehr, uns durch die Gegend zu kutschieren, und wird uns entsorgen. Verstehst du das nicht? Komisch, obwohl es nur logisch wäre, John zu hassen, fällt es mir schwer, ihn als Feind zu akzeptieren. Selbst die Waffe im Handschuhfach ändert daran nichts. Auf eine kranke Art ist es eben schade, den alten Major Tom zu verlieren. Es war gut, jemanden zu kennen, der über den Dingen stand. Ihn schien zum Beispiel niemals zu interessieren, wie »das Spiel« ausgegangen ist. Alle anderen Amis müssen ja ständig immer irgendein »Spiel« gucken und so reden, als ob ihr Leben davon abhinge. Über so was hat John nie ein Wort verloren, College Football und anderer Jock-Scheiß schien ihn nie zu interessieren. Der war wie Mister Big in dieser Frauenserie -einer, der weder über Geld redet noch über Autos oder Gefühle. So gesehen war er, hinter Nick vielleicht, der perfekte Beifahrer. Später in der Serie wurde ja dann verraten, wie Mister Big in echt heißt. Totaler Mist, warum durfte er nicht weiter das Enigma ohne Namen sein? Frauen wollen immer alles entzaubern, die können es nicht ertragen, wenn jemand Geheimnisse hat. John war John, unser Mann im All, ein Überirdischer, zu dem wir aufschauen konnten. Jetzt schwitzt er, muss pissen und jagt dem schnellen Dollar hinterher. Erbärmlich. Zum Heulen. Vor allem, weil für viele Sachen jetzt keine Zeit mehr bleibt: Andie treffen, mit Sabina mal richtig reden, BigSis sagen, dass ich ohne sie verdammt einsam auf diesem Felsen im Weltall wäre, obwohl wir so gut wie nichts mehr miteinander zu tun haben. Zusammenreißen. Das ist nur der Schlafentzug, der bringt einen triefender drauf als 'ne Merci-Werbung. Was ist? Der Beifahrer strahlt mich an.

»Alter, das isses! «, stottert er.

»Was ist was?«

»Ich hab den Fehler.«

Und dann beharkt er mich mit Wortsalven, als ob er all den Kram, der sich in seinem Kopf in den letzten Stunden aufgestaut hat, auf einmal loswerden müsste.

»Also, was wir hier haben ...«

Wir, sehr lustig!

» ... ist ein Problem wie beim Apple Lisa. Du weißt schon: Bei dem kann man als Datum in der Systemuhr auch nur die Jahre 1981 bis 1995 eingeben, weil der Zähler nur vier Bit hat und eben nur fünfzehn Jahre darstellen kann. Genau den gleichen Fehler haben die Programmierer bei der Software für Keyhole gemacht.«

Bei dem Satelliten da oben ist also nur das falsche Datum eingestellt? Will er das damit sagen? Nick bohrt den Finger in sein unlesbar winziges Gekritzel.

»Also hiiiier gibt es eine Routine, die im Speicher auf einen 5-BitWert zugreift. Ich vermute mal, da ist die Jahreszahl der Systemuhr hinterlegt. Und fünf Bit reichen nur, um die Zahlen null bis 31 darzustellen, also 31 Jahre. Wurde der Keyhole nun Anfang der Achtziger hochgeschossen ... «

»... das heißt, Ende der Nuller war das Jahr mit der Nummer 32 erreicht. Da aber kein Bit mehr für das Datum übrig war, sprang die Systemuhr auf null, der Prozessor stürzte ab oder landete in einer Endlosschleife«, ergänze ich, der brave Schüler im Informatik-Einführungskurs. Kann es so banal sein? Vom großen Lehrer kriege ich heute jedoch kein Sternchen unter meine Hausaufgaben gemalt. Nick runzelt die Stirn.

»Nein, ich glaube der Prozessor ist hierher gesprungen.«

Er hält mir den nächsten Ausdruck unter die Nase.

»Und was ist da?«

»Wohl eine Art von Wartungsmodus. Der Satellit denkt, dass er wieder auf der Abschussrampe steht, und deaktiviert alle Steuerdüsen, damit er nicht zusammen mit der Trägerrakete in die Luft fliegt.«

Okay, jetzt fängt es endgültig an, nach einer Story aus M.P., Meister Plattmachers rasantem Magazin, zu riechen. Wie immer. Und wie immer bremst das nicht im Geringsten Nicks Redefluss.

»Guck nicht so!«, protestiert er.

»Das wäre nichts Ungewöhnliches, die meisten großen Katastrophen fangen mit läppischem Kleinscheiß ein. Den Russen zum Beispiel ist Ende der Achtziger mit einer ihrer Mars-Sonden was ganz Ähnliches passiert. Einer der Programmierer hatte sich damals vertippt und die Software trotzdem hochgefunkt, und -zack! - schon fiel die Sonde namens Fobos Eins in einen tiefen Dornröschenschlaf. Die Steuerdüsen ließen sich nicht mehr starten, die Solarzellen waren nicht mehr auf die Sonne gerichtet. Ende. Fobos Eins ward nie mehr gesehen. Und all das nur, weil jemand aus Versehen einen Delimiter falsch platziert hatte.«

Einen was? Egal, es ist halb zehn, in einer halben Stunde muss John die korrigierte Software der NRO übergeben, für weitere Ergüsse bleibt also keine Zeit. Leider scheint Nick die Zeit etwas aus den Augen verloren zu haben, denn er schwafelt ungebremst weiter.

»Was mich allerdings wundert, ist, dass der Satellit nicht längst verglüht ist, denn normalerweise werden die Teile auf eine ziemlich niedrige Umlaufbahn geschossen, sodass sie nach ein paar Jahren ganz von selbst abstürzen. Weißt du: Spionagesatelliten kreisen auf einem so genannten Recon -Orbit, das heißt, sie fliegen über die Pole und die Erde darunter dreht sich. So können sie alles mal ... «

»Du kannst den Bug also rausmachen?«, fahre ich dazwischen.

»Was heißt denn rausmachen?«

Angewiderter Blick wegen a) der Unterbrechung und b) meiner unfachmännischen Ausdrucksweise. Nick macht mit dem Hals so eine gekünstelte Bewegung, als würde er sich den Hals einrenken.

»Also, im Prinzip ist die Sache trivial: Das NRO muss nur diese Ausdrucke scannen und die Software nochmal zu Keyhole hochfunken - für den Fall, dass durch den Bug irgendwelche Programmteile überschrieben wurden. Danach würde es reichen, die Elektronik des Satelliten neu zu starten und seine Systemuhr auf, sagen wir mal, 1995 zu stellen. Dann würde die Kiste denken, sie sei auf einer normalen Mission und würde wieder den Befehlen der Bodenstation gehorchen. Die Jungs vom NRO müssten nur kurz die Steuerdüsen zünden und Keyhole auf einen sicheren Absturzkurs bringen, bei dem er nicht mit anderen Satelliten zusammendonnert.«

Lustig. Have you tried turning it off and on again? Schalt doch mal aus und dann wieder an -genau das sage ich auch immer BigSis, wenn sie mal wieder mit einem Computerzipperlein anklingelt. Und in 99 Prozent der Fälle ist danach alles wieder gut. Unglaublich, dass das auch mit einem Millionen-Dollar-Aufklärungssatelliten funktionieren soll. Nick hat Seite eins der Ausdrucke raus gekramt und fängt an, auf Englisch irgendwas draufzuklieren. Plötzlich taucht Johns Gesicht hinter der Fahrerbank auf.

»Can you write down some instructions?«

Der Beifahrer nickt so heftig, dass ich aus purer Solidarität anfange, mitzunicken, obwohl ich mir nicht sicher bin, dass wir das wirklich können.

»That's good«, murmelt John, und dann nochmal, wie ein alter Opa, der geistig immer noch im Schützengraben kauert, »that's good.«

Fieeep, sein Telefon plärrt so laut durchs Auto, als ob jemand mit 'ner Flex das Dach bearbeitet. Da kann man wirklich nicht meckern: Alles, was die Datacorp benutzt, hat industrial strength. Da gibts kein Weichgeflöte aus dem Telefon oder -unvorstellbar - das voreingestellte Klingelgeräusch für zwölf jährige Mädchen mit Zahnspange, sondern nur akustisches Hardcore. Hoch qualifizierte Ingenieure haben dieses Fieeep wahrscheinlich so zusammengebaut, dass man es selbst dann noch hört, wenn man sich gerade aus einem Chinook-Hubschrauber abseilt. Als Jungs haben wir die Helikopter beim Quartettspielen immer Bananen genannt. John nimmt ab, sagt aber nichts, sondern wackelt nur zustimmend mit dem Kopf. Gleichzeitig fängt er, sich hektisch nach links umzudrehen, so, als suche er etwas, das am Straßenrand liegen geblieben ist. Wonach kann der hier nur Ausschau halten? Von den romantischen Obstplantagen ist schon lange nichts mehr zu sehen, stattdessen windet sich die Interstate jetzt durch karge Hügel. Steile, rote Felswände ziehen vorbei, als ob wir durch eine Miniversion des Grand Canyon rasen. Wir verrenken uns sofort auch die Hälse, um zu erkennen, was ihn so interessiert, doch außer Steinen und gelbem Wüstengestrüpp gibt es nichts zu sehen. Major Tom nuschelt irgendwas vor sich hin, bellt »affirmative« und legt sein Telefon weg. Nick tippt mich an. Auf der linken Seite öffnet sich eine Schlucht, und dann sehe ich es auch, unser Ziel.

Extraleben - Trilogie
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