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Achtung! Bei Dienstende müssen die Wasserhähne überprüft werden. Ein ordentlicher Geist hat die Worte sauber in Times New Roman, 24 Punkt, ausgedruckt und das DIN-A4-Blatt von außen an der Toilettentür geklebt. Und die gleiche Person hat den Zettel sogar in so eine durchsichtige Plastikhülle gesteckt, die es in Büros immer gibt - damit Wasserspritzer die Buchstaben, und damit die wichtige Instruktion, nicht unleserlich machen. Vorbildlich. Dienstende. Ich steige die Treppe von der Toilette zum Gastraum hoch und gehe raus auf die Terrasse, wo Nick schon neben zwei Kännchen Kaffee in der Sonne grillt.

»Alter?«, flüstert er.

»Alter«, sage ich und lasse mich fallen. Eigentlich waren wir schon fast zuhause, die ersten bekannten Radiosender kamen rein, wir wussten, welche Ausfahrt auf der Autobahn als nächste kommen würde und wer da früher mal gewohnt hat. Doch dann machte der Beifahrer den genialen Vorschlag, nochmal rauszufahren, und da das bedeuten würde, nicht gleich vor der Tür zum Dorint stehen zu müssen, war ich sofort dafür. Also sind wir nochmal von der Autobahn runter und rein in die kleine Stadt im Süden. Haben neben dem Zoo geparkt und sind runter zum Marktplatz marschiert, genau zu dem Café, in das wir uns damals besser mal reingesetzt hätten, am Tag, als Irving starb. Schweigend sind wir an den Geschäften vorbeigelaufen, dem 1-Euro-Shop, der Erotikbar Chérie, der seelenlosen Filiale einer Kettenbäckerei. In der Auslage krabbelten ein paar Bienen träge über die Puddingteilchen. Nur noch ein paar Wochen, dann würden da diese Nikoläuse aus Hefeteig liegen: Die Grundschüler würden sich um die Lollis streiten, während die Teenies einen irren Spaß daran hätten, abends mit der Pfeife ihren Shit zu rauchen oder zumindest darüber zu reden. Weil so viel passiert ist, fühlt es sich an, als ob der Sommer schon fast vorbei ist, dabei waren wir nur ein paar Tage weg und der Hochsommer kommt erst noch. Sommer. Wenn man anfängt, wie die Indianer statt in Jahren in Sommern oder anderen Jahreszeiten zu rechnen, erscheint einem alles lächerlich kurz. Nur noch zwanzig Sommer bis zur Rente. Wie kurz ist das bitte? Waldorf und Statler lehnen sich zurück und schauen den guten Bürgern der Stadt zu, wie sie ihre kleinen Erledigungen erledigen, damit am Dienstende auch alles seine Ordnung hat. Das Paar im mittleren Alter, er mit Jutetasche, sie daneben wild gestikulierend, schlendern die Einkaufsstraße entlang. Eine alte Dame mit Kamelhaarblazer und Perlenohrringen - sie sieht mit ihren kurzen Haaren wie Loki Schmidt aus - hat es sehr eilig. Dazwischen stolpern unglückliche Anzughorden, die heute kein Tageslicht mehr sehen werden, Richtung Kongresszentrum. Eine Straßenbahn rumpelt durch die Kurve, vorbei an der grünen Statue in der Mitte des Platzes. Wir haben eben kurz nachgeschaut: Erzherzog Soundso steht drauf; hätte man in Geschi aufgepasst, wüsste man vielleicht, wer das war. Und man wüsste auch, von wann diese schönen Häuser sind, die drumherum stehen. Habsburgergelb heißt die Farbe der Fassaden, hat Sabina maI gesagt. Es klingt schön, wenn sie es sagt, wie fast alles. Der Beifahrer nimmt seine Sonnenbrille ab; in seinen Augen spiegelt sich die Mittagssonne. Obwohl sich alle bedrohlichen Dinge in Nichts aufgelöst haben, sieht er aus, aIs ob ihn immer noch was auf der Seele liegt. Ich klopfe ihm auf die Schulter.

»Tja, dann hätten wir's mal wieder geschafft.«

»Was geschafft?«

Er klingt sehr müde.

»Wir haben einen durchgeknallten Forscher, der vielleicht herausgefunden hat, wie man die Welt zum Stillstand bringt. Wir haben eine Macht, die uns vielleicht fast um die Ecke gebracht hätte. Und alles, was wir vielleicht wissen, hält jetzt ein Mann in der Hand, von dem wir nicht mal den Nachnamen kennen. Ich würde sagen, wir haben nichts geschafft.«

»Und, ist das schlimm?«

Nick sagt »nein«, und weil er ein guter Mensch ist, der nicht lügen kann, kaufe ich es ihm sogar ab. Unter einem Kastanienbaum neben dem Rathaus ist ein Karussell aufgebaut, auf dem sich gemütlich kleine Vespas und Feuerwehrautos drehen. Eine Oma steht daneben und sieht zu, wie ihr Enkel völlig unbeweglich auf einem der Roller sitzt und die Rotation genießt. Was jetzt - alles wieder auf Anfang? Ich warte, bis Nick seine Kaffeetasse abgesetzt hat; es soll ja hier nicht hektisch werden. Aber irgendwie klappt das mit dem Cowboy-Gespräch heute nicht, ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen.

»Tja, für mich geht's dann wohl zurück zu den Tandys.«

Nick schenkt sich sehr bedächtig aus dem Kähnchen nach, bevor er antwortet.

»Glaubst du - nach der ganzen Aktion? Ich weiß nicht.«

Zum ersten Mal seit Jahren klingt er nicht so, als wäre er von dem, was er tut, bedingungslos überzeugt. Nicht gut für einen Angestellten des Monats. Bezweifelt er etwa, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass wir das große Los gezogen haben? Oder will er sich womöglich abseilen? Alter, kannste nicht machen, nach all der Zeit. Hey, wir sind doch immer noch die Helden für eine Mark! Daran kann doch auch kein Kind was ändern, oder? Nun spuck's schon aus, aber diesmal bitte selbst, ich kann dir nicht helfen, denn ich weiß nicht, was los ist. Der Beifahrer schließt die Augen und scheint ausnahmsweise mal die Sonne zu genießen. Ich mache es ihm nach und freue mich über den Soundtrack. Das Klingeln der Straßenbahn, das Klimpern des Wechselgeldes auf dem Nachbartisch. lachende Omas hinter uns, eine Kirchturmuhr. Heimat. Lange Minuten vergehen. Immer wenn er seine Position wechselt, um mal das linke, mal das rechte Bein übers andere zu schlagen, stöhnt der Beifahrer, als hätte ihm in dem Moment jemand einen Sack Zement auf die Schulter gewuchtet. Irgendwann beschließt er, sich genug gequält zu haben.

»Sag mal ...«

»Ja?«, schieße ich raus.

»Hast du dich nie gefragt, wer sie waren - zum Beispiel, wer uns damals im Garten abgehört hat?«

»Klar, Aber wie sollten wir das rauskriegen? Wie heißt es in den Agentenfilmen immer: Es war eine fremde Macht.«

Nick lächelt und neigt den Kopf zur Seite.

»Und was wäre, wenn wir es doch rauskriegen könnten?«

Ich beuge mich nach vorne.

»Wie?«

»Weißt du noch, als ich die Wanze plattgemacht habe?«

Aber sicher weiß ich das noch, du hast mir Angst gemacht, Mann.

»Hm.«

»Da war es genau zwölf Uhr zwei und fünfundfünfzig Sekunden. Und mal angenommen, man würde bei einer Organisation arbeiten, die sich schnell und unkompliziert Zugang zu den internen Daten aller Mobilfunkunternehmen verschaffen könnte.«

Angedeutetes Grinsen.

»Und weiter angenommen, man würde in diesen Datensätzen nachschauen, welche Handys um zwölf Uhr zwei und fünfundfünfzig Sekunden bei dem Handymast um die Ecke von unserem Haus eingebucht waren ...«

»... könnte man sehen, wer in dem Moment, als du die Wanze plattgemacht hast, offline gegangen ist und wem der Anschluss gehört. Oh shit, Alterl«

Nick greift unter seinen Stuhl und lässt seinen Dienstrechner vor sich auf den Tisch krachen, als ob er sich keine Sorgen um die feinen Interconnects macht, die in jeder Sekunde brechen könnten. Anschalten. Einklinken ins DCSNet. Mechanisch führt er die gleichen Befehle aus, die er schon tausend Mal ausgeführt hat, auf der Straße, im Flugzeug, in der Wüste und - ich kenne ihn - im Bett neben Sabina. Für die Leute am Nachbartisch könnte es so aussehen, als würde die Maschine ihn bedienen, als wäre er eine Marionette von Skynet. Rastlos hackt er auf die Tasten ein, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Auf einmal hört das Klickern auf. Was? Was? Nick starrt wie betäubt erst den Bildschirm, dann mich an. Sein Blick sagt: Überleg dir gut, ob du rüberschauen willst, Kee, denn wenn du es wirklich tust, wird nichts mehr so sein, wie es vorher war. Stumm dreht er den Rechner rüber. Die Zeile ist nicht schwer zu finden, sie fällt direkt ins Auge. Denn sie enthält ein Wort, das in unseren Köpfen längst gespeichert ist.

SUBSCRIBER : DATACORP

 

 

Extraleben - Trilogie
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