#23 T-4: 09:02

Willkommen im Air-Force-County. Wie so oft in den kleinen Dörfern fehlt auch hier die Kohle, um außer der Hauptstraße irgendwas zu teeren. Deshalb starren wir von der Veranda unseres Motels auf einen braunen Strom aus Schotter. Auf dem verwilderten Grundstück dahinter steht ein Mobile Home, eines dieser Häuser, die man mit einem Tieflader woanders hinschaffen kann, falls die Bullen dahintergekommen sind, dass man in den eigenen vier Wänden ein bisschen Meth geköchelt hat - die Dorfdroge, die hier alle kaputt macht. Wer auch immer in der Bruchbude gerade vor sich hinschmort, er hat Stil. Direkt vor der Tür rosten zwei alte Camaros vor sich hin, solche Angeberschleudern aus den Siebzigern, die bei uns nur Zuhälter fuhren. Beide sind gelb lackiert, mit zwei schwarzen Go-faster-Streifen quer über Dach und Motorhaube. Früher haben die Muscle-Cars mal geglänzt, jetzt ist der Lack so matt wie der Staub im Straßengraben, und über den Radkästen sprießen Rostpocken aus dem Blech. Die Einfahrt zum Motel geht nicht zum Highway raus, sondern nach hinten, Richtung Trailerpark, was nichts anderes bedeutet, als dass in dieser Unterkunft niemals ein Ami mit geregeltem Einkommen absteigen würde. In diesem Land gibt es klare Übernachtungsregeln. Wer im Motel in der zweiten Reihe logiert, für den ist der amerikanische Traum geplatzt. Kurzer Blick in die White-Trash-Checkliste, ja, das Motel erfüllt alle Anforderungen: Aufgerissene Polstermöbel vor den Zimmern? Check. Stapelbare Restaurantstühle mit bordeauxrotem Kunstlederbezug im Zimmer? Check. Keine TV-Kanäle, weil der Motelbesitzer die Kabelrechnung nicht bezahlt hat? Check. Dafür hat uns der Aso im Office nicht schräg angeguckt, als wir zum Bezahlen unser Bares raus geholt haben. Zwei pickelige Teenies mit Baseballkappen klappern auf ihren BMX-Rädern vorbei, mitten durch Mückenschwärme, die in der Abendsonne über dem Schotterweg spielen. Für die Pickelbubis müssen wir ziemlich seltsam aussehen: ein blauäugiger Typ mit Nadelstreifenhose und verknittertem schwarzen T-Shirt. Daneben ein Dunkelhaariger mit Löchern in der braunen Cargohose und zerfetzten Chucks - der wirkt nicht ganz sauber, könnte von südlich der Grenze kommen. Wäre nicht das erste Mal, dass ich in der Mexikaner-Schublade lande. Jedenfalls zwei sehr seltsame Gestalten -zu abgefuckt, um auf Geschäftsreise zu sein, gleichzeitig zu alt für den Kumpeltrip. Bleibt wie immer nur eine Option übrig: Jungs aus San Francisco. Wir sind mal wieder im Air-Force-County angekommen, in einem der Nester, die nur deshalb existieren, weil hier die Luftwaffe eine Basis aufgemacht hat - oder die Nationalgarde, so eine Art von Schützenverein mit Düsenjägern. Im Park neben der Schule, an dem wir vorbeifuhren, thronte ein riesiger Jet auf einem Podest - »eine F-111«, wie der Beifahrer zu berichten wusste. Erstaunlicherweise hat er darauf verzichtet, ein Retrorätsel draus zu stricken, so nach dem Motto »In welchem Titel kommt das Wort >F-111< vor?«.

Ha, es wären natürlich die obskuren Sigue Sigue Sputnik gewesen mit »Love Missile F-111«.

Shoot it up. So abgefuckt, wie das Nest aussieht, sind die Fly Boys wohl schon lange abgezogen. Es wird halt niemand mehr gebraucht, der die Westgrenze der USA gegen anfliegende russische Bomber absichert. Drei Stunden südlich von hier haben die Generäle damals einen ganzen Berg aushöhlen lassen, um sich da ihren Atombunker einzurichten. Cheyenne Mountain, kennt man ja aus »War Games«.

Dieser Mistfilm verfolgt uns echt. Nachdem wir gewartet hatten, bis der Datacorp-Hubschrauber auch garantiert weg war, wagten wir uns ganz vorsichtig aus dem Parkhaus raus. Die Luft war rein. Da unsere Verfolger ja ohnehin schon wussten, wo wir sind, ist Nick nochmal schnell ins Terminal rein, um am Automaten Geld nachzutanken. Ich musste danach noch zwei Stunden lang fahren, bis wir uns einig waren, dass der Sicherheitsabstand zu Denver und unseren Verfolgern groß genug sei. Der Beifahrer bestand darauf, nur über Landstraßen zu holpern, anstatt die bequeme Interstate-Schnellstraße zu nehmen. Jetzt, eine Dusche und einen Trip zur Tanke später, geht sein Wunsch von vorhin in Erfüllung: Genüsslich setzt er seine Dose Mountain Dew an, seine absolute Lieblingslimo. Warum er nach diesem Monstertag - und obendrein fünf Minuten vor dem Schlafengehen - ein Getränk braucht, das so viel Koffein wie ein McDonald's Kaffee enthält, bleibt sein Geheimnis. Ich habe mich für ein Coors-Bier entschieden, das kommt sogar halbwegs aus der Gegend. Die Gewitterwolken haben sich in der Zwischenzeit verzogen, sodass die Abendsonne ungestört auf unsere Wangen brutzeln kann. Zum ersten Mal bleibt Zeit, richtig durchzuatmen.

»Jetzt spuck's schon aus, warum hat der Quirl abgedreht?«

Nachricht an mich selbst: Einen Hubschrauber »Quirl« zu nennen, klingt nur bei Chuck Norris gut, bei allen anderen nach Küchenutensil. Nick legt den Kopf etwas verlegen zur Seite, so, als sei ihm seine eigene Genialität peinlich.

»Tja, die konnten vermutlich nicht anders. Rund um jeden Flughafen gibt es so Zonen, von A bis E. Und in die innerste Zone, den Class-A-Airspace, kommt so leicht kein Hubschrauber rein, weil sonst die Gefahr zu groß wäre, mit einer der startenden oder landenden Maschinen zu kollidieren.«

Solche Worte liebt er - »kollidieren«.

Er könnte auch »zusammenstoßen« sagen, nur würde das wesentlich unmilitärischer klingen. Lustig, dass gerade er, der Ex-Zivi, so auf diesen Armeesprech abfährt.

»Jedenfalls scheint der Air Traffic Controller ...«, also der Fluglotse, » ... den Jungs von der Datacorp keine Freigabe erteilt zu haben. Voila. - sie mussten abdrehen.«

»Hätten sie nicht einfach in der Luft warten können?«

»Klar hätten sie, aber spätestens nach anderthalb Stunden wäre ihnen der Sprit ausgegangen. Die haben sicher noch 'nen Wagen geschickt, aber der hat uns ja leeeeider verpasst.«

Zufrieden nippt er kurz an seinem Dew.

»Das darf uns aber nicht nochmal passieren!«

Holla, der Business-Ton kam aber jetzt unvermittelt.

»Heißt?«, frage ich brav.

»Heißt: Ab jetzt dürfen wir der Firma nicht mehr den Fitzel einer Chance geben, uns zu lokalisieren.«

»Na, in diesem Loch finden sie uns sicher nicht«, witzele ich. Nick lässt mich mit meinem jovialen Einwurf voll auflaufen.

»Da kannst du dir nie sicher sein«, sagt er und fügt mit einem extra-ernsten Gesicht hinzu: »Nie!«

Und was bedeutet das? Nick schaltet den Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Blick wieder aus.

»Die Regeln sind einfach: Nicht telefonieren, keinen Rechner anfassen, keine Kreditkarten benutzen -und kein Geld ziehen!«

Logisch, den konnte er sich nicht verkneifen.

»Außerdem große Städte meiden, da steht an jeder Ecke eine Cam, die den Verkehr überwacht. Um alle Straßen, die Maut kosten, müssen wir 'nen Bogen machen, weil an dem Zahlkabüffchen Kameras alle Nummernschilder aufzeichnen.«

Dass die Datacorp selbstverständlich Zugriff auf all diese Netze hat, erwähnt er nicht mal mehr. In dem Moment, als uns der Heli aufs Korn genommen hat, ist bei ihm das letzte Quäntchen Vernunft verdampft. Ein fetter Typ auf einem Quad knattert vorbei und zieht eine riesige Staubfahne hinter sich her. Langsam findet Nick Gefallen an seiner Predigt und legt sich richtig ins Zeug.

»Wir dürfen mit niemandem reden, der auch nur in der Nähe eines Rechners sitzt. Sprich: Große Motelketten sind passee, weil die deinen Namen gleich in eine Marketing-Datenbank eintippen. Vor allem sollten wir den Cops aus dem Weg gehen. So, wie ich die Datacorp kenne, haben sie Grace von der Vermietung eingeredet, dass wir die Karre nicht zurückbringen. Sie wird dann vermutlich die Bullen informiert haben. Würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn wir schon in einer Polizeidatenbank stehen.«

Noch bevor ich meiner Angst irgendwie Luft machen kann, spult Nick weitere Überwachungsszenarien ab: Mein Telefon solle ich nicht nur ausmachen, meint er, sondern am besten gleich wegwerfen, weil man es selbst abgeschaltet mit einem »nonlinearen Junction Detector« aufspüren könne - ein Gerät, das Radiosignale aussendet und merkt, wenn sie von Schaltkreisen reflektiert werden. Wow, vor dem Einwand ziehe ich respektvoll meinen Hut aus Alufolie. Dass ich ihm einen Vogel zeige, ignoriert er einfach und brabbelt weiter.

»Ums kurz zu machen ...«

Damit beendet er immer seine Reden, wenn er es eben nicht kurz gemacht hat.

»Alter - wir müssen wieder analog werden.«

Extraleben - Trilogie
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