17

Auch Tajirika war überzeugt, bald eine Leiche zu sein. Nach seiner Festnahme hatten sie ihm die Augen verbunden und ihn in eine dunkle Kammer geworfen. Ein winziges Licht über ihm, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte, war sein einziger Gefährte. Im Dunkeln brachten die Wärter ihm Essen und Wasser und beantworteten wie seine Kidnapper keinerlei Fragen. Die Tage und Nächte in schmerzvollem Schweigen machten ihn taub vor Angst. Der Gedanke, er könnte seinen ganzen Besitz verlieren, war unerträglich. Er hätte alles getan, um ihn zu retten, hätte sich selbst denen zu Füßen geworfen, die für seine Inhaftierung verantwortlich waren. Nur, wer waren sie?

Ein Verdacht nach dem anderen suchte ihn heim. Hatte Vinjinia, als sie sich in Haft befand, was ihn betraf, gelogen, um im Austausch dafür freigelassen zu werden? Oder hatte man Nyawĩra gefasst und sie hatte ihn als Mittäter ihrer Verbrechen angeschwärzt?

Er war entschlossen, seinen Entführern und allen Lügen entgegenzutreten, die man über ihn verbreitete; und er wollte seine Bereitschaft zeigen, die Verfehlungen und Unterlassungen zu bereuen, deren man ihn beschuldigte.

Sikiokuu hatte das vorausgesehen. Ihm war klar, dass Tajirikas augenblicklicher Geisteszustand alle möglichen unverlangten Beichten zur Folge haben würde. Der verzweifelte Kerl wäre bereit, sich völlig Sikiokuus Gnade auszuliefern. Deshalb konnte Sikiokuu mit mehreren Optionen spielen.

Vinjinias unerwartetes Einschreiten im Beisein der Presse vereitelte diese Pläne und zwang Sikiokuu, so viele Informationen wie möglich aus Tajirika herauszupressen, bevor der Herrscher in Amerika die Nachricht von seiner Verhaftung erfuhr. Er befahl seinen Leuten, unverzüglich mit den Verhören zu beginnen.

Sie brachten Tajirika aus der dunklen Kammer in ein Verhörzimmer und drückten ihn auf einen Stuhl. Vom Licht geblendet, musste er unkontrolliert zwinkern; zunächst konnte er nichts erkennen. Dann merkte er, dass er sich an einem Tisch in der Mitte eines Raumes befand. Ihm gegenüber saß ein Mann in einem schwarzen Anzug. Im Vergleich zur düsteren Kammer seiner bisherigen Haft war das für Tajirika eine große Verbesserung, aber die Demütigung brannte in ihm, und er keuchte vor kaum unterdrückter Wut.

„Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich bin von der Polizei“, sprach der Mann und reckte ihm über den Tisch die Hand entgegen. „Nennen Sie mich Assistent Superintendent Njoya, Elijah Njoya.“

Tajirika ignorierte die ausgestreckte Hand.

„Wissen Sie, wer ich bin?“, fragte Tajirika zornig, der seinen Vorsatz, auf Knien um Gnade zu betteln, völlig vergessen hatte.

„Natürlich, Mr. Tajirika. Als ob es in Aburĩria jemanden gäbe, der Sie nicht kennt!“, sagte Njoya sanft und bestimmt und machte Tajirika mit seiner scheinbaren Gleichgültigkeit gegenüber der Ungeheuerlichkeit, die man dem Vorsitzenden von Marching to Heaven angetan hatte, noch wütender. Gleichzeitig war er geschmeichelt zu hören, dass man ihn im ganzen Land kannte.

„Warum hat man mich verhaftet?“, sagte Tajirika fordernd.

„Verhaftet?“, fragte Njoya bestürzt. „I am sorry, but there must be a misunderstanding“, fügte er hinzu.

„Da gibt es kein misunderstanding. Sie haben mich in Golden Heights verhaftet, in meinem Haus, vor den Augen meiner Frau und der Dienstboten.“

„Wann genau war das?“

„Wollen Sie mir weismachen, Sie wüssten nichts davon?“

„Ich habe erst gestern erfahren, dass Sie sich hier aufhalten. Also nahm ich an, dass Sie gestern hier eingetroffen sind.“

„Gestern? Vor Monaten! Nicht vor Tagen! Und ich bin nicht ‚hier eingetroffen‘. Man hat mich wie ein Stück Holz oder einen Steinblock auf die Ladefläche eines Land Rovers geworfen und mich in dieses Höllenloch verfrachtet.“

„Das tut mir sehr leid, Mr. Tajirika“, meinte Njoya daraufhin. Und tatsächlich sprach er in scheinbar aufrichtigem Ton, mit der angemessenen Mischung aus Furcht, Demut und Respekt jemandem gegenüber, der Tajirikas gesellschaftliche Stellung innehatte. „Mr. Tajirika, ich werde das auf jeden Fall überprüfen. Sie als Unternehmer wissen ja, wie Befehlsempfänger sind. Man sagt ihnen, sie sollen einen Gegenstand holen, und sie kommen mit zehn zurück. In der Tat, wenn Ihre Frau nicht gewesen wäre …“

„Was ist mit meiner Frau?“, herrschte Tajirika ihn an.

„Nun, ich glaube, sie hat gestern Abend angerufen und die Polizei alarmiert, dass Sie verschwunden sind. Und sie fragte, ob Sie vielleicht hier auf der Wache sind.“

„Sie meinen, sie hat die ganze Zeit verstreichen lassen, ohne die Polizei zu alarmieren? Und wenn meine Entführer Gewaltverbrecher gewesen wären? Dann wäre ich längst Futter für die Würmer.“

„Machen Sie bitte Ihrer Frau keine Vorwürfe. Vielleicht wusste sie nicht, wo und wie sie nach Ihnen suchen sollte. Sie wissen ja, wie das mit den Frauen vom Lande ist …“

„Meine Frau ist nicht vom Lande. Sie ist ziemlich gebildet. Sie hat einen Schulabschluss.“

„Verzeihung. Das tut mir leid. Wie dem auch sei, Ihre Frau hat genau das Richtige getan, indem sie die Behörden von der Situation in Kenntnis setzte, und deswegen besuche ich Sie auch selbst, anstatt einen Untergebenen zu schicken. Ach, übrigens, was Ihre Frau angeht, rufen Sie sie doch bitte an und sagen Sie ihr, dass Sie bei der Regierung sind und sie sich keine unnötigen Sorgen machen soll.“

Wie ein Zauberkünstler holte der Polizist ein Mobiltelefon aus der Jacke und reichte es Tajirika. Als er das Gerät in der Hand hielt, hatte Tajirika das Gefühl, als würde ihm ein Stück seines früheren Lebens zurückgegeben. Selbstbewusst tippte er die Ziffern ein und lehnte sich zurück, als wäre er in seinem Büro. Superintendent Njoya schlich auf Zehenspitzen hinaus, als respektierte er Tajirikas Privatsphäre. Tajirika sprach am Telefon nicht viel, er war wütend auf Vinjinia, weil sie so lange gebraucht hatte, um sich an die Behörden zu wenden. Er teilte ihr lediglich mit – fast als würde er damit prahlen –, dass er sich in den Händen der Regierung befinde, sie sich um ihn keine Sorgen machen solle und ihre Aufgabe nur darin bestehe, sich um Haus und Unternehmen zu kümmern. Er beendete das Gespräch, ohne sich nach ihr oder den Kindern zu erkundigen und ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihm zu antworten. Nun kam auch Njoya wieder ins Zimmer, gefolgt von einer weiteren Person, die einen Servierwagen schob, auf dem sich ein Teller mit Hühnchen und Reis befand.

Tajirika aß mit großer Gier. Es war das erste ordentliche Essen seit vielen Tagen. Das Aroma eines guten Kaffees steigerte seinen Genuss und er rülpste zufrieden. Dieser Njoya war vielleicht doch kein so schlechter Kerl und könnte sich möglicherweise noch als Freund jener Polizisten herausstellen, die Tajirika jedes Jahr auf der Wache von Santamaria mit Weihnachtsgeschenken bedachte. Oder vielleicht sogar als Freund eines Freundes seines guten Freundes Machokali.

„Danke“, sagte er aufrichtig zu Njoya.

„Keine Ursache“, antwortete dieser. „Und jetzt, Mr. Tajirika, wollen Sie bestimmt erfahren, warum wir Sie zu uns gebeten haben. Wir möchten, dass Sie uns helfen, einige Dinge zu klären, danach sind Sie wieder ein freier Mann.“

„Sie bestätigen also, dass ich nicht frei bin?“

„Das ist nur so eine Redensart. Als Freund aber möchte ich Ihnen einen guten Rat geben. Nur Kinder verstehen oft den Zusammenhang der Dinge nicht. Sie sind mit Sicherheit kein Kind mehr und Sie kommen mir auch nicht verstockt vor. Jede bedeutende Person hat Feinde. Sie sind da keine Ausnahme, Mr. Tajirika. Und es gibt keinen besseren Weg, seine Feinde vernichtend zu schlagen, als sich alles von der Seele zu reden. Ihre Antworten und Ihr Verhalten sind sehr wichtig. Lassen Sie heraus, was immer Sie bedrückt. Das ist mein ganz und gar ehrlich gemeinter Rat.“

„Fragen Sie ruhig. Es ist noch nie jemand vor Gericht gestellt worden, weil er eine Frage gestellt hat. Ich habe nichts zu verbergen oder zu verschleiern. Ich habe immer das Loblied auf den Herrscher gesungen.“

„Genau so sollten wir die Sache angehen. Aber wie Sie selbst wissen, gibt es Leute, die tagsüber das Loblied des Herrschers singen und sich nachts gegen ihn verschwören. Darum sagen Sie mir Folgendes: Warum haben Sie die Vorladung nicht befolgt, vor dem Untersuchungsausschuss zum Schlangenwahn zu erscheinen, immerhin wurde diese Kommission vom Herrscher eingesetzt?“

Das war nicht die Art Frage, mit der Tajirika gerechnet hatte. Er wollte schon antworten, Sie meinen diese Kommission, der mein Stellvertreter vorsteht?, hielt sich aber zurück, um nicht den Fehler zu begehen, als Wortklauber dazustehen, wo es um die Weisheit des Herrschers ging.

„Ich wollte mich nicht entziehen, aber dann kamen andere Dinge dazwischen, und ich habe Tag und Zeit einfach verpasst. Jemand wie ich braucht ausreichend Vorlauf, um seine Angelegenheiten entsprechend zu regeln. Wir Geschäftsleute folgen nun mal dem Sprichwort: Zeit ist Geld.“

„Ganz wie die Engländer, nicht?“

Geschmeichelt von der Ähnlichkeit der Gedanken wollte Tajirika schon zustimmen, dachte dann aber an seine jüngste Krankheit, als ihm wegen seines Verlangens, ein Weißer zu sein, die Wörter im Hals stecken geblieben waren. Also schüttelte er den Kopf.

„Nun gut, bitte erzählen Sie uns etwas über den Schlangenwahn“, fuhr Njoya fort.

„Was wollen Sie wissen?“

„Natürlich alles. Es kann Ihnen ja nicht viel entgangen sein.“

„Sie sagen es.“

„Die Schlangen begannen bei Ihnen?“

„Sie sagen es.“

„Wie?“, fragte Elijah Njoya, den dieses „Sie sagen es“ irritierte.

„Ich weiß nicht über alle Warteschlangen Bescheid, aber ich weiß, dass eine davon an dem Tag, an dem Minister Machokali verkündete, ich werde als Vorsitzender von Marching to Heaven eingesetzt werden, vor meinem Büro entstand. Die Schlange war nicht lang und löste sich auf, nachdem ich mich mit den Anliegen der Leute befasst hatte. Trotzdem gab es Anzeichen dafür, dass es zu längeren Schlangen kommen könnte. Sehen Sie, viele Geschäftsleute riefen mich an, unmittelbar nachdem Sie von meiner Ernennung gehört hatten; viele kamen in mein Büro, um mir zu gratulieren und sich mir vorzustellen. Der Empfangsraum war dermaßen überfüllt, dass meine Sekretärin sie bitten musste, draußen eine Reihe zu bilden, damit einer nach dem anderen drangenommen werden konnte. Nach dem Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

„Ein hervorragender Grundsatz. Und was wollten die Leute?“

„Sie hatten gehört, dass die Global Bank schon bald Gelder für Marching to Heaven freigeben werde. Sie wollten meine Bekanntschaft machen, bevor die Baumaßnahmen beginnen, damit ich mich später an sie erinnere, wenn es um die Verträge für die Umsetzung des Projektes geht.“

„Und was war mit den Arbeitern, den Arbeitslosen, den Obdachlosen … wie auch immer Sie sie nennen wollen? Was war mit denen? Hofften die auch auf lukrative Verträge?“

„Darüber weiß ich kaum etwas, weil sie an dem Tag, an dem meine Ernennung zum Vorsitzenden von Marching to Heaven bekannt gegeben wurde, nirgends zu sehen waren. Aber kurz vor Büroschluss kam meine Sekretärin mit dem Vorschlag, Aushilfskräfte einzustellen, um mit den vielen Anrufen und den Geschäftsleuten, die persönlich vorbeikamen, fertig zu werden. Dies alles – sich um das Telefon kümmern, hochrangige Besucher empfangen, genaue Aufzeichnungen führen – konnte von einer Person allein nicht bewältigt werden. Ich hielt ihre Idee für gut und beauftragte sie, ein Schild anzubringen, das zur Bewerbung aufforderte. Das neue Schild sollte den alten Anschlag mit der Aufschrift ,Keine freien Stellen‘ ersetzen.“

„Und wie heißt Ihre Sekretärin?“

„Oh, bitte erinnern Sie mich nicht an sie – sie ist des Teufels“, fauchte Tajirika wütend.

„Wie heißt sie?“

„Nyawĩra.“

„Die Terroristin?“

„Genau die.“

„Hatte sie in Ihrer Firma das Sagen? Oder hat sie Sie so lange terrorisiert, bis Ihnen der Kopf schwirrte und Sie allem zustimmten, was sie verlangte?“

„Nein, damals machte sie den Eindruck eines guten Menschen, und sie schien in ihrem Denken und der Art, wie sie ihre Aufgaben erledigte, sehr reif.“

„Und körperlich? Sah sie auch gut aus?“

„Sie war sehr schön, das stimmt.“

„Außergewöhnlich schön?“

„Die Schönheit selbst.“

„Eine Schönheit, neben der alle anderen Schönheiten verblassen?“

„Oh, Sie hätten sie mal sehen sollen. Diese Wangen. Diese Brüste. Wie sie ging. Und diese Kleider, die aussahen, als hätte der Schöpfer selbst sie ihr auf den Leib geschneidert!“

„Es sieht so aus, als liefe Ihnen heute noch das Wasser im Mund zusammen, wenn Sie an sie denken.“

„In meinem Mund läuft das Wasser der Verbitterung zusammen, nicht der Liebe.“

„Es gab also eine Zeit, in der Ihnen das Wasser vor Verlangen im Mund zusammenlief? Erlauben Sie mir, so unverblümt zu sein und Sie direkt zu fragen: War da irgendetwas zwischen Ihnen und ihr?“

„Unsere Beziehung ging nie so weit“, antwortete Tajirika, den der Ton und auch die Richtung der Fragen Njoyas langsam aus der Fassung brachten.

„Sie meinen, Sie wollten nie Bekanntschaft mit dem schließen, was sich zwischen ihren Schenkeln befand? Warum nicht? Sind Sie einer von diesen Jesus-ist-mein-Erlöser-Arbeitgebern?“

„Ich?“, fragte Tajirika, der das Gefühl hatte, seine Männlichkeit werde in Frage gestellt. Er musste sogar lächeln. „Ich habe vielen Frauen das eine oder andere gezeigt. Nyawĩra aber war eher einschüchternd. Nicht, dass sie sich aggressiv verhalten hätte. Wie soll ich es ausdrücken? Es war, als könnten einem ihre Augen direkt ins Herz sehen. Diese Augen, und wie sie sich benahm, das konnte selbst den lüsternsten Mann zum Schlappschwanz machen. Wenn sie länger geblieben wäre, dann vielleicht … Ein richtiger Mann lässt ein Nein nicht als Antwort gelten, und sobald Frauen ins Spiel kommen, lautet mein Motto ‚Gib niemals auf‘!“

„Sie waren also scharf auf sie? Hatten Sie sich vielleicht in sie verliebt?“

„Das will ich damit nicht sagen, aber …“

„Ich weiß, ich weiß“, fügte Njoya eilig hinzu. „Als Mann weiß ich natürlich, es gibt nichts auf der Welt, was ein Mann nicht für eine Frau tun würde, wenn sein Herz einmal entflammt ist. Ich verstehe Sie voll und ganz, Mr. Tajirika.“

„Ich habe es Ihnen doch eben erklärt! Nyawĩra war wie ein brennendes Holzscheit ohne Zange.“

„Verstehe ich es richtig, dass Sie damit sagen wollen, Sie sehnten sich nach dem brennenden Holzscheit, aber es gab keine Zange zum Anfassen?“

„Nein, nein, es ist nicht so, wie Sie das darstellen. Ich will Ihnen eines sagen: Wenn ich heute, hier und jetzt, diese Frau in die Hände bekäme, würde ich ihr den Hals umdrehen, bis sie tot ist. Sie ist eine Verräterin“, erklärte Tajirika giftig.

„In Ordnung. Lassen wir den Fall Nyawĩra beiseite. Nehmen wir mal an, sie war nur Sekretärin. Sie wollen mir also erzählen, Ihre Sekretärin kommt zu Ihnen, ihrem Arbeitgeber, und trägt Ihnen auf, mehr Arbeitskräfte anzustellen, und Sie stimmen dem einfach zu und geben auch noch Ihre Einwilligung, ein Schild draußen aufzustellen?“

„Ja“, sagte Tajirika, obwohl ihm immer noch nicht behagte, wie Njoya seine Worte setzte, die unheilvoll klangen.

„Wie viele Zeitstellen wollten Sie denn vergeben?“

„Sagen wir mal drei“, antwortete Tajirika. „Vielleicht auch fünf.“

„Und wegen drei Leuten, oder meinetwegen auch fünf, hat sie Sie überredet, draußen ein Schild aufzustellen, um ganz Eldares zu verkünden, hier seien Arbeitsplätze zu haben?“

„Wie hätten Sie es denn gemacht“, fragte Tajirika zurück. „Es handelte sich um mehr als eine Stelle, also mussten wir es auch in den Plural setzen.“

„Sie stimmten ihr also zu, es in den Plural zu setzen, wodurch der Eindruck entstand, es könnte sich um Tausende Stellen handeln?“

„Ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern“, antwortete Tajirika, der sich vor diesem professionellen Wortverdreher und Bedeutungsänderer langsam hilflos vorkam.

„Und Sie haben es ihr überlassen, die Worte so zu setzen, wie sie das wollte?“

„Sehen Sie mal, Mr. Officer. Sie war meine Sekretärin. Jeder Chef gibt einer guten Sekretärin eine generelle Vorgabe, wie er Dinge geregelt haben will, und überlässt es ihr, Inhalt und Geist seiner Anweisungen zu respektieren.“

„Es wäre demnach korrekt zu sagen, dass Nyawĩra grundsätzlich Ihre Wünsche interpretierte und Ihre Anweisungen ausführte?“

„Ja, zumindest, während sie bei mir beschäftigt war. Was darüber hinausging, habe ich keinen Anspruch auf ihre Zeit erhoben.“

„In Ordnung. Eine gute Interpretin Ihrer Wünsche, während sie für Sie arbeitete, und frei in ihren Handlungen, sobald sie den offiziellen Arbeitsplatz verlassen hatte. Richtig?“

„Richtig. Sie sagen es.“

„Wie ist denn dann die Warteschlange aus Arbeitsuchenden entstanden?“

„Wissen Sie, nach jenem Tag meiner außergewöhnlichen Ernennung war ich eine Zeit lang leider nicht in der Lage, ins Büro zu gehen …“

„Warum nicht?“, fiel ihm Njoya ins Wort.

„Ich laborierte an einer Krankheit.“

„Sie waren krank?“

Tajirika zögerte. Wie sollte er diesem Inquisitor seine seltsame Krankheit erklären? Eine Krankheit, die nicht einmal einen Namen hatte?

„Eine Sache mit dem Herzen.“

„Ein gebrochenes Herz?“

„Nein, einfach Herzprobleme.“

„Ein Herzleiden? Das kann für einen Mann in Ihrem Alter und mit Ihrem Körperumfang sehr gefährlich werden. Ich bedaure, das zu hören, Mr. Tajirika. Wie lange waren Sie im Krankenhaus?“

„Ich war nicht im Krankenhaus.“

„Sie ließen einen Privatarzt kommen?“

„Ja … Nein …“

„Was denn nun? Ja oder nein?“

„Beides.“

„Wie meinen Sie das?“

„Ich bin zu einem Zauberheiler gegangen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir so jemanden als Arzt bezeichnen können.“

„Ein Hexendoktor. Sieh einer an! So einer sind Sie! Einer von der Sorte Afathali Mchawi?“

„Es ist besser, ihn als Wahrsager zu bezeichnen.“

„Aber, Mr. Tajirika, was, wenn Sie nun einen Bypass oder eine Transplantation gebraucht hätten? Hätte Ihr Hexendoktor das auch bewerkstelligt?“

„Bei mir handelte es sich nicht so sehr um ein organisches Leiden“, bemühte sich Tajirika zu erklären. „Ich meinte das Herz im Sinne von Seele. So in der Art.“

„Sie meinen, Sie waren durchgedreht? Verrückt?“

„Neiiin! Hapana! No, no!“ Tajirika wehrte diese Unterstellung gleich in drei Sprachen ab, um dem mehr Nachdruck zu verleihen. „Ich meinte Herz in dem Sinne, in dem wir sagen, der und der ist ein herzloser Mensch oder der und der hat ein großes Herz.“

„Eine psychiatrische Fehlfunktion also, etwas in der Art, ist das korrekt?“

„Ich habe keine Ahnung, was die Namen von Krankheiten angeht. Aber ich glaube, dass man einen Wahrsager als eine Art Psychiater bezeichnen kann.“

„Mr. Tajirika, kümmern wir uns nicht weiter um Namen. Egal wie es heißt, Ihr Herzleiden muss so schwer gewesen sein, dass Sie Ihrem Büro fernblieben, gleich nachdem Sie zum Vorsitzenden von Marching to Heaven ernannt worden waren. Es sei denn …“

„Was?“

„… es handelte sich um einen Trick, eine ‚diplomatische Krankheit‘, oder das, was wir in unserer Arbeit Alibi nennen. Sie hecken einen Plan aus, überlassen jedoch anderen die Ausführung. Haben Sie mir nicht selber gerade gesagt, dass man das als Chef so macht?“

„Ich verstehe nicht recht, was Sie meinen“, fragte Tajirika ein wenig verwirrt.

„Angenommen, und wir nehmen das tatsächlich nur an, Tajirika möchte eine illegale Versammlung von Arbeitern, dem Abschaum unserer Gesellschaft, potentiellen Aufwieglern, so organisieren, dass die sich in Form einer Warteschlange vor seinem Büro aufstellen. Würde er sich dann nicht aus dem Staub machen wollen und alles der zuverlässigen Interpretin seiner Wünsche überlassen? Denn sehen Sie, wenn er dann vor einen Untersuchungsausschuss geladen wird, kann er sagen: Ich war gar nicht da. Er könnte ein Alibi angeben, eine Hotelrechnung oder die Einweisung ins Krankenhaus oder den Brief eines Arztes vorlegen. Kennen Sie die Geschichte vom Daumen und den vier Fingern? Sie waren immer zusammen, alle fünf, eine Art Bruderschaft der Finger. Dann macht der Daumen eines Tages den Vorschlag: ‚Ziehen wir los.‘ ‚Wohin?‘, fragen die anderen. ‚Zu Mr. Ndegos Bank‘, antwortet der Daumen. ‚Und was wollen wir dort?‘, möchten die anderen wissen. ‚Den Besitzer bestehlen, die Bank ausrauben‘, sagt der Daumen. ‚Und was, wenn man uns erwischt?‘, fragen sie. ‚Hey! Ich werde nicht dort gewesen sein‘, sagt der Daumen. Und bis auf den heutigen Tag gibt sich der Daumen völlig unschuldig, steht abseits der anderen vier, die auch in ihrem Verbrechen zusammengehören.“

Tajirika wollte Njoya auf die Fehler in seiner Erzählung hinweisen. In der traditionellen Geschichte war es der kleine Finger, der die Idee mit dem Diebstahl hatte, und eine Bank kam überhaupt nicht darin vor. Außerdem hatte Njoya die Geschichte vom Daumen mit einer völlig anderen vermischt, in der eine Mutter, die auf die Frage ihres Kindes, wohin sie denn gehe, nur die ausweichende Antwort gibt, sie gehe zum Haus eines erfundenen Ndego zu einem Essen, das nur aus einer einzige Bohne bestehe. Aber Tajirika blieb stumm. Er war angesichts der Wendung in Njoyas Verhör und der Veränderung in seinem Tonfall, der unterschwellig Hochverrat und Tod implizierte, wütend und vor Schreck gelähmt.

„Mir gefällt überhaupt nicht, was Sie da unterstellen. Ich bin ein loyaler Bürger. Um ganz offen zu sein: In diesem Schrein bin ich ohne mein Wissen gelandet. So krank war ich. Und ich bin der Arbeit auch nicht nur einen Tag, sondern mehrere ferngeblieben, über eine Woche. Warum sollte ich mein Lebenswerk und meinen Besitz riskieren, um eine Schlange aus Arbeitslosen und Gesindel zu organisieren? Eine Warteschlange aus Jobsuchenden ist nicht gerade ein festlicher Umzug.“

„Sie behaupten, tagelang, ja sogar über Wochen hinweg nicht im Büro gewesen zu sein. Haben Sie das Büro dichtgemacht?“

„Nein.“

„Und wer hat sich während Ihrer Abwesenheit um das Büro gekümmert?“

„Die Sekretärin. Ich meine, sie war schließlich die Einzige, die …“

„Mit Sekretärin meinen Sie immer noch diese Nyawĩra?“

„Ja … aber meine Frau, Vinjinia, ging später ebenfalls ins Büro und übernahm die Verantwortung. Die vollständige Verantwortung. Was hatte ich Ihnen gesagt? Sie ist nicht vom Lande. Sie ist hochgebildet. Sie besitzt …“

„Nyawĩra und Vinjinia waren also zugegen, als der Schlangenwahn anfing? Ist es das, was Sie sagen wollen?“

„Ja.“

„Die beiden sind also die Einzigen, die als Augenzeugen berichten können, was sich dort abgespielt hat?“

„Sie sagen es.“

„Was?“

„Nur diese beiden können einen genauen Bericht liefern, weil sie dort waren. Alles, was ich weiß, stammt vom Hörensagen.“

„Wann sind Sie wieder zur Arbeit gegangen?“

„Nach der Versammlung auf dem Baugelände von Marching to Heaven.“

„Die im Eldares Park stattfand?“

„Sie sagen es.“

„Ersparen Sie mir dieses Jesus-Gehabe. Was wollen Sie damit andeuten, Mr. Tajirika? Soll ich etwa den Pontius Pilatus für Ihren Jesus Christus abgeben?“

„Nein, nein, nein. Davon würde ich nicht einmal zu träumen wagen. Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Sünder.“

„Dann gestehen Sie Ihre Sünden!“

„Was soll ich denn gestehen?“

„Ich war nicht dabei, als Sie gesündigt haben.“

„Was wollen Sie von mir?“

„Antworten Sie einfach vollständig auf meine Fragen. Handelt es sich bei dem Tag, an dem Sie die Arbeit wieder aufnahmen, um denselben Tag, an dem Sie geheilt wurden?“

„Nein, da war ich schon wieder gesund. Schon ein paar Wochen lang, um genau zu sein. Ich habe mich zu Hause erholt und nichts Erwähnenswertes getan.“

„Mr. Tajirika, Sie verwirren mich immer mehr. Bitte erklären Sie mir das. Wollen Sie mir weismachen, dass Sie zwischen dem Tag, an dem Sie zum Vorsitzenden von Marching to Heaven ernannt wurden, und dem Tag der Einweihung des Bauplatzes nicht ein einziges Mal im Büro gewesen sind, um zu prüfen, wie die Dinge standen?“

„Ich bin ein Mal hingegangen. An diesem Morgen, als ich vom Doktor …“

„Sie meinen vom Schrein des Hexendoktors?“

„Ja, vom Haus des Wahrsagers. Um ganz ehrlich zu sein, war das auch der Tag, an dem ich zum ersten Mal die Warteschlangen gesehen habe. Glauben Sie mir, Officer, es war ein überwältigender Anblick. Ein furchteinflößender Anblick. Die Reihen zogen sich durch ganz Santamaria. Das Büro wurde regelrecht belagert. Ich habe mich durch die Hintertür hineingeschlichen, ein Spezialeingang.“

„Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. An diesem Tag waren Sie also nicht krank?“

„Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich da gerade vom Doktor kam.“

„Dem Hexendoktor?“

„Dem Wahrsager.“

„Machen wir uns nicht wegen eines Wortes verrückt. Ich will von Ihnen Folgendes wissen: Sie waren zu diesem Zeitpunkt von Ihrer Krankheit völlig geheilt?“

„Ich versichere Ihnen, dass ich vollständig geheilt war. Ich habe mich nie im Leben besser gefühlt.“

„Also, Mr. Tajirika, warum sind Sie dann, obwohl Sie wieder gesund waren, nicht ins Büro gegangen? Oder meldeten sich die Herzprobleme zurück, als Sie die Warteschlangen gesehen haben?“

„Sie haben gesagt, dass ich die Wahrheit sagen soll, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe.“

„Und die Wahrheit wird Euch frei machen. Steht es nicht so in der Bibel?“

„Sie haben aber gesagt, dass ich mich nicht in Haft befinde.“

„Das ist nur eine Redewendung. Sagen Sie die Wahrheit und beschämen Sie den Teufel.“

„Wissen Sie, nachdem es mir gelungen war, mich unbemerkt in mein Büro zu schleichen, habe ich Machokali angerufen.“

„Den Minister?“

„Es gibt in diesem Land nur einen Machokali, und der ist mein Freund.“

„Ich will nur auf Nummer sicher gehen. Wir Polizisten sind wie Ärzte. Ärzte der Neuzeit, keine Hexendoktoren oder, wie Sie sie nennen, Wahrsager. Ein guter moderner Arzt stellt sicher, dass er alle Einzelheiten über eine Krankheit kennt. Weil er nur dann die richtige Medizin verschreiben kann. Wir bei der Kriminalpolizei sind Wahrheitssucher, und wir haben es gern, wenn wir unseren Fall auf Tatsachen aufbauen können. Ist es also korrekt, wenn Sie den Namen Machokali erwähnen, dass von Machokali die Rede ist, dem einen und einzigen Minister für Auswärtige Angelegenheiten in der Regierung des Herrschers von Aburĩria?“

„Ja, das ist korrekt. Ich habe ihn angerufen, um ihn zu fragen, ob er nicht die Armee einsetzen könnte, die Menschenmenge auseinanderzutreiben.“

„Eigenartig. Hat der Minister jemals zu Ihnen gesagt, dass er über die Macht verfügt, die Armee für irgendetwas einzusetzen?“

„Ich glaubte, als Minister wüsste er, wen er in einem solchen Fall ansprechen muss.“

„Sagen Sie mir, Mr. Tajirika, hat der Minister jemals gesagt, dass er von der Existenz einer Person oder einer Gruppe von Personen weiß, die neben dem Herrscher über die Macht zu verfügen glaubten, den Einsatz der Armee zu befehlen?“

„Oh, nein, nein. Nichts dergleichen. Aber was er zu mir sagte, veranlasste mich, die Warteschlangen mit anderen Augen zu sehen.“

„Und was hat er zu Ihnen gesagt?“

„Er sagte, diese Schlangen seien äußerst wichtig.“

„Wichtig?“

„Ja, weil die Schlangen zeigten, dass die Bevölkerung Marching to Heaven in vollem Umfang unterstützt. Die Schlangen würden diese Unterstützung demonstrieren.“

„Weiter, was noch?“

„Tatsächlich war es der Minister, der mir riet, nicht zur Arbeit zu gehen und zu Hause zu bleiben, als wäre ich noch krank …“

„Vorgeben, dass Sie krank wären? Warum?“

„Damit die Schlangesteher sich nicht trennen, sobald die Jagd nach einem Job auf die eine oder andere Art erledigt ist. Solange Sie auf mich warteten, hofften sie, und die Hoffnung würde die Warteschlangen am Leben halten.“

„Er hat Ihnen also gesagt, dass Sie lügen und vorgeben sollen, immer noch krank zu sein, obwohl Sie sich nie in Ihrem Leben besser fühlten?“

„Nein, nicht so, wie Sie das jetzt ausdrücken. Er wollte lediglich, dass die Schlangen erhalten blieben, solange die Global-Bank-Delegation im Land war und sich nicht auflösten, bevor die Einweihung des Bauplatzes für Marching to Heaven stattgefunden hat.“

„Na gut. Fassen wir mal zusammen. Sie sind in der Klemme wegen einer vorgeschobenen Krankheit. Sie lassen sich überreden, zu Hause zu bleiben, um wieder gesund zu werden. Wer hat sich dann um Ihr Geschäft gekümmert?“

„Vinjinia, meine Frau. Ich habe sie deshalb zur kommissarischen Geschäftsführerin ernannt. Mit der … der … Sie wissen schon … der Sekretärin als ihrer Assistentin. Als Hilfskraft.“

„Sie meinen Nyawĩra?“

„Genau die.“

„Und weil Vinjinia nicht gerade viel Erfahrung hatte, war es eigentlich Nyawĩra, der Sie die Führung Ihrer Geschäfte anvertrauten. Ist es nicht so?“

„Ja, Nyawĩra hatte mehr Erfahrung, aber ganz bestimmt nicht die Verantwortung. Sie war nur Untergebene.“

„Degradiert? Sie wissen doch, wie Frauen sind: eifersüchtig aufeinander. Manche Frauen geben keine Ruhe, bis sie die einzige Frau in einer Männerdomäne sind. Das Einzige-Frau-Syndrom.“

„Nein, ich habe sie nicht degradiert, und es gab keine Eifersucht. Um sie glücklich zu machen und um für die Zeit meiner Abwesenheit sicherzustellen, dass sie sich loyal verhielt, hatte ich ihr den völlig bedeutungslosen Titel einer Assistentin der kommissarischen Geschäftsführerin verliehen. Aber eigentlich war sie nichts anderes als eine bessere Empfangsdame.“

„Machokali … kannten er und Nyawĩra sich?“

„Nein, ich glaube nicht.“

„Aber Machokali hat Sie doch in Ihrem Büro angerufen?“

„Ja.“

„Und alle Anrufe gingen über den Empfang?“

„Manchmal. Er hat mich aber auch direkt angerufen. Meistens sogar, würde ich sagen.“

„Ist Machokali jemals in Ihrem Büro gewesen?“

„Ja, aber nicht oft. Nur wenn er in diesem Viertel von Santamaria zu tun hatte. Eldares ist ja eine große Stadt. Mehrere Städte in einer, wenn Sie mich fragen.“

„Und wenn sich Machokali und Nyawĩra irgendwo in der Stadt, die, wie Sie sagen, viele Städte hat, privat getroffen hätten, dann hätten Sie das nicht erfahren, oder?“

„Das stimmt, aber irgendwie glaube ich nicht, dass sie sich jemals außerhalb meines Büros begegnet sind.“

„Wenn aber doch, dann wüssten Sie nichts darüber?“

„Stimmt.“

„Wann war Machokali das letzte Mal in Santamaria?“

Tajirika zögerte. Er war sich nicht mehr sicher, ob ihr letztes Treffen geheim gewesen war oder nicht. Aber er entschied sich für die Wahrheit, um auf Nummer sicher zu gehen. Außerdem, dachte er tief im Innern, konnte es nicht schaden, diesem Polizisten zu zeigen, dass er, Tajirika, gute Verbindungen hatte und dass Machokali sein Freund war.

„Er besuchte mich, unmittelbar bevor er und der Herrscher in die USA abgereist sind.“

„Er besuchte Sie im Büro?“

„Nein, wir trafen uns im Mars Café.“

„Er ist also nicht ins Büro gekommen, um sich von Nyawĩra zu verabschieden?“

„Ich glaube, da befand sich Nyawĩra schon auf der Flucht.“

„Aber Sie haben doch gerade eingeräumt, dass sie es nicht erfahren hätten, wenn die beiden geheime Treffen vereinbart hätten?“

„Ich glaube wirklich nicht, dass sie sich getroffen haben.“

„Was macht Sie da so sicher? Wussten Sie, wo sich Nyawĩra zu diesem Zeitpunkt versteckt hielt?“

„Nein.“

„Und Sie waren auch nicht die ganze Zeit mit dem Minister zusammen?“

„Nein.“

„Nein zu was?“

„Nein zur Unterstellung, dass ich den ganzen Tag mit dem Minister zusammen gewesen wäre. Wir trafen uns im Mars Café, und nach unserem Gespräch ging er.“

„Sie können also lediglich sagen, Sie waren nie Zeuge, dass sich die beiden getroffen haben?“

„Ja, aber das heißt nicht, dass ich glaube, sie hätten es getan“, erwiderte Tajirika nachdrücklich und witterte eine Falle.

„Sie könnten aber vor Gericht nicht beschwören, dass sie sich nie an irgendeinem anderen Tag getroffen haben?“

„Das kann ich nicht beschwören“, sagte Tajirika eilig, sichtlich erschrocken über die Erwähnung eines Gerichtsverfahrens.

„Was war der Zweck seines Besuches? Warum wollte er sich mit Ihnen treffen?“

„Er wollte sich verabschieden. Wir sind Freunde.“

„Nichts weiter?“

„Nichts weiter.“

„Kommen wir noch einmal auf Ihre Krankheit zurück. Sie sagten, man hat Sie zu einem Hexendoktor gebracht, damit er Sie heilt. Wer hat sie dorthin gebracht?“

„Vinjinia, meine Frau.“

„Woher kannte sie den Hexendoktor?“

„Die Sekretärin hat ihr von ihm erzählt.“

„Nyawĩra?“

„Ja, Nyawĩra.“

„Dann war diese Nyawĩra also, sei es in geschäftlichen oder persönlichen oder auch familiären Angelegenheiten, immer irgendwo im Hintergrund dabei? So eine Art persönliche Vertraute und Familienberaterin?“

„Bitte verschonen Sie mich mit diesem Namen. Wenn ich diese Nyawĩra, bei allem, was ich mittlerweile über sie weiß, in die Finger kriege …“

„… dann würden Sie ihr den Hals umdrehen“, beendete Elijah Njoya den Satz, als machte er sich über ihn lustig. „Ich weiß genau, was Sie jetzt im Nachhinein machen würden, und das kann ich nur loben. Doch ganz im Ernst, Mr. Tajirika. Ich möchte Ihnen sagen, dass Sie uns sehr geholfen haben und dass Sie, wenn Sie sich weiterhin so kooperativ verhalten, einer Verbesserung Ihrer Lage entgegensehen können. Ich möchte Sie nur davor warnen, uns anzulügen. Erinnern Sie sich noch? Nur die Wahrheit wird Euch frei machen. Haben Sie mir auch wirklich alles erzählt?“

„Ich habe Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen geantwortet.“

„Und Sie haben auch nichts für sich behalten? Eine kleine Einzelheit vielleicht? Irgendetwas?“

„Nein. Nichts.“

„Eine letzte Frage noch: Wie heißt eigentlich der Zauberer, der Sie geheilt hat?“

Diese Frage traf ihn unvorbereitet. Er wollte schon antworten, Herr der Krähen, als ihm plötzlich aufging, was das zur Folge haben könnte. Geld. Die drei Säcke mit Geld. Was, wenn der Wahrsager das Vorhandensein dieser drei Säcke mit Burĩ-Scheinen zugab und außerdem, was noch schlimmer wäre, dass es sich bei dem Geld um die Visitenkarten derer handelte, die hofften, Gewinn aus Marching to Heaven zu schlagen? Das Letzte, was irgendjemand erfahren sollte, war, dass er Geld aus einem Projekt eingesackt hatte, an dem der Herrscher beteiligt war. Die drei Säcke mit Burĩ-Scheinen mussten um jeden Preis ein Geheimnis bleiben, das nur in den tiefsten Windungen seines Gedächtnisses lagerte.

„Ich kenne seinen Namen nicht.“

„Sind Sie tatsächlich sicher? Sie kennen den Namen des Hexenmeisters nicht?“

„Ein Wahrsager ist einfach als Wahrsager bekannt. So ist das häufig, nicht nur in meinem Fall. Viele, die solche Heiler aufsuchen, machen sich nicht die Mühe, sich ihre Namen zu merken. Ein Wahrsager ist schließlich nicht unbedingt jemand, den man zu einer Feier oder zu einem Gespräch unter vier Augen ins Büro einladen würde.“

Darüber musste Njoya lachen.

„Sie haben Sinn für Humor, Mr. Tajirika.“

„Vielen Dank, Mr. Officer.“

„Sagen Sie Elijah zu mir, Ihrem Freund.“

„Elijah, mein Freund“, sagte Tajirika folgsam. „Kann ich jetzt gehen?“

„Warum nicht? Ich kümmere mich um Ihre Überführung. Viel Glück, Mr. Tajirika.“

Als er allein zurückblieb, fühlte sich Tajirika mit einem Mal niedergeschlagen. Doch als er diese Begegnung noch einmal vor seinem geistigen Auge vorüberziehen ließ, empfand er Erleichterung. Er verspürte sogar ein Triumphgefühl, als ihm klar wurde, dass er nicht nur alle Versuche abgewehrt hatte, ihn mit Nyawĩra, dem Schlangenwahn und den angeblichen Verschwörungen Machokalis in Verbindung zu bringen. Er hatte es auch vermeiden können, Einzelheiten über seine Krankheit preisgeben zu müssen, und war mit einer Lüge über den Namen des Herrn der Krähen davongekommen. Was jedoch am wichtigsten war, er hatte nichts über die drei Geldsäcke verraten. Und außerdem hatte er Njoya auf seine Seite gezogen und zu seinem Freund gemacht. Schon morgen würde er wieder in seinem Bett in Golden Heights schlafen.

Herr der Krähen
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