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Weder Tajirika noch Vinjinia hätten es sich träumen lassen, dass ihre Schmerzenstränen solchen Freudenschreien weichen könnten. Der Schrei aber, der dann aus Vinjinias Mund kam, war weder vor Freude noch vor Schmerzen, und einige Sekunden lang brachte sie kein Wort heraus. Sie zeigte auf etwas. Tajirika schaute sich um. Der Anblick ließ auch ihn erstarren: Ein Vogelschwarm war direkt über dem Teich im Flug erstarrt. Ein paar Meter vom Ufer entfernt stand ein Hund im Wasser und bellte die Vögel an. Auch er erstarrte plötzlich vor ihren Augen.
Tajirika und Vinjinia nahmen die Füße in die Hand und sahen sich nicht ein einziges Mal um, bis sie ihr Haus erreicht hatten. Der Talboden schien zu beben, als wäre er hohl. Was hatte dieses Wasser an die Oberfläche gebracht? Was hatte es mit den im Flug erstarrten Vögeln auf sich?
Am nächsten Tag gingen sie wieder hin, in der Hoffnung, der Spuk wäre verschwunden. Er war es nicht. Jetzt waren auch noch Bienen und Schmetterlinge hinzugekommen, ebenfalls im Flug erstarrt. Auf der Wasseroberfläche waren Enten und Hühner, einschließlich eines Hahns, der gerade eine Henne besteigen wollte, mitten in der Bewegung eingefroren. Ebenso zwei Antilopen, die eine in der Luft, die andere beim Absprung.
Sie gaben es auf, das Geheimnis zu ergründen. Als Gacirũ und Gacĩgua in den Ferien nach Hause kamen, verboten Tajirika und Vinjinia ihnen, sich dem Tal zu nähern oder darüber zu reden, und verstärkten das Verbot mit Geschichten von Dämonen, die Kinder in einen Teich im Tal lockten und sie verschlangen. Gacirũ und Gacĩgua gaben diese Geschichten jedoch an ihre Freunde weiter, und schließlich kamen sie den Eltern zu Ohren, die ihren Kindern streng untersagten, dieses Gebiet zu betreten.
Die Eltern schmückten die Gruselgeschichten aus: Der Teich wurde zum See, der alles Leben, das mit ihm in Berührung kam oder darüberflog, zu Stein werden ließ. Sogar wenn man in seine Richtung schaue oder ihn nur ansehe, fügten andere hinzu, würde man in einen Stein verwandelt, was die Leute dazu brachte, selbst beim Gehen die Augen von der Richtung abzuwenden, in der sie den See vermuteten. Schweigen über den See war die Folge.
Tajirika und Vinjinia aber fühlten sich vom Teich angezogen wie Motten vom Licht. Sie fanden eine Stelle, von der aus sie ihn betrachten konnten, vor allem an Abenden, wenn das Licht auf die bewegungslosen Objekte fiel und diese je nach Intensität und Einfallswinkel der Sonne vollständig die Farben änderten.
Vinjinia und Tajirika nannten diesen Ort Museum der gefangenen Bewegung.