8

Als Kamĩtĩ am nächsten Morgen erwachte, wähnte er sich in einem Hotel, so luxuriös kam ihm das Zimmer vor. Er glaubte zu träumen, und wenn der Traum zu Ende wäre, würde er gemeinsam mit der Katze, die sich an ihn geschmiegt hatte, inmitten der verkohlten Reste des Schreins liegen. Aber die rasenden Kopfschmerzen überzeugten ihn, dass er bereits wach war. Er setzte sich auf die Bettkante und stützte das Kinn in die Hände. Wie war er hierhergeraten?

Er erinnerte sich an jemanden, der eine verdrehte Geschichte über die Nachricht erzählte, die er Machokali hinterlassen hatte; er konnte sich sogar erinnern, dass er zu dem Mann hingegangen war, um ihn zu korrigieren – nur, was daran machte ihn so wütend? Wieder erinnerte ihn die Wendung „Ehrlich! Haki ya Mungu!“ vage an einen Polizisten, dessen Anwesenheit in der Bar er nicht einordnen konnte. Er erinnerte sich auch an Motorräder und Gesichter, die denen von Njoya und Kahiga ähnelten. Was hatten sie mit dem Polizisten zu tun und was hatte alle drei in die gleiche Bar geführt?

Er stand auf. Vielleicht ließ sich durch einen Blick aus dem Fenster herausbekommen, wo er sich befand; aber sie lagen zu hoch oben und waren klein und erinnerten ihn an eine Gefängniszelle. Er war mutlos und angewidert von sich selbst, weil er über dem Alkohol sein Ziel, Nyawĩra zu finden, aus den Augen verloren hatte.

Zwei Soldaten betraten den Raum, warfen ihm ein paar Lumpen und Seife vor die Füße und befahlen ihm, sich zu waschen und fertig zu machen. Aber wofür? Er hatte sich die getrocknete Kotze noch nicht richtig vom Gesicht waschen können, als sie ihn bereits aufforderten, ihnen zu folgen und dabei so zu tun, als wäre er ein freier Mensch. Er solle nicht so dumm sein, eine Szene zu machen oder zu fliehen. Sie gingen durch Gänge und breite Flure vorbei an anderen Polizisten und Soldaten.

Wie überrascht war er, als er in ein Zimmer geschoben wurde und sich dem Herrscher und Tajirika gegenübersah! Er registrierte, dass der Herrscher noch immer an der selbst induzierten Körperausdehnung litt. Hatte man ihn deshalb entführt, damit er einen weiteren Heilungsversuch unternahm? War das der Grund für die Fahndungsplakate? Aber was machte Tajirika hier? Während seiner Hingabe an den Alkohol hatte Kamĩtĩ kaum Zeitung gelesen und wusste nicht, dass Tajirika mittlerweile Gouverneur der Central Bank war. Tajirika, dachte er, konnte einen wirklich durcheinanderbringen. Welche Verbindung bestand zwischen den vielen Tajirikas, denen er begegnet war? Tajirika als Nyawĩras Arbeitgeber, Tajirika, der ihn mit einem zynischen Lesetest vor dem Büro der Eldares Modern Construction and Real Estate gedemütigt hatte, Tajirika, der auf der Suche nach Heilung von seiner Wortkrankheit zu ihm gekommen war, Tajirika mit seinem Kübel voller Scheiße und dem Tajirika, der jetzt majestätisch zur Rechten des Herrschers saß?

Plötzlich bekam er Angst. Hatte man Nyawĩra gefasst? Erklärte das vielleicht Tajirikas Anwesenheit?

Man bot ihm einen Stuhl an, und die Soldaten wurden hinausgeschickt. Der Herrscher begann das Gespräch. Er stellte Kamĩtĩ Tajirika vor und dieser lächelte, als sähe er einen alten Freund wieder. Ihre Jovialität überzeugte Kamĩtĩ, dass sie, was Nyawĩra anging, Katz und Maus mit ihm spielten.

„Ich glaube, wir sind uns zuletzt in New York begegnet“, sprach der Herrscher leutselig.

„Und wir, bevor Sie nach Amerika gereist sind“, fügte Tajirika noch immer lächelnd hinzu.

„Es gibt einige Dinge, bei denen Sie uns helfen können“, fuhr der Herrscher im selben freundlichen Ton fort. „Aber zunächst muss ich mich korrigieren. Als ich Ihnen Titus vorstellte, habe ich vergessen, seinen neuen Titel zu erwähnen. Ich denke, Sie sollten wissen, dass Tajirika mein neuer Gouverneur der Central Bank ist. Deshalb wollen wir unser kleines Beisammensein mit finanziellen Angelegenheiten beginnen und da sollte ich doch lieber den Herrn des Geldes sprechen lassen.“

„Erinnern Sie sich an das Geld, das ich Ihnen gezahlt habe, damit Sie mich heilen? Drei große Säcke?“ Beinahe wäre Tajirika das Wort Dollars herausgerutscht, aber er konnte sich gerade noch beherrschen. „Und Sie erinnern sich auch, dass Sie mir erzählt haben, Sie hätten die Säcke irgendwo draußen im Grasland vergraben?“, fragte Tajirika weiter. „Sagen Sie uns: Warum haben Sie die Säcke eigentlich vergraben?“

„Sie wissen schon, so, wie ein Bauer seine Saat in den Boden bringt?“, meinte der Herrscher ermutigend.

„Bitte sagen Sie uns: Hatten Sie gehofft, das Geld würde wurzeln und wachsen?“, fragte Tajirika vorsichtig.

„Sie wissen schon, so nach dem Motto, Geld gebiert Geld?“, fragte der Herrscher vielsagend.

Wer hat jemals von Geld gehört, das wie Weizen in der Erde vergraben wird, damit es sprießt? Hatten der Herrscher und Tajirika den Verstand verloren? Sein Verdacht verstärkte sich, weil sie ihm keine Gelegenheit zum Antworten gaben. Es schien, als hätte ihr dringendes Bedürfnis, etwas herauszubekommen – was immer es auch sein mochte –, ihre Fähigkeit zuzuhören ausgeschaltet. Doch als hätte der Herrscher Kamĩtĩs Gedanken gelesen, fügte er schnell hinzu:

„Bevor wir uns den Einzelheiten widmen, sollten wir uns zunächst etwas besser kennenlernen, denn auch wenn Sie und ich gemeinsam in New York waren, gestattete mein Minister, der verblichene, ich meine der ehrenwerte Machokali, uns nie, dass wir einander näherkamen. Ich glaube mich zu erinnern, dass Sie damals feine, elegante Kleidung trugen. Was ist daraus geworden? Oder ist Ihnen zerknitterte lieber, weil Sie besser zum Geschäft passt? Ich will eines deutlich sagen: Wenn Sie uns alles, was Sie wissen, uneingeschränkt erklären, werden Sie nicht mit leeren Händen von uns gehen. Einen Moment noch. Wir sollten sicher sein, dass wir mit dem Richtigen reden, deshalb will ich Sie bitten – wie man das im Gericht macht –, Ihren Namen zu nennen. Sind Sie der Herr der Krähen?“

Wenn er bloß wüsste, worauf sie hinauswollten! Wenn er sich nur erinnern könnte, wie er hierhergekommen war! Wenn er bloß wüsste, was aus Nyawĩra geworden war! War sie am Leben, in Gefangenschaft oder frei? Wenn ich bloß … Ohne diese Gewissheit konnte alles, was er sagte, sie und ihn gefährden.

„Haben Sie die Frage des Herrschers nicht gehört?“, fragte Tajirika mit gespielter Verärgerung. „Der Herrscher hat Sie gefragt: Sind Sie der Herr der Krähen?“

Kamĩtĩ öffnete den Mund, um etwas sagen und fing an zu keuchen, als hätte er einen Asthmaanfall. Es kam jedoch nur ein einziges Wort aus seinem Mund: „Wenn!“ Was sie ihn auch fragten, er reagierte immer auf dieselbe Weise. Er versuchte, etwas zu sagen, brachte ein paar Zischlaute hervor und schließlich das Wort „wenn“.

Erschrocken sahen der Herrscher und Tajirika einander an und hatten denselben Gedanken. Jeder dachte an seinen eigenen Krankheitsanfall, der jedem Arzt außer dem Herrn der Krähen getrotzt hatte. Nun, so schien es, brauchte der Heiler selbst Heilung, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie unbedingt alles über sein Wissen in Erfahrung bringen wollten. Sie waren frustriert und wussten nicht weiter. Sie versuchten es mit ein paar weiteren Fragen, aber seine Antwort war immer dieselbe.

„Seine Wörter stecken fest“, sagte der Herrscher.

„Was sollen wir tun?“, fragte Tajirika. „Wie befreien wir die gefangenen Worte aus seinem Mund?“

„Ach, kein Grund zur Beunruhigung“, erwiderte der Herrscher drohend. „Ich kann seinen Mund aufstemmen und mit den Händen seinen Wortkasten herausholen.“

Er rief die Soldaten herein, die den Herrn der Krähen zu ihm gebracht hatten, und befahl ihnen, den Mann fortzuschaffen.

Herr der Krähen
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