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Tajirika konnte nicht begreifen, warum seine Frau so lange wegblieb, schon gar nicht jetzt, da sie versuchten, ihr Leben wieder zusammenzuführen. Die Hausangestellten berichteten, sie hätten sie in die Maisfelder hinausgehen sehen, aber nicht, dass sie zurückkam. Da ihr Auto noch in der Garage stand, sprach vieles dafür, dass sie nicht weit sein konnte. Als es aber Mitternacht wurde und sie immer noch nicht zurück war, begann Tajirika sich Gedanken zu machen. War sie möglicherweise im See der Tränen gefangen und Teil des Museums der gefangenen Bewegung geworden? Er sprang aus dem Bett und machte sich auf die Suche.
Einige Schritte vom See entfernt blieb er stehen. Der Mondschein fiel auf die Wasseroberfläche und ließ sie silbern glitzern. Er sah auf die Vögel, die Katze, den Hund, die Antilopen, die Schmetterlinge, die alle mitten in der Bewegung ruhten, und er war glücklich, keine menschliche Gestalt ausmachen zu können. Er beschloss, zum Haus zurückzukehren. Vor dem Hoftor blieb er plötzlich stehen. Sein Herz hämmerte. Auf dem Boden lag eine Sisaltasche mit grünem Mais, ein paar Maikolben daneben im Gras verstreut.
Warum sollte sie Mais pflücken, um ihn dann hier hinzuwerfen? War sie von einem Tier angegriffen und verschleppt worden? Es waren keine Kampfspuren zu sehen. Vielleicht war sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Verbrecher waren heutzutage dreist genug, die Menschen ungestraft in ihren Häusern zu überfallen. Trotz Elektrozäunen, hohen Steinmauern gekrönt mit Glassplittern, Wachtposten mit Kampfhunden und den neuesten elektronischen Überwachungsgeräten war kein Haus wirklich sicher.
Dann fiel ihm seine kürzliche Unterredung mit Minister Sikiokuu ein. Hatten Sikiokuus Männer wieder zugeschlagen? Aber hatte Sikiokuu nicht feierlich versprochen, jede Ermittlung in der Frauensache werde still und geheim erfolgen? Von der Möglichkeit, Vinjinia zu vernehmen, hatten sie nicht gesprochen und schon gar nicht davon, sie zu verhaften. Und wenn sie es doch getan hatten, würde er diesmal sagen: Hände weg von meiner Frau.
Seit sie wieder miteinander sprachen, waren Tajirikas Gefühle für Vinjinia zurückgekehrt. Für ihren Einsatz, die Regierung zu zwingen zuzugeben, dass er sich in Haft befand, war er ihr aufrichtig dankbar. Doch war seine Dankbarkeit von Angst durchsetzt, Angst vor den Frauen des sogenannten Volksgerichts, vor der blitzenden Machete, die seinen Penis bedrohte.
Er war sehr früh aufgestanden und griff zum Telefon, um seinen neuen Freund Sikiokuu anzurufen, aber es nahm niemand ab. Dann sah er auf die Uhr und merkte, dass es noch nicht einmal sieben Uhr und der Minister wahrscheinlich noch nicht an seinem Platz war. Tajirika beschloss, ins Büro zu fahren und von dort anzurufen. Er hoffte, bis dahin würde es auf acht zugehen und Sikiokuu bei der Arbeit sein. Vor dem Hoftor starrte ihn die Sisaltasche an, und er fragte sich: Wie soll ich den Frauen Vinjinias Verschwinden erklären?
Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da sah er Vinjinia auf sich zukommen. Er brauchte sie nur anzusehen und wusste, dass sie eine harte und gefahrvolle Nacht hinter sich hatte.
„Was ist mit dir passiert?“, fragte er besorgt. Vinjinia wusste instinktiv, dass er nicht heuchelte.
Sie brach vor ihm zusammen, als würde sie die Last der gesamten Welt niederdrücken. Tajirika hob sie auf, brachte sie ins Haus und legte sie aufs Bett. Vinjinia setzte sich stumm auf die Bettkante. Tajirika glaubte, sie wäre wütend auf ihn, und begann, sich zu rechtfertigen.
„Ich weiß nicht, wo du warst, und noch weniger, was mit dir passiert ist. Aber was es auch war, ich bin sehr glücklich, dich lebend wiederzusehen. Ich habe kaum geschlafen. Als du kamst, wollte ich gerade in mein Büro, um rauszukriegen, wo ich dich suchen könnte, wo ich anfangen soll. Ich habe schon versucht, Minister Sikiokuu zu erreichen, aber da ist keiner ans Telefon gegangen.“
„Lass Sikiokuu da raus“, sagte Vinjinia. „Das war alles Kaniũrũs Werk.“
„John Kaniũrũ?“, fragte Tajirika und hatte das Gefühl, diesen Kerl in Stücke hacken zu müssen. Kaniũrũ hatte sich zu weit in seine Angelegenheiten eingemischt. Nicht nur, dass er seinen Posten an sich gerissen hatte, er hatte ihn verhaften und foltern lassen, weil er seiner Vorladung nicht gefolgt war. Und jetzt hatte es dieser Kaniũrũ gewagt, sich an seiner Frau zu vergreifen. „Das muss aufhören. Für uns beide ist dieser Kral zu klein“, setzte er verbittert und mit Tränen der Wut in den Augen hinzu.
„Verschwende deine Zeit nicht mit Typen wie ihm. Lass ihn in Ruhe. Er hat mich nicht geschlagen und auch nicht vergewaltigt. Ich habe es doch geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.“
Vinjinia erzählte alles von ihrer Entführung vor dem Tor bis zu dem Platz am Red River, an dem sie beinahe zu Krokodilfutter geworden wäre.
Als Tajirika Näheres über Kaniũrũs Verhör erfuhr, wusste er sofort, dass dieser auf Anweisung von Sikiokuu handelte. Er schämte sich, die Nachforschungen über die Frauen, die ihn geschlagen hatten, selbst angeregt zu haben, und fühlte sich indirekt für die Entführung verantwortlich. Das behielt er jedoch für sich und sagte nichts, was seine Mitwirkung verraten konnte. Er war froh, nichts von seinem Telefongespräch mit Sikiokuu erzählt zu haben. Trotzdem fiel es ihm schwer, Wut und Frust zu verbergen. Warum hatte Sikiokuu Kaniũrũ mit einer Aufgabe betraut, die eindeutig Sache der Polizei war?
„Wie bist du entkommen?“, fragte er.
„Durch den Herrn der Krähen! In der Stunde meiner Not fiel er mir ein“, antwortete Vinjinia, verschwieg aber, dass sie Kaniũrũ verraten hatte, im Schrein gewesen zu sein, um Hilfe zu erbitten. Sie wollte nicht, dass Tajirika von ihrer persönlichen Verbindung zum Herrn der Krähen erfuhr.
Als Vinjinia ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, konnte Tajirika vor Lachen nicht mehr an sich halten. Er lachte, bis er Seitenstechen bekam.
„Du hast ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, erzählt, dass es diese Frauen gar nicht gibt, dass es sich um pure Einbildung handelt, um bloße Schatten? Und sie haben dir geglaubt? Kaniũrũs Hirn muss völlig verödet sein!“, sagte Tajirika und erinnerte sich, wie die Frauen sich auf ihn gesetzt hatten; wie schwer sie gewesen waren; wie sie prahlten und die eine sogar eine Machete geschwungen hatte; und wie sie ihn schließlich verprügelt hatten. Er brach erneut in übermütiges Gelächter aus.
„Warum lachst du so? Ein verwundeter Vogel landet überall.“
„Oh, ich kann es gar nicht erwarten, dass sie auf der Suche nach dem Zauberer zum Schrein gehen, um ihn zu verhören“, versuchte Tajirika, sich und sein Lachen zu erklären. „Sie werden ihn dort nämlich nicht finden.“
„Nicht finden?“, fragte Vinjinia voller Schuldgefühl, weil sie Angst hatte, die Geschichte, die sie Kaniũrũ aufgetischt hatte, könnte den Herrn der Krähen in Schwierigkeiten bringen.
„Der Herr der Krähen sitzt unter schwerer Bewachung im Gefängnis.“
„Im Gefängnis? Woher weißt du das?“
„Weil ich ihn dort gesehen habe. Ich war mit ihm in einer Zelle. Und dort habe ich ihn auch zurückgelassen, in Sikiokuus Obhut.“
Vinjinia schwieg.
Tajirikas Fröhlichkeit hielt an. Hatte Vinjinia, eine Frau, seinen Erzfeind Kaniũrũ überlistet? Er empfand große Bewunderung für seine Frau und weidete sich auf seinem Weg ins Büro an Kaniũrũs verletzter Männlichkeit.
Was Vinjinia anging, so war sie sprachlos: Wie war es dem Herrn der Krähen gelungen, an zwei Orten gleichzeitig aufzutauchen? Wie konnte er im Gefängnis und im Schrein sein und versprechen, eine Abordnung der Ältesten auszuschicken, um Tajirika zu bändigen? Der Herr der Krähen hatte wirklich Wort gehalten. Jetzt war es an der Zeit, dass sie ihr Wort einlöste. Sie zog sich um und streifte den traditionellen Lederrock und das ockerfarbene Oberteil über.