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Es gab viele Theorien über die seltsame Krankheit des Zweiten Herrschers der Freien Republik Aburĩria, fünf davon aber waren in aller Munde.

Die Krankheit war, der ersten Theorie nach, aus einem Zorn heraus geboren, der einst in ihm aufstieg; und er war sich der Gefahr, die sie für sein Wohlbefinden darstellte, so bewusst, dass er alles versuchte, um diesen Zorn loszuwerden: Nach jeder Mahlzeit rülpste er ausgiebig, zählte manchmal von eins bis zehn oder rief laut „ka ke ki ko ku“. Warum er ausgerechnet diese Silben benutzte, konnte niemand sagen. Doch räumte jeder ein, dass der Herrscher nicht ganz unrecht hatte. So, wie die üblen Gase eines unter Verstopfung Leidenden ausgestoßen werden müssen und auf diese Weise der Druck auf die Gedärme verringert wird, braucht auch der Zorn eines Menschen einen Weg nach draußen, um den Druck auf sein Herz zu mindern. Dieser Herrscherzorn aber wollte nicht vergehen und gärte weiter in seinem Innern, bis er sein Herz aufgezehrt hatte. Es heißt, darauf gehe das aburĩrische Sprichwort zurück, dass Ärger zerstörender wirkt als Feuer, weil er einst die Seele eines Herrschers ausgehöhlt habe.

Wann hatte dieser Zorn Wurzeln geschlagen? Als zum ersten Mal Schlangen auf der nationalen Bühne auftauchten? Als das Wasser im Schoß der Erde bitter wurde? Oder als er Amerika besuchte und es ihm nicht gelang, ein Interview in der berühmten Sendung „Ein Treffen mit den Mächtigen der Welt“ auf Global Network News zu bekommen? Man erzählt sich, dass er seinen Ohren nicht traute, als man ihm mitteilte, ihm keine einzige Sendeminute einräumen zu können. Er verstand nicht, wovon die da eigentlich redeten. Schließlich war er in seinem Land zu jeder Tages- und Nachtzeit im Fernsehen zu sehen; jede seiner Regungen – Essen, Scheißen, Schnäuzen oder Niesen – wurde von Kameras eingefangen. Sogar wenn er gähnte, war das eine Nachricht wert, weil sein Gähnen – sei es aus Langeweile, Müdigkeit, Hunger oder Durst – oft genug ein Drama nationalen Ausmaßes zur Folge hatte: Er ließ seine Feinde öffentlich mit dem sjambok auspeitschen, ganze Dörfer wurden in die Luft gesprengt, oder eine mit Pfeil und Bogen ausgerüstete Kommandoeinheit durchlöcherte ein paar Leute und ließ die Leichen als Festmahl für Hyänen und Geier zurück.

Man erzählt sich, er habe ein besonderes Talent besessen, Zwietracht unter den aburĩrischen Familien zu säen und zu nähren. Denn gerade Szenen des Leids besänftigten ihn und bescherten ihm festen Schlaf. Nichts aber, so schien es, war jetzt in der Lage, seinen Zorn zu mildern.

Aber konnte Zorn, wie tief er auch saß, überhaupt eine geheimnisvolle Krankheit auslösen, die aller Logik und jeglicher medizinischer Sachkenntnis widersprach?

Herr der Krähen
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