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Später erzählte man sich, ein Esel habe mitten auf der Straße gestanden und den Verkehr so lange aufgehalten, bis der Herr der Krähen und die Hinkende Hexe in Sicherheit waren. Andere Gerüchte besagten, nein, alle Esel in Santamaria hätten sich scheißend und urinierend die Straße hinauf und hinunter aufgestellt, wodurch der Belag derart schlüpfrig wurde, dass die Fahrzeuge kaum vorwärts gekommen seien, und als die Polizei die beiden zu verfolgen versuchte, seien sie herumgeschlittert und hätten schließlich alle greifbaren Fahrräder beschlagnahmt.
„Stimmt das wirklich?“, fragte Vinjinia ihren Mann Tajirika am Abend des folgenden Tages.
„Überlass die Gerüchte den Gerüchteköchen“, sagte Tajirika gereizt, weil er über die Nachricht, dass die Hinkende Hexe und der Herr der Krähen entkommen waren, alles andere als glücklich war. Seine sich gerade entwickelnde Finanzpolitik beinhaltete die Produktion ausländischer Währung, natürlich gewachsener Dollars, und hing allein davon ab, dass sich der Herr der Krähen dem Willen des Herrschers beugte. Er befürchtete, die Flucht des Zauberers könnte seine Stellung als Gouverneur der Central Bank gefährden.
Vinjinia war ein bisschen geknickt. War die Nachricht von der Flucht des Herrn der Krähen also nur ein Gerücht?
„Das mit seiner Flucht stimmt“, gab Tajirika zu. „Nur hat ihm die Hinkende Hexe geholfen und nicht Esel, weder einer noch viele.“
„Eine hinkende – was?“
„Ist eine von diesen Hexenmeistern. Das linke Bein war kürzer als das rechte, daher der Spitzname“, erklärte Tajirika und machte eine Pause. „Vinjinia, dein Vorschlag, Hexen und Hexenmeister öffentlich zu einem nationalen Leistungstest ins State House einzuladen, war brillant. Er hätte sicher auch Früchte getragen, wenn die Hinkende Hexe nicht gewesen wäre.“
„Ein Mann?“
„Nein! Eine Frau. Sie und der Zauberer sind verschwunden!“
„Wie war das möglich? Ich meine, dass sie fliehen konnten?“
„Ich kann dir nur sagen, was ich Kaniũrũ zum Herrscher sagen hörte, als er die Wachen der Nachlässigkeit bezichtigte und ihnen vorwarf, der Uniform loyaler Polizisten nicht würdig zu sein. Aber du weißt ja, die Kleinnase ist ein Lügner, bei dem es schwerfällt, Wirklichkeit von Fiktion zu unterscheiden.“
„Was hat Kaniũrũ damit zu tun?“, fragte Vinjinia ehrlich verwirrt.
Obwohl er müde war, gelang es Tajirika, die Geschichte zu rekapitulieren.
Vinjinia war froh, dass die Hinkende Hexe entkommen war, denn wahrscheinlich gehörte sie zu den Frauen, die ihr damals in ihrer Not geholfen hatten. Sie fühlte sich gut, weil sie der Versuchung widerstanden hatte, Nyawĩra zu verraten. Am glücklichsten aber war sie bei dem Gedanken, mit denen solidarisch zu sein, die sie einst für böse gehalten hatte, Menschen, die sie jetzt, auch wenn sie mit ihrer Politik nicht übereinstimmte, als menschlich und großherzig sah. Sie waren ihr auf jeden Fall lieber als all die abscheulichen und niederträchtigen Kaniũrũs. Es ermutigte sie, dass sie allein herausgefunden hatte, wie sie Nyawĩra am besten danken konnte.
Sie ging in Gedanken noch einmal alles durch. Während der gemeinsamen Mahlzeiten und der abendlichen Gespräche im Bett hatte sie von Tajirika alle Informationen über den Zustand und den Aufenthaltsort des Herrn der Krähen herausbekommen und dies anschließend an Maritha weitergegeben.
Es war Vinjinia, die Maritha erzählte, dass der Herr der Krähen in einer Bar verhaftet worden sei und, nachdem man ihn ins State House überführt hatte, die Krankheit der Worte bekommen habe. Es sei ihr so vorgekommen, sagte sie zu Maritha, als würden nur Männer diese Krankheit bekommen. Sie erzählte ihr von dem nationalen Leistungstest für Hexenmeister, dessen Ziel es gewesen sei, den Zauberer zu heilen. Kein einziges Mal ließ Vinjinia durchblicken, was Maritha mit diesen Informationen anstellen sollte, denn sie wusste natürlich, dass Maritha Nyawĩra jede Einzelheit überbringen würde. Die Flucht allerdings hatte sie nicht vorausgesehen. Ihr war es nur darum gegangen, Nyawĩra mit dem Herrn der Krähen zusammenzubringen. Ihr Plan, so schien es, war über ihre wildesten Träume hinaus erfolgreich aufgegangen.
Trotzdem ärgerte sie, dass es Kaniũrũ geschafft hatte, sich einzumischen, und was das anging, waren sie und ihr Mann vollkommen einer Meinung.
„Kannst du dir vorstellen, dass Kaniũrũ, obwohl er sich in Dinge eingemischt hat, die ihn nichts angingen, und obwohl er es nicht geschafft hat, das flüchtende mkokoteni aufzuhalten, vom Herrscher den Auftrag bekommen hat, die Flüchtlinge zu fassen?“
„Dieser Kerl! Ich weiß nicht, wie man es hinkriegen kann, dass ihm seine üblen Machenschaften nicht auch noch nutzen“, sagte Vinjinia. „Was ist mit den drei Polizisten? Wie haben sie ihr Verhalten erklärt?“
„A.G., Kahiga und Njoya sind in den Rang von Arbeitslosen erhoben worden“, antwortete Tajirika.
Diese Neuigkeit machte ihr zu schaffen. „Wie kann der Herrscher drei Leute entlassen, die ihm so treu gedient haben?“
„Der Herrscher macht keine Fehler“, erwiderte Tajirika unwirsch. „Ich bin davon überzeugt, dass er sie nicht ohne guten Grund entlassen hat.“