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Schließlich gab es noch diejenigen, die bis auf den heutigen Tag schwören würden, dass die Krankheit des Herrschers weder mit seinem schwelenden Zorn zu tun hatte noch mit dem Schmerzensschrei eines Ziegenbocks, dem Unrecht getan worden war, weder mit einer überlangen Herrschaft noch mit Rachaels Tränen. Diese vertraten die fünfte Theorie: dass die Krankheit einzig und allein das Werk der Dämonen sei, die der Herrscher in einer besonderen Kammer im State House beherberge und die sich nun von ihm abgewandt hätten und ihm ihren Schutz verweigerten.

Man erzählt sich, Wände und Decke dieser Kammer bestünden aus den Skeletten von Studenten, Lehrern, Arbeitern und Kleinbauern, die er in allen Teilen des Landes umgebracht hatte. Denn es war bekannt, dass er mit flammendem Schwert an die Macht gelangt war und die Leiber seiner Opfer wie gekappte Bananenstauden rechts und links von ihm zu Boden gesunken waren. Die Schädel der meistgehassten Feinde hingen an den Wänden, andere baumelten von der Decke herab, Knochenskulpturen, gebleichte Erinnerungen an Sieg und Niederlage.

Diese Kammer war eine Mischung aus Museum und Tempel, und der Herrscher betrat sie jeden Morgen – nachdem er zunächst ein Bad im konservierten Blut seiner Feinde genommen hatte – ausgestattet mit Zeremonienstab und Fliegenwedel und schritt stumm umher, wobei er die Ausstellungsgegenstände in Augenschein nahm. Beim Hinausgehen drehte er sich gewöhnlich an der Tür noch einmal um, ließ einen letzten Blick durch die Kammer schweifen und winkte mit höhnischer Geste triumphierender Verachtung den dunklen Löchern und grinsenden Zähnen zu, an deren Stelle sich früher Augen und Münder befunden hatten.

„Worauf wart ihr aus?“, fragte er die Schädel dann, als ob sie ihn hören könnten. „Auf diesen Fliegenwedel, dieses Zepter, diese Krone?“ Er hielt inne, als erwartete er eine Antwort, und da die Schädel keine gaben, brach er in schallendes Gelächter aus, als wollte er sie herausfordern, dem zu widersprechen, was er ihnen zu sagen hatte. „Ich habe euch die Zungen herausgerissen und die Lippen aufgeschlitzt, weil ich euch lehren wollte, dass ein Politiker, dem der Mund fehlt, kein Politiker ist.“ Es gab allerdings Momente, in denen die Schädel höhnisch zurückzugrinsen schienen, und dann verstummte sein Lachen plötzlich. „Ihr verfluchten Bastarde, es waren eure Gier und euer ungezügelter Ehrgeiz, die euch hierhergebracht haben. Habt ihr tatsächlich geglaubt, ihr hättet je eine Chance gehabt, mich zu stürzen? Ich will euch etwas sagen: Derjenige, der das wagen würde, ist noch nicht geboren, und wenn doch, müsste er sich in einen Geist verwandeln und sich einen Bart wachsen lassen und Menschenhaare an den Fußsohlen haben. Das habt ihr nicht gewusst, oder?“, fügte er stets hinzu und richtete mit schäumendem Mund seinen Stab auf sie.

Ich will eingestehen, dass ich, der Erzähler, die Existenz dieser Kammer weder beweisen noch widerlegen kann. Es könnte sich hier durchaus nur um ein Gerücht oder um eine Geschichte aus dem Mund von Askari Arigaigai Gathere handeln. Aber wenn sie existiert, beweist einfache Logik, dass es die morgendlichen Riten des Herrschers in dieser Schädelkammer waren, die vor langer Zeit, vor dem fatalen Besuch in Amerika und vor irgendwelchem Geschwätz über seine Krankheit, zu einem Gerücht geführt hatten, das sich schnell überall verbreitete. Wann immer zwei oder drei Menschen zusammenkamen, betraf die allererste Frage das Gerücht: Kannst du das glauben? Wusstest du, dass der Herrscher den Teufel anbetet und dass er Satan, seinen Herrn und Meister, im Namen einer Schlange anruft?

Das Gerücht über die Verehrung von Teufel und Schlange schlug in ganz Aburĩria Wurzeln, gerade als eines der ehrgeizigsten Programme im Entstehen war, die je zum Geburtstag eines Herrschers unternommen wurden.

Herr der Krähen
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