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Den Herrscher kümmerten die Gerüchte über Teufel und Schlangen zunächst wenig, weil er hoffte, durch sie die Angst seiner Feinde zu vergrößern und seine Herrschaft über Aburĩria zu festigen. Doch als ihm der M5 berichtete, dass die Gerüchte beim Volk nicht Furcht, sondern in Wirklichkeit eine abschätzige Meinung über seine Herrschaft hervorriefen, die an Verachtung grenzte, und dies die Unterstützung des Volkes für Marching to Heaven schmälern könnte, sah er Handlungsbedarf, diese Gerüchte zu entkräften. Aber welche Maßnahmen würden die größte Wirkung haben?

Vor langer Zeit, als Schuljunge in einem kolonialen Klassenzimmer, hatte er Geschichten über einen König im alten Babylon gehört, der sich verkleidet unter das Volk gemischt hatte. Als die Menschen später davon erfuhren, waren sie überrascht und geschmeichelt, weil ein König unter ihnen geweilt hatte. Dieses Bild war im Lauf der Zeit verblasst, erwachte jetzt aber zu neuem Leben. Und als er seinen Ratgebern davon erzählte, meinten sie: Ja, das ist sehr gut. Ein angekündigter, doch absolut spontaner Sonntagskirchgang, der die Aufmerksamkeit auf seine Frömmigkeit lenkte, wäre sicher gut geeignet, der Geringschätzung ihm gegenüber den Nährboden zu entziehen.

Man wählte die All Saints Cathedral in Eldares, und das war eine sehr kluge Wahl. Die Kathedrale erhob sich auf einem Hügel zwischen Santalucia und Santamaria, zwei der am dichtesten bevölkerten Stadtteile von Eldares, und bot dadurch eine hervorragende Kulisse für Fernsehbilder.

Das Oberhaupt der Kathedrale war der leicht exzentrische Bischof Tireless Kanogori. Seine Anhänger hatten ihm diesen Namen verliehen, weil er, lange bevor er zum Bischof ernannt worden war, oft gepredigt hatte, Jesus Christus sei der ewige, nimmermüde Befreier von allen Sünden, die schwer auf den müden Seelen lasteten. Schon bald begannen seine Anhänger von ihm als dem Priester zu sprechen, der nicht müde wurde, vom nimmermüden Erlöser zu erzählen. Und als er schließlich die Bischofsmütze erhielt, nahm er aus Respekt vor seinen Anhängern diesen Namen an.

An dem besagten Sonntag fuhren der Herrscher und seine Autokolonne, umringt von Zeitungsreportern, Fernsehkameras und Mikrofonen, auf dem Marktplatz von Santamaria vor, von wo aus der historische Zug zur Kirche beginnen sollte. Er stieg aus seinem Rolls Royce und besichtigte unter den verblüfften Blicken der zahlreichen Obsthändler, die nicht wussten, ob sie nun durch lautes Anpreisen ihrer Waren weiterhin Käufer anlocken sollten oder lieber nicht, den Marktplatz. Der Kontrast zwischen der Kolonne schnittiger Mercedes-Benz-Limousinen und der langen Reihe von Lastkarren, die entweder von Eseln gezogen wurden oder mit eigener Hand geschoben werden mussten und mit unterschiedlichsten Waren beladen waren, hätte kaum größer sein können. Eine andere Szene war allerdings noch verblüffender: Der Herrscher entdeckte einen herrenlosen Esel und beschloss, offensichtlich mehr einem plötzlichen Einfall als der Choreographie seiner Imageberater folgend, in Nachahmung Jesu Christi auf einem Esel zur Kirche zu reiten. Einige seiner Geheimagenten, die als gewöhnliche Bürger verkleidet waren, schnappten sich bei den Händlern ein paar Palmwedel und breiteten sie vor ihm aus. Am Fuße des Hügels stieg der Herrscher vom Esel und ging den Rest des Weges zu Fuß. Die langen Kameraeinstellungen, die den Herrscher am Hügel mit der darauf thronenden Kirche zeigten, erweckten den Eindruck, als führte er eine Pilgerfahrt in die Stadt Gottes an.

Langsam und gedankenschwer schreitend, erlaubte sein Gefolge dem Hauptdarsteller ungefähr einen halben Meter Vorsprung. Es war eine fast makellose Vorstellung, und seine Ratgeber bildeten sich schon ein, das Ganze sei die gelungene Feier des Sieges der List über das Gerücht.

Wie sich herausstellte, hatten diejenigen, die die Inszenierung an den Fernsehern zu Hause oder in Veranstaltungssälen der Gemeinde verfolgten, gespürt, dass etwas nicht stimmte, weil genau jetzt, als der Herrscher den Fuß auf die Schwelle der Kathedrale setzte, das Fernsehbild ausfiel, und sie daran erinnerte, dass ihre Bildschirme schon einmal in sieben Stücke zersprungen waren. Der Bildausfall verwehrte ihnen den Blick auf das, was danach geschah, und sie mussten sich mit den spärlichen Berichten derjenigen begnügen, die dabei gewesen waren und erlebt hatten, wie der Herrscher das Gebäude betrat.

Obwohl sie sich in Einzelheiten widersprechen, stimmen alle darin überein, dass in dem Moment, als der Herrscher die Kathedrale betrat, die Wände der Kirche bebten, als ob ein Erdstoß sie erschütterte. Die Kreuze an den Wänden, die Kleidung der Kirchgänger, sogar Papierblätter tanzten auf seltsame Weise, als wollten sie fliehen. Und als Bischof Tireless Kanogori eine kleine Bibel, die er in der Hand gehalten hatte, auf den Altar legte, geriet der Altar ins Wanken und die Bibel fiel zu Boden. Doch statt sie aufzuheben, verschwand er in der Sakristei. Noch bevor sich alle darüber wundern konnten, was ihn dazu veranlasste, die Heilige Schrift und die Kirchgemeinde im Stich zu lassen, tauchte er mit einer sehr großen Bibel in der rechten Hand und einem riesigen Kreuz in der linken wieder auf. Beide Hände streckte er dem Herrscher entgegen. Die Lippen des Bischofs bewegten sich, als murmelte er eine Beschwörungsformel, aber niemand konnte seine Worte verstehen, weshalb nachher auch keiner in der Lage war, sie wiederzugeben.

Dann hörte die versammelte Kirchgemeinde, wie etwas durch ein Fenster brach und das Glas in sieben Scherben bersten ließ. Die bebenden Wände und die tanzenden Kreuze standen plötzlich wieder still und eine friedliche Stille senkte sich über die Kathedrale. Bischof Tireless Kanogori, der jetzt mit der Andacht fortfuhr, als hätte sich nichts Unvorhergesehenes ereignet, unterstrich mit dem Klang seiner Stimme die Stille umso eindrucksvoller.

In den Häusern erwachten die Fernsehgeräte zu neuem Leben. Wer bereits vor seinem Bildschirm saß und wer seinen Fernseher erst in diesem Augenblick einschaltete, erlebte Bischof Kanogori, wie er gerade seine Predigt begann. In der letztgenannten Gruppe machten sich einige Stimmen über die Geschichten lustig, die sich um den Eselsritt, die Palmzweige, die heiseren Hosiannas und den langen Marsch auf die Hügelkuppe rankten.

Die Schilderer des unheimlichen Ereignisses aber ließen sich nicht beirren und gingen sogar so weit, steif und fest zu behaupten, die All Saints Cathedral sei nicht das einzige Gotteshaus, in dem sich ein solches Schauspiel ereignete. Man erzählt sich, der Herrscher habe später noch weitere Gottesdienste in anderen Kirchen besucht, in denen sich Ähnliches zutrug. In allen Fällen zersprang zumindest eine Fensterscheibe in sieben Scherben, durch welche Kraft auch immer die mit Kreuz und Bibel bewehrten Priester das Unheil austrieben. Deshalb, so behaupten sie, verkündete der Herrscher Aburĩrias plötzlich ohne weitere Erklärung, dass er nun auch zum Islam Kontakt aufnehmen wolle, um seinen Glauben an die Gleichheit aller Religionen unter Beweis zu stellen. Aber aus Bescheidenheit wie aus Rücksichtnahme gegenüber dem islamischen Bilderverbot sei es Kameras nicht erlaubt, ihn dabei zu begleiten.

Seine Überlegung hierbei war, zunächst Auftritte in islamischen Moscheen – sunnitischen, schiitischen sowie wahabitischen – zu organisieren; anschließend indische Tempel zu besuchen – hinduistische, buddhistische oder jainistische; danach dann die Gurdwaras der Sikhs und schließlich die Synagogen der Juden, und darauf zu hoffen, dass diese wohlüberlegt spontanen Auftritte das Bild der Ereignisse in der All Saints Cathedral und anderen christlichen Kirchen auslöschen würden.

Für seinen ersten Besuch in einem islamischen Heiligtum wies er seine Berater an, eine Moschee ausfindig zu machen, die keine Glasfenster hatte. Nachdem sie ganz Eldares abgesucht hatten, fanden sie schließlich eine Moschee, die eine schöne Kuppel und zierliche Minarette besaß und, was noch wichtiger war, Fenster mit hölzernen Läden und Eisengittern.

Dort begab sich ein noch erschütternderes Ereignis, aber weil es nicht auf Film festgehalten wurde, müssen wir wieder einmal dem Hörensagen vertrauen, wonach der Imam, der an diesem Tag das Gebet sprach, beim Eintritt des Herrschers sofort erkannte, dass etwas nicht in Ordnung war, und schleunigst den Koran in die Luft reckte und auf Arabisch rief:

Allahu akbar, Allahu akbar

Asch-hadu al-la Ilaha il-Allah

Asch-hadu al-la Ilaha il-Allah

Asch-hadu anna Muhammadar Rasulu-Allah

Asch-hadu anna Muhammadar Rasulu-Allah

Hayya ’alas-Salah

Hayya ’alal-Falah

Allahu akbar, Allahu akbar

La Ilaha il-Allah

Die dabei waren, sagen, sie spürten einen Windstoß durch die Luft wirbeln und im nächsten Augenblick hörten sie das Eisengitter vor einem der Fenster knirschen. Dann sahen sie, wie sich ein paar Gitterstäbe nach außen wölbten, als würde sich jemand dagegen werfen, um sich zu befreien. Koran und Rosenkranz gegen das Fenster schwingend, rief der Imam etwas, das sich wie „Satan“ anhörte und – siehe da – das Knirschen hörte sofort auf, und das einzige Geräusch, das noch zu vernehmen war, war der Ruf des Imam, Allahu akbar. Allerdings gibt es einige Leute, die wie der biblische Thomas alles an dieser Geschichte anzweifeln, aber selbst sie können nicht erklären, wie sich das Eisengitter derart verbiegen konnte; zumal man sich erzählt, dass der Rat der Moschee nach langen internen Auseinandersetzungen den Entschluss fasste, das Fenster nicht zu reparieren, sondern es in seinem verbogenen Zustand zu belassen: als Beweis für den Sieg des Heiligen Korans über die Ränke Satans, auch wenn sich dieser in den Glanz irdischer Herrlichkeit gehüllt hatte.

Das gesamte Programm der organisierten, spontanen Auftritte an Orten religiöser Verehrung wurde stillschweigend fallen gelassen und eine teufelsfreie, normale Ordnung bei den Andachten hielt wieder Einzug in den religiösen Kultstätten. Einige Einwohner der Stadt hängten Plakate auf: ELDARES IST TEUFELSFREIE ZONE!

Herr der Krähen
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