3

Der Herrscher betrat das Parlament und schritt auf einem roten Teppich den Mittelgang hinauf. Rechts von ihm ging eine bezaubernd gekleidete Frau, die ein Diamantendiadem trug. Wurde Rachael, die Frau des Herrschers, öffentlich vorgeführt?

A.G. traute seinen Augen nicht. Diese Vortrefflichkeit im Fernsehen sah jener Vortrefflichkeit, die er zuletzt im State House gesehen hatte, kaum ähnlich. Diese Person war groß und dünn, trug einen dunklen Anzug mit Blume im Knopfloch und hatte ein weißes Tuch in der Brusttasche. In der linken Hand hielt er Zeremonienstab und Fliegenwedel. Auch der obligatorische Besatz aus Leopardenfell war vorhanden. Der Kopf war von der Größe einer Faust, aber die Augen traten heraus und erinnerten an den verblichenen Machokali.

A.G. merkte nicht, dass er selbst immer wieder ausrief: „Nein, nein, das ist er nicht!“ Die anderen sahen ihn an wie einen Verrückten, bis einige ihn schließlich anfuhren, „Halt’s Maul! Woher willst du das wissen?“, ohne ihm zu gestatten, es ihnen zu erklären. Worauf er zur Antwort gab: „Was ist mit seinem aufgeblasenen Körper?“ Da mussten die Leute lachen, und wenn er weiter zweifelte: „Seht euch seine Zunge an, seht euch diese Zunge an“, brachten sie ihn mit giftigen Blicken zum Schweigen. Trotzdem fiel auch anderen auf, dass der Herrscher, wenn er nicht sprach, manchmal ungewollt seine Zunge herausschnipsen ließ. Aber die meisten sahen darin nichts Befremdliches und schrieben es der Tatsache zu, dass er die Zunge lange nicht mehr in der Öffentlichkeit benutzt hatte. Als A.G. darauf bestand, dass diese Zunge gespalten war, sagten die Umsitzenden: „Der Smog – was hat er nur mit dem Kopf dieses Mannes gemacht? Vielleicht geht es nicht nur ihm so?“

Als Erstes sagte der Herrscher, dass er die Gelegenheit ergreifen wolle, die neben ihm sitzende Person vorzustellen, denn als er ihr die Aufgabe übertragen habe, die sie nun bekleide, habe er sich zurückgezogen und sei nicht in der Lage gewesen, sie vor den Augen der Nation persönlich zu salben. Doch alles habe nun mal seine Zeit, und er sei sehr glücklich, der Nation mitzuteilen, dass dies Dr. Yunique Immaculate McKenzie sei, die offizielle Nationalhostess.

Bis sich das Publikum von diesem Schock erholt hatte, denn seit ihrer Ernennung war sie niemals in der Öffentlichkeit gesichtet worden, war der Herrscher bereits in vollem Redefluss. Er bat die Menschen, wo immer sie sich gerade befänden, im Parlament, zu Hause, am Arbeitsplatz oder auf der Straße, sich zu erheben und im Gedenken an jene, die kürzlich auf dem Parlamentsgelände und vor dem Obersten Gericht den Tod gefunden hätten, eine Schweigeminute einzulegen. Diese Toten seien Opfer der Aktivitäten einiger übler Elemente im Land gewesen, die darauf gehofft hatten, als erste Stufe einer Verschwörung zum Sturz der Regierung Verwirrung stiften zu können. „Ich will ihnen nur eine einzige Frage stellen: Wissen sie nicht, dass wir den Kommunismus im zwanzigsten Jahrhundert besiegt haben? Der Kommunismus ist ausgestorben wie der Dodo.“ Die sogenannte Bewegung für die Stimme des Volkes habe den Mob agitiert und gedrängt, Schlangen zu bilden, nicht etwa, weil es der Bewegung aufrichtig um die tatsächlichen Nöte und Kümmernisse des Volkes gegangen sei, sondern weil sie die Bevölkerung für die eigenen schändlichen Absichten instrumentalisieren wollte. Sie habe sogar Hexenmeister angeheuert, um Unschuldigen mit schwarzer Magie den Verstand zu vernebeln. Die Bewegung nutze tatsächliche Missstände aus, und er sei der Letzte, der nicht zugebe, dass das Land einige wirtschaftliche Probleme habe. Doch sehe sich die ganze Welt ähnlichen Schwierigkeiten gegenüber, die mit den globalen Wirtschaftskräften und einer Weltwirtschaftskrise zu tun hätten, die wiederum mit der Ölkrise zusammenhingen, die von der selbstsüchtigen Politik der OPEC ausgelöst worden sei.

„Jetzt möchte ich zu den jüngsten Ereignissen kommen, dem Donner und dem Smog, über die wir uns alle Sorgen gemacht haben“, sprach er zu einem aufmerksamen Parlament und einer neugierigen Nation.

Es sei diese selbsternannte Bewegung für die Stimme des Volkes gewesen, die, im geheimen Einverständnis mit Fundamentalisten aus dem Nahen Osten, Bomben im State House platziert hätte, doch habe er sie mit Hilfe seiner Experten zur Detonation gebracht, bevor sie der Nation unheilvollen Schaden hätten zufügen können. Als die Übeltäter das erkannten, hätten sie Tränengas in die Luft geschossen, um die Bevölkerung in Angst zu versetzen und eine Revolution anzuzetteln. Ziel der Warteschlangen und der Agitation sowie der Zeitpunkt der Bombendetonation seien klar, mehr wolle er aus Sicherheitsgründen nicht sagen, weil die Ermittlungen noch liefen.

Er hielt inne, aber eigentlich hatte er keine andere Wahl, denn die Parlamentsmitglieder spendeten ihm stürmischen Applaus, dessen Ende nicht abzusehen war, weil kein MdP oder Minister den Beifall als Erster einstellen wollte.

Zur Verwirrung und zum Verdruss der ausländischen Diplomaten, die das über sich ergehen lassen mussten, erlaubte der Herrscher den Ovationen eine Dauer von einer Stunde und sieben Minuten, bevor er den MdPs das Zeichen gab, sich wieder zu setzen, weil er ihnen noch weitere Dinge mitteilen wollte. Was die irregeleiteten Anhänger der Bewegung für die Stimme des Volkes angehe, fuhr er fort, ja, jene, die unschuldige Bürger ermordet hätten, deren einziges Verbrechen es gewesen sei, den Geburtstag ihres Herrschers zu feiern, so habe er nur eine einzige Botschaft für sie: Seine Sicherheitsdienste würden sie aufspüren und ihrer gerechten Strafe zuführen.

Der Herrscher gab zu, dass Fehler gemacht worden waren, die er berichtigen wolle, damit die Bewegung für die Stimme des Volkes nie wieder Nährboden finde, die Nation in die Irre zu leiten. Er erklärte vor dem Parlament, dass Marching to Heaven von Machokali erdacht worden sei, „ein Vorhaben, dermaßen absurd, dass einem schwindlig werden konnte“. Dahinter habe teuflische Gerissenheit gesteckt, und er, der Herrscher, sei den Plänen nur gefolgt, um die wahren Absichten des Mannes herauszufinden. Nun, bedauerlicherweise sei Machokali nicht zugegen, um zu erklären, was er vorgehabt habe, sodass sie nie erfahren würden, was er wirklich im Schilde geführt hatte, und Spekulationen seien müßig. Jetzt senkte der Herrscher die Stimme und sagte, dass er es bedauere, zugeben zu müssen, dass es der Regierung noch nicht gelungen sei herauszufinden, wie und wo der verblichene Markus seinem Schicksal begegnet oder welcher Natur dieses Schicksal gewesen sei. Die Privatdetektive, die er im Ausland angeheuert habe, hätten ihm allerdings berichtet, dass es sich hier um einen Fall von SIV, Selbst Induziertem Verschwinden, handle. Mögen also die Pläne wie ihr Schöpfer den Weg des SIV gehen.

Nun, so sprach der Herrscher, wolle er auf die Gerüchte zu seiner Schwangerschaft eingehen.

Herr der Krähen
titlepage.xhtml
cover.xhtml
copy.xhtml
titel.xhtml
wid.xhtml
zitate.xhtml
inhalt.xhtml
book1.xhtml
ch01.xhtml
ch02.xhtml
ch03.xhtml
ch04.xhtml
ch05.xhtml
ch06.xhtml
ch07.xhtml
ch08.xhtml
ch09.xhtml
ch10.xhtml
ch11.xhtml
ch12.xhtml
ch13.xhtml
ch14.xhtml
ch15.xhtml
book2.xhtml
book2p1.xhtml
ch16.xhtml
ch17.xhtml
ch18.xhtml
ch19.xhtml
ch20.xhtml
ch21.xhtml
ch22.xhtml
ch23.xhtml
ch24.xhtml
ch25.xhtml
ch26.xhtml
ch27.xhtml
ch28.xhtml
ch29.xhtml
ch30.xhtml
ch31.xhtml
ch32.xhtml
book2p2.xhtml
ch33.xhtml
ch34.xhtml
ch35.xhtml
ch36.xhtml
ch37.xhtml
ch38.xhtml
ch39.xhtml
ch40.xhtml
ch41.xhtml
ch42.xhtml
ch43.xhtml
ch44.xhtml
ch45.xhtml
ch46.xhtml
ch47.xhtml
ch48.xhtml
ch49.xhtml
ch50.xhtml
ch51.xhtml
ch52.xhtml
ch53.xhtml
book2p3.xhtml
ch54.xhtml
ch55.xhtml
ch56.xhtml
ch57.xhtml
ch58.xhtml
ch59.xhtml
ch60.xhtml
ch61.xhtml
ch62.xhtml
ch63.xhtml
ch64.xhtml
ch65.xhtml
ch66.xhtml
ch67.xhtml
ch68.xhtml
book3.xhtml
book3p1.xhtml
ch70.xhtml
ch71.xhtml
ch72.xhtml
ch73.xhtml
ch74.xhtml
ch75.xhtml
ch76.xhtml
ch77.xhtml
ch78.xhtml
ch79.xhtml
ch80.xhtml
ch81.xhtml
ch82.xhtml
ch83.xhtml
ch84.xhtml
ch85.xhtml
ch86.xhtml
ch87.xhtml
book3p2.xhtml
ch88.xhtml
ch89.xhtml
ch90.xhtml
ch91.xhtml
ch92.xhtml
ch93.xhtml
ch94.xhtml
ch95.xhtml
ch96.xhtml
ch97.xhtml
ch98.xhtml
ch99.xhtml
ch100.xhtml
ch101.xhtml
ch102.xhtml
ch103.xhtml
ch104.xhtml
ch105.xhtml
ch106.xhtml
ch107.xhtml
ch108.xhtml
ch109.xhtml
ch110.xhtml
book3p3.xhtml
ch111.xhtml
ch112.xhtml
ch113.xhtml
ch114.xhtml
ch115.xhtml
ch116.xhtml
ch117.xhtml
ch118.xhtml
ch119.xhtml
ch120.xhtml
ch121.xhtml
ch122.xhtml
ch123.xhtml
ch124.xhtml
ch125.xhtml
ch126.xhtml
book4.xhtml
book4p1.xhtml
ch127.xhtml
ch128.xhtml
ch129.xhtml
ch130.xhtml
ch131.xhtml
ch132.xhtml
ch133.xhtml
ch134.xhtml
ch135.xhtml
ch136.xhtml
ch137.xhtml
ch138.xhtml
ch139.xhtml
ch140.xhtml
ch141.xhtml
ch142.xhtml
ch143.xhtml
ch144.xhtml
ch145.xhtml
ch146.xhtml
ch147.xhtml
ch148.xhtml
ch149.xhtml
ch150.xhtml
ch151.xhtml
book4p2.xhtml
ch152.xhtml
ch153.xhtml
ch154.xhtml
ch155.xhtml
ch156.xhtml
ch157.xhtml
ch158.xhtml
ch159.xhtml
ch160.xhtml
ch161.xhtml
ch162.xhtml
ch163.xhtml
ch164.xhtml
ch165.xhtml
ch166.xhtml
ch167.xhtml
ch168.xhtml
ch169.xhtml
ch170.xhtml
ch171.xhtml
ch172.xhtml
book4p3.xhtml
ch173.xhtml
ch174.xhtml
ch175.xhtml
ch176.xhtml
ch177.xhtml
ch178.xhtml
ch179.xhtml
ch180.xhtml
ch181.xhtml
ch182.xhtml
ch183.xhtml
ch184.xhtml
ch185.xhtml
ch186.xhtml
ch187.xhtml
ch188.xhtml
ch189.xhtml
ch190.xhtml
ch191.xhtml
ch192.xhtml
ch193.xhtml
ch194.xhtml
ch195.xhtml
ch196.xhtml
ch197.xhtml
book5.xhtml
book5p1.xhtml
ch198.xhtml
ch199.xhtml
ch200.xhtml
ch201.xhtml
ch202.xhtml
ch203.xhtml
ch204.xhtml
ch205.xhtml
ch206.xhtml
ch207.xhtml
ch208.xhtml
ch209.xhtml
ch210.xhtml
ch211.xhtml
ch212.xhtml
ch213.xhtml
ch214.xhtml
ch215.xhtml
ch216.xhtml
ch217.xhtml
ch218.xhtml
ch219.xhtml
ch220.xhtml
ch221.xhtml
ch222.xhtml
ch223.xhtml
ch224.xhtml
ch225.xhtml
ch226.xhtml
book5p2.xhtml
ch227.xhtml
ch228.xhtml
ch229.xhtml
ch230.xhtml
ch231.xhtml
ch232.xhtml
ch233.xhtml
ch234.xhtml
ch235.xhtml
ch236.xhtml
ch237.xhtml
ch238.xhtml
book5p3.xhtml
ch239.xhtml
ch240.xhtml
book6.xhtml
ch241.xhtml
ch242.xhtml
ch243.xhtml
ch244.xhtml
ch245.xhtml
ch246.xhtml
ch247.xhtml
ch248.xhtml
ch249.xhtml
ch250.xhtml
ch251.xhtml
ch252.xhtml
ch253.xhtml
ch254.xhtml
dank.xhtml
author.xhtml
bm2.xhtml