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Vinjinia lag wach und wusste nicht, was sie von der ganzen Sache halten, geschweige denn, was sie unternehmen sollte. Waren die Entführer Tajirikas tatsächlich von der Polizei? Oder waren es gewöhnliche Verbrecher, die so taten, als wären sie Polizisten in Zivil? Was hatte Tajirika angestellt, das zu verdienen? Seit ihrer Rückkehr aus der Polizeihaft war sie mit der Beziehung zu ihrem Mann alles andere als zufrieden. Kälte hatte sich zwischen ihnen breitgemacht. Kaum, dass sie noch miteinander redeten, und wenn doch, dann verlangte Tajirika nur, Vinjinia solle noch einmal die Fragen durchgehen, die ihr während der Verhöre gestellt worden waren, von denen aber auch nur die, die ihn und seine Geschäfte betrafen.
Wie Vinjinia sich gefühlt hatte, als die Polizei sie verhaftete, was sie gedacht hatte, während sie sich in ihrer Gewalt befand, wie sie mit dieser Nervenprobe zurechtgekommen war, darum ging es Tajirika eindeutig nicht. Am meisten schmerzte sie der Verdacht, dass er wohl glaubte, sie wäre schuldig und hätte sich heimlich mit den Frauen zusammengetan, die Schande über den Herrscher und Marching to Heaven gebracht hatten. Anders als ihr Mann aber blieb sie den neuerlichen Nöten ihres Partners gegenüber nicht gleichgültig.
Sie begann mit ihren Nachforschungen in der Polizeiwache Santamaria, weil deren Chef Wonderful Tumbo ein Freund der Familie war. Allerdings wusste sie nicht, dass Tumbo, als er sie von Weitem kommen sah, durch die Hintertür verschwand. Die Männer, die Vinjinia im Büro antraf, verhielten sich, als würden sie Vinjinias Geschichte nicht glauben. Wer wäre so verrückt, Tajirika zu verhaften, den Besitzer der Eldares Modern Construction and Real Estate, Freund des Außenministers und Vorsitzenden von Marching to Heaven? „Warten Sie ein paar Tage“, rieten sie ihr, „Ihr Mann wird bestimmt wieder auftauchen.“ Sie fuhr eine Wache nach der anderen ab, erhielt auf ihre Nachfragen aber überall fast dieselbe Antwort. Auf einer Station war man sogar so gefühllos, ihr zu raten, ihren Mann im Leichenschauhaus zu suchen. Doch auch dort hatte sie keinen Erfolg.
Anfangs unternahm Vinjinia ihre Suche im Stillen und gab sich Mühe, unnötige öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden. Bald aber wandte sie sich an die Presse. Ein Herausgeber erklärte ihr, das Verschwinden eines Erwachsenen sei keine Nachricht, mit der er etwas anfangen könne. Ein anderer hatte Mitleid mit ihr und erklärte ihr die Gründe.
Verschwinden aus politischen Gründen sei nichts Ungewöhnliches, ebenso wenig, dass die Machthaber bestritten, etwas damit zu tun zu haben oder davon zu wissen, selbst wenn Verwandte und Freunde schworen, ihre Lieben seien in Polizeifahrzeugen abtransportiert worden. Allerdings, fügte er mit einem Lächeln hinzu, seien die aburĩrischen Männer dafür berüchtigt, mehrere Haushalte zu führen: den einen ganz offiziell, die anderen im Verborgenen.
Als Nächstes versuchte sie es bei Tajirikas Freunden, aber keiner wollte etwas mit dem Fall zu tun haben. Zunächst hörten sie sie mitfühlend an, aber sobald ihnen dämmerte, dass die Regierung darin verwickelt sein könnte, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Einige gingen sogar so weit, sie zu bitten, nicht mehr anzurufen.
Man riet ihr, einen Rechtsanwalt einzuschalten und Antrag auf Haftprüfung zu stellen, doch keiner wollte den Fall übernehmen. Die unterschiedlichsten Gründe wurden vorgeschoben. „Sie verschwenden Ihr Geld“, besaß ein Rechtsanwalt die Ehrlichkeit zu sagen. „Wir werden in Aburĩria von den persönlichen Launen Einzelner regiert.“ Aber wer macht, während der Herrscher in Amerika ist, neue Gesetze, nach denen man nachts Leute entführt?, fragte sie sich.
Sie wandte sich mit der Bitte um Hilfe und moralische Unterstützung an die Kirche und ihre christlichen Freunde, die aber hatten nur Gebete zu bieten. Einige gaben ihr durch ihre Körpersprache zu verstehen, dass Vinjinia bei ihnen zu Hause und bei ihren gesellschaftlichen Veranstaltungen nicht willkommen war.
Eines Tages parkte sie ihren Mercedes am Straßenrand, stieg aus, setzte sich auf eine kleine Anhöhe und weinte. Alle – die Regierung, ihre Freunde und ihre christlichen Brüder und Schwestern – schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Sie begann die Wahrheiten wie Gerechtigkeit der Regierung und Solidarität unter den Gläubigen, die ihr immer absolut erschienen waren, in Frage zu stellen. An wen sollte sie sich jetzt wenden?
Mitten in ihren Tränen und zahllosen Fragen dachte Vinjinia plötzlich an den Herrn der Krähen.