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Es geschah kurze Zeit später, dass in allen Städten und Dörfern Flugblätter auftauchten, die das Symbol einer Viper und eines zweimäuligen Ungeheuers trugen, mit der Parole: LASST NICHT ZU, DASS SIE UNSERE ZUKUNFT ZERSTÖREN. Das war die erste offene und massive Bedrohung für Baby D. Jedem Aufruhr in der Zeit des Herrscherregimes waren – wie bei der Schmach von Eldares – Flugblätter vorausgegangen.

Der Herrscher rief seinen vertrauenswürdigsten Berater, den Verteidigungsminister Tajirika, zu sich. Der war gerade von einer weiteren Reise nach Washington zurückgekehrt, wo er Gespräche über ein Abkommen zu gemeinsamen Militärübungen in Aburĩria geführt hatte. Die Verhandlungen berührten eine Reihe anderer Fragen wie die Verpachtung von Küstenland für amerikanische Militärbasen, und er ging mit dem Gefühl aus ihnen hervor, nicht nur als Verteidigungsminister des Herrschers Anerkennung zu genießen, sondern auch als eigenständiger Kopf. Er wurde sogar vom Botschafter im Ruhestand Gabriel Gemstone zu einem privaten Abendessen eingeladen, bei dem Größen aus der Geschäftswelt anwesend waren, unter anderem auch Waffenproduzenten. Das Abendessen war so geheim, dass nicht einmal seine Leibwächter davon wussten. In den Gesprächen wusste Tajirika zu betonen, wie nahe er seinem Freund, dem verstorbenen Machokali, gestanden habe – tatsächlich sei er dessen Protegé gewesen –, was in Washington gut anzukommen schien und ihn ermutigte, in London dasselbe zu behaupten.

„Wie verstehst du das alles?“, fragte der Herrscher.

„Das ist der Fluch des Herrn der Krähen.“

„Aus dem Grab heraus?“

„Ja – die Rache der Dämonen.“

„Aber wir haben doch ihre Bildnisse verbrannt.“

„Nyawĩras Dämon muss sich mit seinem vereinigt haben“, fügte Tajirika hinzu, dem immer missfallen hatte, dass Kaniũrũ alle Lorbeeren für die Beseitigung des Hexenmeisters geerntet hatte.

„Männliche und weibliche Dämonen, die zusammenarbeiten?“, fragte der Herrscher. „Und eine neue Welle zwecklosen Widerstands gebären?“, fügte er hinzu.

„Weibliche Dämonen sind unberechenbar.“

Tajirika zögerte, weil ihm einfiel, dass Vinjinia ihm am Morgen gesagt hatte, sie wolle von der Leitung der Mwathirika Bank entbunden werden, um sich auf die Bewirtschaftung ihrer Felder und auf die Eldares Modern Construction and Real Estate zu konzentrieren. Er teilte dem Herrscher Vinjinias Entscheidung mit und erwartete ängstlich den Zorn des Herrschers über derartige Undankbarkeit.

„Geht in Ordnung, sie kann zurücktreten“, stimmte der Herrscher ziemlich schnell zu. „Jane Kanyori soll von der Central Bank in die Mwathirika Bank wechseln.“

Tajirika wusste, dass sich Dr. Yunique Immaculate McKenzie, die inzwischen die Aufgaben der offiziellen Nationalhostess und Rechnungsprüferin des State House auf sich vereinigte, über Kanyoris häufige Besuche im State House beschwert hatte, bei denen diese über den Fortgang an der Central Bank berichtete, schließlich war Kanyori nicht die Gouverneurin. Mit Vinjinias Rücktritt hatte der Herrscher eine glatte Lösung für diesen Konflikt gefunden.

„Ja, Kanyori schafft das“, sagte Tajirika schnell, damit es nicht so aussah, als durchschaute er die Entscheidung des Herrschers.

„Aber wir können uns nicht einfach zurücklehnen und abwarten, bis uns der Fluch des Herrn der Krähen einen Strich durch alle Rechnungen gemacht hat“, sprach der Herrscher und kehrte zum Thema Flugblätter zurück. „Oder zulassen, dass weibliche Dämonen unwidersprochen und ohne Vergeltungsmaßnahmen über uns herfallen“, fügte er hinzu, weil ihm Tajirikas Feigheit einfiel, der sich von Frauen hatte verprügeln lassen. „Auf aburĩrischem Boden darf es nie wieder eine Volksversammlung geben. Mit den militärischen Befehlshabern steht es gut. Wonderful Tumbo hat vorzügliche Arbeit geleistet und mich über alle Anzeichen von Anti-Baby-D-Stimmung innerhalb der Teilstreitkräfte informiert. Sehr gewissenhaft. Und dabei unterhält er die freundschaftlichsten Beziehungen zur Armee. Ich weiß deinen Rat bei dieser Berufung zu schätzen.“

„Vielen Dank, dass Sie meinem Urteil vertraut haben.“

„Aber wie stehen wir in den Augen der Global Bank, des Global Ministry of Finance und des Westens im Allgemeinen da?“

Tajirika führte die bevorstehenden Manöver als weiteren Beweis an, dass der Herrscher wieder in deren Gunst gestiegen war. Er hatte bei seinen Gesprächen in den europäischen Hauptstädten, einschließlich Londons, ähnlich positive Haltungen vorgefunden.

„Unsere Freundschaft ist wieder in der Spur, Dank der Geburt von Baby D. Sogar Gemstone weiß in seinen kürzlich veröffentlichten Memoiren ,Marching to Heaven: Mein Leben in einer afrikanischen Diktatur‘ Positives über Sie zu berichten.“

Da er um die eisige Beziehung zwischen Gemstone und dem Herrscher wusste, erwähnte Tajirika sein privates Abendessen bei Gemstone nicht.

„Und der schämt sich nicht, meine Ideen zu klauen?“, sagte der Herrscher, empört über die Impertinenz und Respektlosigkeit des ehemaligen Botschafters.

„Wir hätten den Namen Marching to Heaven schützen und uns das Copyright sichern sollen“, meinte Tajirika. „Trotzdem sollten Sie sich freuen, dass der Westen Ihre Ideen schätzt. Außerdem sagt man: Ein guter Leser schaut voraus, wo ein Komma, ein Fragezeichen, ein Ausrufezeichen oder ein Punkt steht. Wir sollten das ebenso machen. Die Global Bank und das Global Ministry of Finance sind eindeutig darauf aus, Länder, Nationen und Staaten zu privatisieren. Sie begründen das damit, dass die moderne Welt schließlich von privatem Kapital geschaffen worden ist. Der indische Subkontinent gehörte zum Beispiel der British East India Company, Indonesien der Dutch East India Company, unsere Nachbarn der British East Africa Company und Congo Free State einem Ein-Mann-Unternehmen. Vereinigtes Kapital fand Unterstützung bei den Missionsgesellschaften. Was das Privatkapital damals vermochte, kann es auch heute wieder: Die Dritte Welt besitzen und ohne den geringsten Schönheitsfehler, Makel oder Fleck nach dem Bild des Westens umgestalten. NGOs werden heute leisten, was die missionarische Wohltätigkeit in der Vergangenheit leistete. Die Welt wird nicht mehr nach dem veralteten Modell des zwanzigsten Jahrhunderts in West und Ost und eine richtungslose Dritte Welt unterteilt sein. Die Welt wird zu einem Globus verschmelzen, der in die Inkorporierenden und die Inkorporierten unterteilt ist. Wir sollten anbieten, dass Aburĩria als erstes Land vollständig vom Privatkapital geführt wird, um die erste freiwillig inkorporierte Kolonie zu werden, eine Korporonie, die erste in der neuen Weltordnung. Mit der Privatisierung Aburĩrias und den NGOs, die uns unsere sozialen Verpflichtungen abnehmen, wird das Land zu Ihrem Eigentum. Sie werden zusätzlich zur Provisionszahlung für die Leitung der korporonialen Armee und Polizei die Landmiete einnehmen. Die korporonialen Mächte werden Sie als modernen Visionär feiern. Und Sie werden ironischerweise die Genugtuung haben, sich – so wie Gabriel Gemstone Ihnen Ihr geistiges Eigentum gestohlen hat – den intellektuellen Besitz des vereinigten Westens angeeignet zu haben.“

„Wie du mir, so ich dir. Sie klauen bei uns und wir bei ihnen. Deswegen habe ich immer behauptet, dass du ein Gauner bist“, sagte der Herrscher und lachte, als hätte er Tajirika gerade ein Kompliment gemacht. „Ein treuer Gauner“, fügte er hinzu.

In der Tat fühlte sich der Herrscher mit Tajirika als Berater wohl. Der Verteidigungsminister hatte den gesunden Menschenverstand und Realismus eines Gauners, weshalb sein Rat fast immer auf den Punkt traf. Dennoch war er ein feiger Gauner, der von Frauen verprügelt worden war, niemals Vergeltung geübt hatte und deshalb war er auf der sicheren Seite. Wenn der nicht so einen feigen Charakter hätte, wäre er sehr gefährlich, dachte der Herrscher.

„Was die Sache mit dem Korporonialismus angeht, warum kann ich nicht derjenige sein, der inkorporiert, statt inkorporiert zu werden?“, fuhr der Herrscher fort. „Ich will doch nicht Angestellter einer Firma sein“, fügte er hinzu und lachte laut über seinen Scherz. „Ich hoffe, du hast in Washington keine Versprechen gemacht.“

„Oh, nein, nein!“, erwiderte Tajirika erschrocken.

„Ich bin hier ihr einziger Fixstern, und den werden sie so nehmen müssen, wie er ist.“

„Und der Westen möchte nicht mit seinem Fixstern verblassen“, sagte Tajirika und beide lachten über Tajirikas Witz.

„Aber jetzt haben wir beide erst einmal zu tun“, sprach der Herrscher. „Wir müssen die Wirkung dieser Flugblätter neutralisieren und den drohenden Warteschlangen zuvorkommen, bevor sie erneut zu einer Plage werden.“

„Ja, wir tragen den Kampf in die Unterwelt. Versetzen die Geister von Nyawĩra und dem Herrn der Krähen in Angst und Schrecken und zerstreuen sie in alle Winde“, sagte Tajirika.

Herr der Krähen
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