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Falls Sikiokuu über die neue Größe und Gestalt des Herrschers bestürzt war, so ließ er sich das weder durch Blicke noch durch Gesten anmerken. Sikiokuu hatte seine Zuträger beim Sicherheitspersonal und Verbündete unter den Ministern. Er schien nicht einmal besonders beunruhigt, als der Chef ihm befahl, den preisenden Prolog wegzulassen und zur Sache zu kommen.
Er wisse nicht, wo und wie er anfangen solle, sagte Sikiokuu, denn er habe eine Menge zu berichten. Auch wenn der Bewegung für die Stimme des Volkes das Rückgrat noch nicht vollständig gebrochen sei, habe er doch in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft Strohmänner untergebracht und die illegale Bewegung damit praktisch lahmgelegt. Vor allem aber sei es ihm gelungen, den führenden Kopf hinter allem Übel im Land zu entdecken und zu identifizieren. Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Andeutungen zu beobachten. Der Herrscher zog die Brauen hoch und fragte: „Wer?“ Sikiokuus Gesicht straffte sich und seine Backen blähten sich vor kaum unterdrücktem Zorn.
„Wie kann ich es aussprechen, wenn ich schon den Gedanken hasse, dass meine Zunge seinen Namen wiederholen soll?“
„Wer ist es?“, fragte der Herrscher und hob ungeduldig die Stimme. Genau das hatte Sikiokuu beabsichtigt, denn es sollte so aussehen, als beugte er sich lediglich einem Befehl des Herrschers.
„Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten“, sagte Sikiokuu und senkte angesichts dieses offenkundigen Vertrauensbruchs traurig die Stimme.
„Machokali?“
„Genau, der mit dem Namen, den Sie gerade erwähnt haben“, antwortete Sikiokuu, der erneut größtes Widerstreben zeigte, den Namen auszusprechen.
„Machokali?“, fragte der Herrscher wieder.
„Ja.“
Schweigen. Sikiokuu blickte kurz auf, um zu sehen, was der Herrscher wohl dachte, entdeckte aber nur ein Zucken auf dem sonst unbeweglichen Gesicht – eine unwillkürliche Reaktion aus Angst vor Schmerzen –, und dieses Zucken sowie die nun folgende Frage „Woher weißt du das?“ hielten ihn davon ab, zu antworten und stattdessen die Aktentasche zu öffnen, der er zwei dicke Schriftstücke entnahm: „Der Kaniũrũ-Report über den Ursprung des Schlangenwahns und seine mögliche Verbindung zu gegen die Regierung gerichteten Aktivitäten“ und „Ein Geheimbericht über hochverräterische Handlungen“. Er legte sie mit einer theatralischen Geste auf den Tisch, die Backen noch immer aufgeblasen vor Zorn über den mutmaßlichen Verräter.
„Da steht alles drin“, sagte er und zeigte auf die beiden Bände, „und wahrscheinlich wäre es am besten, wenn ich jetzt gehe und Sie lesen lasse“, fügte er hinzu, wohl wissend, dass der Herrscher nicht viel für umfangreiche Schriftsätze übrig hatte und ihn zweifellos um eine Zusammenfassung bitten würde. Daher überraschte es Sikiokuu, als der Herrscher eine Hand ausstreckte, um die beiden Berichte in Empfang zu nehmen, und der Minister fiel fast über die eigenen Füße, als er sich beeilte, sie zu übergeben. Der Herrscher nahm einen, blätterte ihn durch, legte ihn ab und tat mit dem zweiten das Gleiche.
„Bist du sicher, dass deine Behauptungen stimmen?“, fragte der Herrscher.
„Ich schwöre vor Euch, dem Allmächtigen auf Erden, und dem Einen im Himmel, dass die Verfasser dieser beiden Berichte absolut loyal und vertrauenswürdig sind“, antwortete Sikiokuu und zog sich bestätigend am rechten Ohrläppchen, bevor er hinzufügte: „Sogar eine Bank könnte ihnen ihre Schlüssel anvertrauen.“
„Um wen handelt es sich?“
„John Kaniũrũ, Stellvertretender Vorsitzender von Marching to Heaven und Vorsitzender des herrscherlichen Untersuchungsausschusses zum Schlangenwahn. Der zweite Band ist von Elijah Njoya und Peter Kahiga, zwei erstklassigen Geheimdienstoffizieren.“
„Würdest du diese Vorwürfe vor dem Beschuldigten wiederholen?“, fragte der Herrscher und sah Sikiokuu scharf an.
„Ich fürchte mich nicht vor Verrätern“, antwortete Sikiokuu, der diesmal an beiden Ohrläppchen zupfte.
Der Herrscher schickte nach Machokali.
„Und dir ist auch klar, dass Machokali von der Existenz dieser Berichte nichts erfahren darf?“
„Selbstverständlich, Eure Allmächtige Vortrefflichkeit. Streng geheim. Das bleibt unter uns.“
„Ich will eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser beiden Berichte, bevor der Verräter hier auftaucht.“
Sikiokuu hätte es vorgezogen, wenn ihm eine persönliche Konfrontation mit Machokali erspart geblieben wäre, ergriff aber bereitwillig die Gelegenheit, die Ohren des Herrschers mit Gift zu füllen, damit dieser auch alles durch seine Brille sah.
„Die Wanze, die einem in den Rücken beißt, trägt man in seinen Kleidern“, sagte der Herrscher und grüßte Machokali mit kaum verhohlenem Sarkasmus. „Hast du das Sprichwort schon mal gehört?“
„Oh, ja. Das ist ein bekanntes Swahili-Sprichwort. Kikulacho kimo nguoni mwako.“
„Und weißt du auch, warum die Waswahili es geprägt haben?“
„Nun …“, setzte Machokali an und hielt inne, weil er nicht ganz begriff, worauf der Herrscher mit der Frage hinauswollte.
„Setz dich deinem Kameraden gegenüber auf den Stuhl da. Dann wirst du bald den wahren Sinn des Sprichworts verstehen. Und du, Sikiokuu, sagst Machokali ins Gesicht, was du über ihn zu sagen hast, damit ihr beide begreift, dass ich nichts auf das gebe, was hinter dem Rücken einer Person gesprochen wird.“
Sikiokuu erzählte nun die Geschichte des Hochverrats, wie er sie aus Tajirikas Geständnis herausgelesen hatte, ohne aber die Quelle zu erwähnen. Er beschuldigte seinen Rivalen, hinter dem jüngsten Schlangenwahn zu stecken und ein Agentennetzwerk aufzubauen, das ihm direkt unterstand.
„Dieses Komplott wurde bei einem Geheimtreffen im Mars Café ausgeheckt, unmittelbar bevor Machokali mit Ihnen nach Amerika abreiste“, schloss er.
Machokali hoffte zunächst, der Herrscher würde die offenkundigen Lügen durchschauen und als Unsinn abtun, doch als sein Blick dem des Herrschers begegnete und er Verbitterung darin las, sank er auf die Knie und schwor bei Gott im Himmel, dass es keinerlei Verbindung zwischen ihm und dem Schlangenwahn gebe. Er habe nie auch nur davon geträumt, die Macht an sich zu reißen. Die Anschuldigung der Gründung eines Schattengeheimdienstes entspringe dem Hass und dem Neid Sikiokuus.
„Tajirika ist mein Zeuge!“, sagte Machokali verzweifelt, aber in der Gewissheit, dass sein Freund Tajirika, Besitzer und Geschäftsführer der Eldares Modern Construction and Real Estate und Vorsitzender von Marching to Heaven, felsenfest hinter ihm stehen werde.
„Dann rufen wir ihn doch her“, meinte Sikiokuu, und diese Bereitwilligkeit verstörte Machokali, auch wenn er noch immer überzeugt war, sein Freund Tajirika werde ihn nicht im Stich lassen.
„Ich werde ihn gewiss holen lassen“, sagte der Herrscher. „Aber jetzt ist es schon spät. Meine Männer werden dafür sorgen, dass morgen früh als Erstes Tajirika hierhergebracht wird. Und damit sich keiner von euch beiden mit dem Zeugen in Verbindung setzen kann, werdet ihr die Nacht über hierbleiben. Es macht euch doch nichts aus, euch hier im State House ein Zimmer zu teilen, oder?“