22

Kamĩtĩ hatte gehört, wie Njoya und Kahiga sich flüsternd von der bevorstehenden Ankunft einer Delegation von Afrochiatern im State House erzählten. Er schlussfolgerte, dass es sich dabei um führende afrikanische Spezialisten für Geisteskrankheiten handelte. Doch war ihm nicht klar, dass sie seinetwegen kamen.

Viele Hexenmeister trafen identische Vorbereitungen. Sie machten ein paar Verrenkungen, einige stießen sogar in Hörner oder bliesen in Trillerpfeifen, um die bösen Geister aufzuscheuchen, die vom Patienten Besitz ergriffen hatten, und stellten dann eine Frage, auf die Kamĩtĩ als Antwort immer das Wort „wenn“ ausspuckte. Geschlagen verließen sie das Zimmer und murmelten vor sich hin, sie hätten nie einen Fall erlebt, bei dem der Patient so vollständig von den bösen Geistern besessen gewesen sei. Einige versuchten, ihr Versagen zu verbergen, indem sie vorgaben, eine stärkere Medizin zu holen. Sie kämen ganz bestimmt wieder, doch ihre Stimmen ließen wenig Überzeugung und Enthusiasmus erkennen.

Kamĩtĩ war mit seiner Vorstellung ziemlich zufrieden. Selbst für den klügsten Arzt war es schwierig, eine Krankheit zu diagnostizieren, bei der sich der Patient über die Symptome völlig ausschwieg. Doch nachdem er einen nach dem anderen ins Leere hatte laufen lassen, erschien plötzlich ein Afrochiater, der ihn bis ins Mark erschreckte.

Dieser Meisterchirurg begann, indem er sich lang und breit über seine Erfahrungen ausließ, als würde er den beiden Prüfern im Raum seine Zeugnisse vorlegen.

„Ich sage Ihnen, es geht hier nicht um einen oder zwei, die ich operiert und denen ich Eisenteile entfernt habe, die tief in ihrem Bauch oder ihren Gelenken verborgen waren – zum Beispiel in den Knien“, sagte er vertraulich zu Njoya und Kahiga. „Ich habe viele operiert, und sieben von zehn haben überlebt und es ging ihnen wieder gut. Nicht schlecht, oder? Und ich arbeite zügig“, fügte er hinzu, holte seine chirurgischen Instrumente aus der Tasche und breitete sie sorgfältig auf dem Fußboden aus.

Kamĩtĩ sah Hämmer, Pinzetten, Miniatursägen, Rasierklingen, Nadeln, Messer, Scheren und Nägel in unterschiedlichen Größen und Formen. Er wusste nicht, was furchteinflößender war: das Aufgebot chirurgischer Werkzeuge oder der nüchterne Ton, in dem der Meisterchirurg über seine bisherigen Erfolge sprach.

Kamĩtĩ beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er stand auf, trat auf den Chirurgen zu, bellte „WENN! WENN!“ heraus und sprühte Speichel in Richtung seines Widersachers, der gerade seine Werkzeuge überprüfte. Der Meisterchirurg glaubte, Kamĩtĩ wolle ihn und sein Werkzeug mit dem Bösen anstecken, und begann seine Utensilien rasch einzusammeln, um sie wieder in der Tasche zu verstauen. Aber zu spät! Seine Apparaturen waren bereits bespritzt mit schleimigem Speichel. Eine Ladung traf ihn im Gesicht und er wartete nicht weiter ab. Er schrie unwillkürlich auf, warf die restlichen Geräte in seine Tasche, stürzte aus dem Zimmer und rannte, so schnell ihn seine klapprigen Beine trugen, zum Tor des State House. Seine Sachen seien mit Speichel verhext worden, klagte er so laut, dass jeder es hören konnte, und fügte stöhnend hinzu: „Ich bin verflucht worden.“ In seinem Wahn spürte er den Tod an seine Tür klopfen. Ein „Ich werde sterben“ wich bald einem „Ich sterbe“, und als der Meisterchirurg die Warteschlange vor dem Tor erreicht hatte, wurde der Schrei zu einem „Ich bin tot“. Als ihn die anderen fragten, was los sei, faselte er etwas von seiner Verhexung und dem sicheren Tod.

Als sie verstanden, wovon er sprach, ergriffen die übrigen Kandidaten die Flucht. Anfangs folgten sie ihm und riefen ihm Fragen hinterher, bevor sie in verschiedene Richtungen auseinanderliefen.

Die Nachricht von der Flucht der Hexenmeister kam dem Herrscher sofort zu Ohren und er raste vor Wut. Er befahl seinen Sicherheitsleuten, die Kandidaten zu verfolgen und zurückzubringen. Sie sollten ausgepeitscht werden und anschließend ihre Prüfungen fortsetzen. Wie können diese Feiglinge es wagen, Schande auf die Afrochiatrie zu laden?

Es war, als hätten sich alle Zauberer und Hexenheiler in Luft aufgelöst, bis auf einen, der nicht flüchten konnte, weil sein linkes Bein kürzer war als das rechte. Er konnte nur humpeln und rief ihnen hinterher: „Oh, meine Brüder und Schwestern der Zauberei, lasst mich nicht allein zurück! Bitte lasst mich nicht allein zurück – in Dingen der Zauberei sind wir doch alle gleich!“

„Oh, wir lassen dich nicht zurück“, meinten die Sicherheitsleute, als sie über den verkrüppelten Heiler herfielen, und nur ihre Angst vor der Zauberei hielt sie davon ab, aus Rache einen Prügelhagel auf ihn niederprasseln zu lassen.

Herr der Krähen
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