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Es geschah in einem New Yorker Hotel während seines ersten Besuchs als Finanzminister, dass Tajirika eine Ausgabe des Billionaire las, einem Magazin über die reichsten Menschen und Unternehmen der Welt. Fast alle waren weiße Amerikaner und fast alle Unternehmen in Amerika ansässig. Er begann über das Schicksal von Nationen zu grübeln. Amerika, eine ehemalige Kolonie, war noch immer im Aufstieg begriffen, während Großbritannien, die frühere Kolonialmacht, auf das Dritte-Welt-Elend zurollte. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, fand er die Antwort auf eine Frage, die ihn seit seinem Weiß-Wahn immer wieder beschäftigt hatte. Der Herr der Krähen hatte ihm als Mittel gegen sein Verlangen verschrieben, ein weißer, kolonialer Engländer zu werden. Dabei war aber doch der weiße Amerikaner das erstrebenswerte Ideal. Ja. Er hätte danach streben sollen, ein weißer amerikanischer Mann zu werden. Leider war es dafür jetzt zu spät. Der Herr der Krähen war von Kaniũrũ erschossen und sein Abbild bestattet worden; und soweit es Tajirika anging, war die Sache damit erledigt. Keine „Wenns“ mehr, schon gar nicht angesichts seines spektakulären Aufstiegs vom Häftling und Goldgräber zum Gouverneur und Minister. Und wer wusste, was ihn noch erwartete?

Und dann drückte ihm eines Tages jemand an einer New Yorker Straßenecke ein Flugblatt in die Hand. Als er es sich später ansah, entdeckte er, dass es sich um Reklame einer Klinik handelte, die auf Gentechnologie, Klonen, Transplantationen und plastische Chirurgie spezialisiert war. Das Werbeblatt verkündete, dass die Firma Genetica Inc. alle Körperteile im eigenen Labor züchte und ihr hervorragend ausgebildetes Personal befähigt sei, jedem zu seiner Wunschidentität zu verhelfen, schnell und effizient, ohne Nebenwirkungen.

Diesmal verschwieg Tajirika sein insgeheimes Verlangen und was er zu unternehmen gedachte nicht vor Vinjinia. Sie willigte ein, dass Tajirika, wenn er denn unbedingt wollte, weißer Amerikaner werden konnte, aber sie wollte schwarz bleiben und gerne eine Mischehe führen. Gleichzeitig bestand sie auf einer Gegenleistung, einem Gesichts- und Busenlifting für sich, dem er bereitwillig zustimmte. Und während Kaniũrũ, der damalige Verteidigungsminister, heimlich in der Forty-second Street Pornovideos kaufte, statteten Vinjinia und Tajirika ebenso verstohlen der Genetica-Klinik einen Besuch ab. Zum Zeitpunkt seines Rückflugs gemeinsam mit der übrigen Delegation war Tajirika bereits Empfänger eines weißen rechten Armes als erste Stufe seiner Verwandlung, was ihn zwang, einen Handschuh zu tragen, aber das ging in Ordnung.

Bald darauf waren Vinjinia und Tajirika wieder in New York, und nach einer Woche hatte eine glückliche Vinjinia ein jugendlicheres Gesicht und straffere Brüste, während Tajirika seinem Körper mit dem weißen rechten Arm ein linkes weißes Bein hinzugefügt hatte. Halb schwarz, zur anderen Hälfte weiß, trug er immer lange Hosen und langärmlige Hemden sowie natürlich einen Handschuh an der rechten Hand. Wenn die Leute über den Handschuh redeten, erklärte er, ihn in Erinnerung an den Tag zu tragen, an dem seine Hand als Minister die des Herrschers erstmals geschüttelt hatte.

Doch dann schlug das Unglück zu. Tajirika war gerade mit den Vorbereitungen seiner Rückkehr nach Amerika beschäftigt, wo andere Körperteile seine Verwandlung vollenden sollten, als er in der Zeitung las, dass die Klinik geschlossen worden sei, weil sie keine Genehmigung besessen habe. Zu seinem Entsetzen las er außerdem, Genetica Inc. sei bankrott und die Polizei ermittle gegen sie. Das FBI denke darüber nach, die Namen und Akten der Kunden zu veröffentlichen, um dadurch besser die kriminellen Elemente und ausländischen Spione enttarnen zu können, die in die Machenschaften des Unternehmens verwickelt seien. Tajirika traute sich deshalb trotz seiner unvollendeten Umwandlung und des verlorenen Geldes nicht zu klagen und blieb ein Mann im Übergangsstadium mit weißem linken Bein und weißem rechten Arm. Zum Glück war Vinjinia in seine missliche Lage eingeweiht, und sie beschlossen gemeinsam, das Geheimnis so lange zu hüten, bis sie ein lizenziertes Labor mit entsprechender Technologie zur Vollendung der Verwandlung gefunden hatten. Er ging nie öffentlich schwimmen, und auch zu Hause musste er vorsichtig sein, damit ihn die Bediensteten und überraschende Gäste nicht mit unbedeckten Armen und Beinen erwischten.

Natürlich erzählten sie den Kindern nicht, was sie getan hatten. Obwohl den Kindern das jugendliche Aussehen und die strafferen Brüste ihrer Mutter auffielen und sie das vielleicht sogar ein wenig seltsam fanden, so war ansonsten mit Vinjinia im Wesentlichen doch alles wie zuvor. Aber als Gacirũ ihren Vater nackt sah, als sie einmal ins Bad ging, um sich umzuziehen, glaubte sie, ein Ungeheuer vor sich zu haben. Die Veränderung ihrer Mutter erhielt dadurch eine vollkommen andere Bedeutung. Bei ihr konnte sie kaum Schutz suchen. Vielleicht waren diese Ungeheuer in die Körper ihrer Eltern geschlüpft, wie Ungeheuer in den Märchen das fast immer machten. Nur war das hier kein Märchen, und ihr einziger Ausweg war, davonzulaufen, ihrem Bruder ein Zeichen zu geben, ihr zu folgen und keine Fragen zu stellen. So kam es, dass sie in den See der Tränen geriet.

Dies flüsterte Gacirũ eines Tages als Erklärung ihrer Flucht Maritha und Mariko in der Kirche zu, und die sagten es flüsternd Nyawĩra weiter, die es ihrerseits Kamĩtĩ erzählte.

„Ein ewiger Clown“, stellte Nyawĩra fest.

„Ein Mann, der sich ständig wandelt“, meinte Kamĩtĩ.

Herr der Krähen
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