6
„Ehrlich! Haki ya Mungu“, sagte A.G. immer, wenn er später erzählte, was sich während des schicksalhaften Besuchs in den USA ereignet hatte. „Ich wusste von Anfang an, dass das keine gewöhnliche Krankheit war. Ich wusste auch, dass nur ein Einziger sie niederringen könnte. Aber ich wollte mich nicht in den Vordergrund spielen. Wer würde mir schon glauben, dass dem Herrn der Krähen gelingen könnte, wo die Meister der Wissenschaft des Westens versagt hatten? Deshalb hielt ich mein Wissen zurück, damit die Minister in Ruhe prüfen konnten, was die Ärzte aus dem Westen ausrichteten. Die Minister waren gebildeter als ich, aber ihr wisst alle, dass zu viel Bildung blind für das Naheliegende machen kann.
Aber als ich hörte, dass der Herrscher halluziniere und Wörter von sich gebe, deren Bedeutung keiner ergründen konnte, sagte ich mir: Jetzt reicht’s. Ich werde reden oder für immer schweigen. Mir war klar, dass die Weißen die Ursache seiner Krankheit waren. Wisst ihr, wie sehr die Weißen es hassen, wenn ein Schwarzer eine fortschrittliche Idee hat? Und was konnte fortschrittlicher sein als die Vision des Herrschers von Marching to Heaven? Diese Weißen! Egal wo sie sind oder wer sie sind, sie stinken nach Rassismus. Ich hatte meine Entscheidung getroffen und musste nur noch überlegen, wie ich an die Minister herantreten wollte, um sie von meiner Sicht auf das Problem zu überzeugen.
Es gab drei Möglichkeiten: es allen Ministern gleichzeitig sagen; mit Machokali, der sich zu ihrem Anführer entwickelt hatte, unter vier Augen reden; oder dem Herrscher schreiben und ihm den Brief heimlich zustecken. Ehrlich! Haki ya Mungu! Ich war bereit, an den Herrscher heranzutreten und ihn zu erinnern, dass ich es war, der sich vor den Toren des Paradise furchtlos den Dschinns entgegengestellt und sie in der mitternächtlichen Finsternis quer durch das Grasland von Eldares gejagt hatte.
Nun, es allen zu sagen, hielt ich für keine gute Idee, weil die Minister es vor den weißen Ärzten sicherlich als Aberglauben abtun und behaupten würden, sie glaubten nicht an solche Dinge. Und ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, mit dem Herrscher einmal allein zu sein. Deshalb beschloss ich, wenn auch widerstrebend, mich Machokali anzuvertrauen. Man könnte sagen, dass mein Entschluss erst feststand, als ich ihn sagen hörte, er würde versuchen, mit dem Herrscher zu sprechen. Ich folgte ihm und wartete vor dem Zimmer des Herrschers auf ihn.
Sein Gesicht verriet mir, dass er keinen Erfolg gehabt hatte, und das ermutigte mich, ihm weiter zu folgen. Als ich den Namen ‚Herr der Krähen‘ aussprach, merkte ich, wie Glaube und Zweifel in ihm kämpften. ‚Wie willst du wissen, dass er tatsächlich die Macht hat zu heilen?‘, fragte er. Ich erzählte ihm die Geschichte von der Nacht mit den Bettlern vor dem Paradise, aber natürlich nicht in allen Einzelheiten. Ich verschwieg ihm, dass die schützende Magie des Herrn der Krähen meine Beförderung vom gewöhnlichen Constable zur gehobenen Stellung im Büro des Herrschers und nun zum Delegationsmitglied der Amerikareise bewirkt hatte. Bald sah ich, wie der Wunsch zu glauben die Zweifel verdrängte, aber er sagte mir, er könne die Entscheidung nicht allein treffen, er müsse es dem Herrscher sagen und, wenn das nicht gelänge, müsse er die Sache mit den anderen Ministern beraten.
Ich glaubte, Machokali würde sich sofort erheben und zum Herrscher gehen, aber er schien beunruhigt. Stellt euch meine Überraschung vor, als der Minister mich bat, ihn zu begleiten. Ehrlich! Haki ya Mungu! Diese Aufforderung kam vollkommen unerwartet, und ich verstand sie als Ehre. Stellt euch vor, der ranghöchste Minister in der Regierung bittet mich, ihn zum Herrscher zu begleiten! Als wir eintraten, salutierte ich vor dem Herrscher und der Minister verneigte sich. Doch statt selbst das Reden oder Schreiben zu übernehmen, zeigte Machokali einfach auf mich, eindeutig weil er nicht der Überbringer von Zauberei sein wollte. Nun, ich zog meinen Stift heraus und schrieb meinen Namen auf ein Stück Papier, um den Herrscher daran zu erinnern, dass ich es war, A.G., oder, wie er mich einmal spielerisch genannt hatte, der Bezwinger der Dschinns. Dann schrieb ich auf, was ich schon dem Minister erzählt hatte: Ich wüsste einen Zauberer, der ihn heilen könne. Aus dem plötzlichen Aufleuchten seiner Augen schloss ich, dass der Herrscher meinem Vorschlag gegenüber nicht abgeneigt war; er sah den Minister an und nickte, als wollte er sagen, er stimme der Idee uneingeschränkt zu.
Machokalis Gesicht hellte sich auf, und vor dem Zimmer legte er mir den Arm um die Schultern, als wären wir die allerbesten Freunde. Diese Sache mit der Hexerei bleibt unter uns, sagte er, denn wenn die Medien in New York erfahren, dass der Herrscher nach Zauberheilern aus Aburĩria schickt, würden sie hier zusammenströmen und das Hotel belagern. Auch Professor Din Furyk und Dr. Clement C. Clarkwell dürften nichts von den neuen Entwicklungen wissen. Und die anderen Minister würde er erst nach Ankunft des Zauberers informieren.
Ich war bei ihm, als er Sikiokuu eine E-Mail schrieb, in welcher der Herrscher dem Minister befahl, den Herrn der Krähen nach New York zu schicken. Als Sikiokuu die Reiseunterlagen des Zauberers sandte, meinte Machokali, wir könnten ihn gemeinsam vom internationalen Flughafen abholen.
Nun, ich hatte geglaubt, Machokali würde angesichts der prompten Antwort aus Aburĩria überglücklich sein und die Ankunft des Zauberers kaum erwarten können. Aber er sah nicht glücklich aus. Irgendetwas bedrückte ihn.
‚Am meisten fürchte ich mich davor‘, sagte er ganz aufrichtig zu mir, ‚wie der Zauberer am Flughafen ankommen wird. Gekleidet in ein Gewand aus ungegerbtem Leder, mit einer Kette aus geschliffenen Tierknochen um den Hals, eine Kalebasse voll stinkendem Öl und grünen Blättern in der Hand, mit Amuletten an den Handgelenken und Glöckchen um die Fesseln seiner nackten Füße. Die Leute hier sind sehr empfindlich, was die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte betrifft, weil sie Angst vor gefährlichen Schädlingen haben. Was, wenn er nicht durch den Zoll kommt? Was, wenn die Einwanderungsbehörde seine Pulver für Drogen hält und der Hexenmeister dann verrät, er sei auf Wunsch des Herrschers hergekommen? Den Herrscher könnte dasselbe Schicksal erwarten wie das jenes lateinamerikanischen Staatsoberhaupts, das wegen Drogenvergehen lebenslang in einem amerikanischen Gefängnis sitzt.‘ Aus Angst, die Ankunft des Zauberers könnte sich zum Skandal ausweiten, wünschte er sich jetzt, er hätte auch darauf hingewiesen, der Zauberer solle sich anständig kleiden und seine Utensilien in einem Diplomatenkoffer transportieren!
Nun, ich konnte mir nicht helfen und musste lachen, als der Minister von seinen Sorgen sprach.
‚Der Herr der Krähen ist ein moderner Zauberer‘, versicherte ich ihm. ‚Er trägt Anzüge. Und abgesehen davon verwendet er für seine Weissagungen nur einen Spiegel.‘
Ehrlich! Haki ya Mungu! Minister Machokali blieb der Mund offen und die Augen fielen ihm fast heraus, als ich ihm den Herrn der Krähen und seinen magischen Spiegel beschrieb.“