EPILOG
So fühlt sich also Ruhm an, dachte Knox, als er im Licht der Scheinwerfer schmorte und über eine Wand aus Mikrofonen schaute. Vor ihm saßen in dicht gedrängten Reihen Dutzende Fotografen, Fernsehreporter und Journalisten, die mit einer Hand Notizen in ihre Blocks kritzelten und mit der anderen wild fuchtelnd auf sich aufmerksam machen wollten, um Fragen zu stellen; wenn auch nur um ihren Vorgesetzten zu zeigen, dass sie ihre Arbeit taten, denn mittlerweile musste ihnen klar geworden sein, dass sie keine aussagekräftigen Antworten erhalten würden.
«Es tut mir leid», erklärte Yusuf Abbas zum x-ten Mal. «Es ist noch viel zu früh, um genau sagen zu können, was wir gefunden haben. Archäologie ist ein langwieriger Prozess. Wir brauchen Zeit, um die Ausgrabungsstätten zu sichern und zu erforschen, und wir brauchen Zeit, um unsere Funde zu bergen und zu untersuchen. In ein oder zwei Jahren wissen wir vielleicht etwas mehr. Nur noch drei Fragen, bitte. Wer möchte …»
«Daniel!», rief eine junge, rothaarige Frau. «Daniel! Hier!» Als Knox sich zu ihr drehte, wurde er für einen Moment vom Blitzlicht eines Fotografen geblendet. «Woher wissen Sie, dass es Alexander ist?», rief sie.
«Stimmt es, dass dort noch mehr Gold ist?», meldete sich ein japanischer Journalist zu Wort.
«Gaille! Gaille!», schrie ein grauhaariger Mann. «Dachten Sie tatsächlich, Sie würden sterben?»
«Bitte», sagte Yusuf und erhob die Hände. Er kostete jeden Augenblick aus. «Einer nach dem anderen.»
Knox kratzte sich die Wange. Die Müdigkeit machte ihn kribbelig, und seine Bartstoppeln juckten. Es war ein bizarrer Gedanke, dass man ihn genau in diesem Moment überall auf der Welt im Fernsehen sehen konnte. Mit Sicherheit saßen auch ein paar alte Bekannte vor den Apparaten. Bestimmt starrten sie ungläubig auf den Bildschirm, manche stießen vielleicht auch einen leisen Fluch aus oder begannen zu lachen und riefen sofort gegenseitige Freunde an. Hast du das im Fernsehen gesehen? Erinnerst du dich an diesen Knox? Ich schwöre bei Gott, das ist er gewesen!
Er schaute hinüber zu Gaille. Sie lächelte und zog eine Augenbraue hoch, so als würde sie genau wissen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Die letzten vierundzwanzig Stunden waren verwirrend gewesen. Die Befragung durch die Polizei in Suez hatte in einer triumphierenden Stimmung begonnen. Alle hatten sich gegenseitig beglückwünscht, Witze wurden gerissen, Hände geschüttelt, und Gaille und er waren wie Helden behandelt worden. Mohammeds Geschichte hatte die Öffentlichkeit offenbar äußerst bewegt. Und die Krone des Ganzen war der Livebericht im Fernsehen gewesen, in dem Yusuf Abbas verzweifelt versuchte hatte, seine Beziehung zu den Dragoumis zu erklären und warum er der Makedonischen Archäologischen Stiftung die Erlaubnis zur Ausgrabung im Delta gegeben hatte und warum Elena Koloktronis ihn in Kairo aufgesucht hatte.
Doch dann hatte sich der Ton plötzlich verändert. Ein neuer Ermittler namens Umar war auf dem Polizeirevier erschienen. Als erste Amtshandlung hatte er Knox und Gaille in getrennte Zellen sperren lassen. Daraufhin hatte er begonnen, sie unerbittlich einzeln zu verhören. Er hatte spitze Koteletten, einen stechenden Blick und äußerst misstrauisch auf alles reagiert, was Knox ihm erzählt hatte. Immer wieder hatte er versucht, Knox in Widersprüche zu verwickeln und ihm die Worte im Munde umzudrehen. An Nicolas Dragoumis und seinen Männern hatte er nicht das geringste Interesse gezeigt, so als würde er Raub und mehrfachen Mord für völlig nebensächlich halten. Stattdessen hatte er sich allein auf Knox’ Handlungen konzentriert und ihn besonders über die Ausgrabungsstätten der Antiquitätenbehörde in Alexandria und im Delta ausgefragt. Schließlich hatte er ihn dazu zwingen wollen, dass er zugab, in diese Stätten eingebrochen zu sein.
«Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen», beteuerte Knox. «Ich weiß nichts über diese Ausgrabungsstätten.»
«Wirklich nicht?», hatte Umar ihn gefragt und theatralisch die Stirn gerunzelt. «Dann können Sie mir vielleicht erklären, wie Fotos dieser Stätten auf einen Laptop und eine Digitalkamera gelangt sind, die wir in Ihrem Jeep gefunden haben.» Knox war das Herz in die Hose gerutscht. Die Fotos hatte er völlig vergessen. Hätte er in diesem Moment dichtgemacht oder einen Anwalt verlangt, wäre sofort klar gewesen, dass er etwas zu verbergen hatte. Einen solchen Mann anzulügen wäre reiner Wahnsinn gewesen, aber ein Geständnis ebenso. Und er hatte auch an Ricks Ruf denken müssen. Auf keinen Fall wollte er zulassen, dass der gute Name seines Freundes als Grabräuber besudelt wurde, nicht nachdem er sein Leben geopfert hatte. Umar hatte ihn mit aufreizender Selbstgefälligkeit angelächelt: «Ich warte.»
«Ich habe nichts Falsches getan», hatte Knox entgegnet.
«Das mag Ihre Meinung sein. In meinem Land halten wir den Einbruch in historische Stätten für ein schwerwiegendes Verbrechen. Besonders bei einem Mann, von dem bereits bekannt ist, dass er Antiquitäten auf dem Schwarzmarkt verkauft hat.»
«Das ist Schwachsinn!», hatte Knox wütend protestiert. «Und das wissen Sie auch.»
«Erklären Sie die Fotos, Herr Knox.»
Knox hatte eine finstere Miene aufgesetzt und sich mit verschränkten Armen zurückgelehnt. «Welche Fotos?»
Umar hatte wütend geschnaubt. «Sind Ihnen die Strafen für Antiquitätendiebstahl bekannt? Selbst für den versuchten Diebstahl können Sie zehn Jahre bekommen.»
«Das ist doch lächerlich. Ich habe gerade geholfen, einen kostbaren Schatz für Ägypten zu retten.»
«Trotzdem», hatte Umar erwidert. «Ein kluger Mann wäre sich des Ernstes seiner Situation bewusst. Sind Sie ein kluger Mann, Herr Knox?»
Knox hatte misstrauisch die Augen zusammengekniffen. «Worauf wollen Sie hinaus.»
«Ich will darauf hinaus, dass es tatsächlich eine Erklärung für Ihre Anwesenheit in diesen Stätten gibt, die ich gerne akzeptieren würde.»
«Und die wäre?»
«Dass Sie mit der Genehmigung der Antiquitätenbehörde dort waren. Besonders mit dem Wissen und dem Segen des Generalsekretärs Yusuf Abbas.»
Als Knox schließlich kapiert hatte, hatte er die Augen geschlossen. «Darum geht es also», hatte er erwidert und lachen müssen. «Wenn ich sage, ich habe verdeckt für Yusuf gearbeitet, war er plötzlich nicht mehr der beste Freund der Dragoumis, sondern hatte gegen sie ermittelt. Aus reiner Neugier: Was fällt für Sie dabei ab?»
«Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen», hatte Umar steif entgegnet. «Aber vielleicht sollten wir Ihre Aussage noch einmal durchgehen. Die Medien verlangen nach einer runden Geschichte, wie Sie sicher verstehen. Also beginnen Sie doch dieses Mal damit, dass Sie mir erzählen, wie Sie Yusuf Abbas angerufen haben, um ihm von Ihrem Verdacht gegen die Dragoumis zu unterrichten, und wie er Sie beauftragt hat, verdeckt für ihn zu ermitteln.»
«Und wenn nicht?»
«Dann wird jeder verlieren. Yusuf. Sie. Ihre Freundin.»
Knox war schlecht geworden. «Gaille?»
«Ägypten braucht einen Sündenbock, Herr Knox, und die Griechen sind alle tot. Aber Ihre Freundin Gaille hat für sie gearbeitet. Sie wurde erst vor ein paar Tagen mit einem Privatjet nach Thessaloniki geflogen, um Philipp Dragoumis zu treffen. Sie war mit Elena Koloktronis in Siwa. Glauben Sie mir, ich kann sie mit wesentlich weniger Material als diesem hier schuldiger als den Teufel dastehen lassen. Und dabei ist sie so ein süßes, junges Ding! Können Sie sich vorstellen, was nur ein Monat in einem ägyptischen Gefängnis aus ihr machen würde?»
«Ich glaube es nicht.»
Umar hatte sich vorgebeugt. «Und da ist noch etwas. Wenn Sie zustimmen, sind Sie ein Held. Ich bin befugt, Ihnen zu sagen, dass die Antiquitätenbehörde Sie mit offenen Armen wieder in ihrem Schoß aufnehmen wird. Wenn Sie in der Zukunft eine Ausgrabung planen, können Sie mit Wohlwollen rechnen.»
Für einen Augenblick hatte Knox das Bedürfnis verspürt, Umar das Angebot um die Ohren zu hauen. Vor fünf Jahren, jünger und sturer, hätte er es getan. Aber die Wüste war ein guter Lehrer. «Wenn ich zustimme, dann unter einer Bedingung.»
«Und die wäre?»
«Eine neue Auszeichnung der Antiquitätenbehörde. Der Richard-Mitchell-Preis, der jährlich vom Generalsekretär persönlich an einen viel versprechenden, jungen Archäologen verliehen wird. Der erste geht postum an Rick.»
Daraufhin hatte Umar lächeln müssen. «Entschuldigen Sie mich einen Moment?»
Während er auf Umar wartete, hatte Knox sein Bein ausgestreckt. Die Schussverletzung hatte noch etwas geschmerzt, aber es war nur eine Fleischwunde, wie ihm versichert worden war. In einer Woche würde es nur noch eine Narbe und eine Erinnerung sein. Umar war zurückgekehrt. «Nicht Richard-Mitchell-Preis», sagte er. «Nur Mitchell-Preis. Eine Anerkennung des Beitrages der ganzen Familie. Weiter können wir Ihnen nicht entgegenkommen, hat mein Kontaktmann gesagt.»
Knox hatte genickt. Er war schon überrascht gewesen, dass Yusuf sich überhaupt darauf eingelassen hatte. Im Grunde wurde damit Richards Unschuld anerkannt, und wenn er unschuldig war, dann konnte Yusuf nur schuldig sein. Mit der Verkürzung des Preisnamens hatte er sich gerade noch aus der Klemme geholfen. Für einen Moment hatte Knox genau aus diesem Grund überlegt, den Deal abzulehnen. Aber nicht allein sein Schicksal hatte auf dem Spiel gestanden. «Gut», hatte er geantwortet. «Aber Sie brauchen auch die Zustimmung von Gaille.»
«Die habe ich bereits», hatte Umar erwidert und auf seine Tasche geklopft. «Offenbar wollte sie Ihnen das Gefängnis genauso ersparen wie Sie ihr.»
«Kann ich sie sehen?»
«Noch nicht. Sobald wir Ihre Aussage umgeschrieben haben, werden wir eine Pressekonferenz geben. Sie, Gaille und Yusuf werden der Welt erzählen, wie Sie gemeinsam mit Hassan die Pläne dieser heimtückischen Griechen vereitelt haben. Danach können Sie beide tun, was immer Ihnen beliebt.»
«Nachdem wir für immer kompromittiert sind, meinen Sie.»
Umar hatte nur gelächelt.
Und so waren sie hier gelandet. Yusuf Abbas beendete die Pressekonferenz und dankte den Journalisten für ihr Kommen, die sich mit weiteren Fragen bitte direkt an ihn und nicht an Knox oder Gaille wenden sollten. Dann legte er seine Hände flach auf den Tisch, stemmte sich mit verzerrtem Gesicht aus dem Stuhl und schaute sich strahlend im Saal um, als erwartete er Applaus. Als der ausblieb, winkte er Gaille und Knox an seine Seite und legte beiden für ein paar letzte Gruppenfotos die Arme um die Schultern, so als wären sie die besten und ältesten Freunde. Schließlich erstarb das Kameraklicken, und die Scheinwerfer gingen aus. Während die Journalisten der Reihe nach hinausmarschierten, zückten sie ihre Handys, riefen ihre Büros oder Freunde an und widmeten sich bereits anderen Dingen. Knox blieb seltsam ernüchtert zurück. Er hatte das Rampenlicht nie gesucht, aber unbestreitbar hatte es etwas Berauschendes an sich.
Yusuf ließ die Arme um ihre Schultern, als er sie durch die Hintertüren des Konferenzsaals führte und sich neugierig nach ihren Plänen erkundigte. Kaum gingen jedoch die Türen hinter ihnen zu, setzte er eine finstere Miene auf, wich von ihnen ab und schüttelte angewidert seine Hände, als befürchtete er, Knox und Gaille könnten ihn mit einer gefährlichen Krankheit anstecken. «Denken Sie nicht einmal daran, ohne meine Erlaubnis mit der Presse zu sprechen», warnte er sie.
«Wir haben unser Wort gegeben.»
Yusuf nickte mürrisch, als würde er genau wissen, wie viel das Wort solcher Leute wert war. Dann wandte er sich energisch von ihnen ab und trottete davon.
Knox schüttelte sich und schaute Gaille an. «Wollen wir abhauen? Ich habe ein Taxi rufen lassen.»
«Worauf warten wir dann noch?»
Sie machten sich auf den Weg durch das Gewirr von Gängen.
«Ich kann nicht glauben, dass Yusuf davonkommen wird», knurrte Knox.
«Wir hatten keine andere Wahl», versicherte ihm Gaille. «Es gibt keine Beweise gegen ihn. Aber gegen uns. Und es ist nicht unser Fehler, dass die Ägypter ihn zum Generalsekretär ernannt haben.»
«Dein Vater hätte diesem Deal nie zugestimmt.»
«Doch, das hätte er. Er hatte einen Deal mit Dragoumis, oder?» Sie lächelte und nahm seinen Arm. «Hauptsache, es ist vorbei. Lass uns bitte über etwas anderes sprechen.»
«Worüber zum Beispiel?»
«Zum Beispiel darüber, was du jetzt vorhast?»
Traurig dachte er an Rick. «Ich muss zu einer Beerdigung.»
«Oh, Gott, natürlich.» Sie senkte ihren Kopf. «Und danach?»
«Ich habe noch nicht darüber nachgedacht», sagte Knox, obwohl das eine Lüge war. Seit Umar ihm das Angebot unterbreitet hatte, ging ihm der Gedanke an eine neue Ausgrabung nicht mehr aus dem Kopf. «Und du?»
«Ich werde mit der ersten Maschine, die ich kriegen kann, nach Paris fliegen.»
«Ach.» Er blieb stehen. «Wirklich?»
«Ich habe beschlossen, die Sorbonne zu verlassen», sagte sie. «Aber die Leute dort haben es verdient, dass ich es ihnen persönlich sage. Sie sind sehr gut zu mir gewesen.»
Knox’ Miene heiterte sich sofort wieder auf. «Und dann?»
«Ich habe vor, zurückzukommen und mir einen Job bei einer Ausgrabung zu suchen. Ich will praktische Erfahrungen sammeln, verstehst du? Wie ich gehört habe, sucht Augustin immer Assistentinnen. Vielleicht könnte ich …»
«Augustin!», wiederholte Knox entsetzt. «Der geile Bock! Das kann doch nicht dein Ernst sein.»
«Ich dachte, er wäre dein Freund?»
«Er ist mein Freund. Und genau deshalb möchte ich nicht, dass du für ihn arbeitest.»
«Aber ich brauche einen Job», entgegnete Gaille. «Hast du einen besseren Vorschlag?»
Sie hatten den Hinterausgang erreicht und gingen die Treppe hinunter zum wartenden Taxi. Knox hielt Gaille die Tür auf, setzte sich dann neben sie und sagte dem Fahrer, wohin sie wollten. Als sie losfuhren, kurbelte er das Fenster herunter, um den typischen Geruch Ägyptens nach Gewürzen, Abgasen und Schweiß hereinzulassen. Das war schon eher nach seinem Geschmack. Fernab der Politik, des krankhaften Ehrgeizes, der Geschäftemacherei, der Korruption und der Betrügerei wieder auf der Suche nach der Wahrheit. Er schaute Gaille an. «Ich werde einen Partner brauchen, sobald diese ganze Sache endgültig vorbei ist», sagte er.
«Wirklich?»
«Ja. Jemand, der aus echter Hingabe bereit ist, für einen Hungerlohn zu arbeiten. Jemand, der genau die Fähigkeiten hat, die meine ergänzen. Eine Sprachexpertin wäre ideal. Am besten eine, die auch ein einigermaßen anständiges Foto machen kann. Zwei Angestellte zum Preis von einer, verstehst du. Ich bin da ganz praktisch veranlagt.»
Gaille lachte, ihre Augen funkelten. «Und darf man fragen, was ihr beide suchen wollt?»
Er grinste sie an. «Du meinst, was wir beide suchen wollen?»
«Ja», sagte sie glücklich. «Genau das meine ich.»