II

Die Scheinwerfer des Gegenverkehrs blendeten Knox, als er zwischen den beiden Griechen in der Kabine des Sattelschleppers saß. Er war jetzt hellwach und nahm seine Umgebung beinahe überdeutlich wahr. Bastiaan fuhr unruhig, das Getriebe knirschte, wenn er brummend und fluchend schaltete. Vielleicht war er es nicht gewohnt, einen so schweren LKW zu fahren, vielleicht war er aber auch nur nervös, weil ihm die Situation nicht behagte, in der er sich befand. Nicolas presste die ganze Zeit den Lauf der Walther unnötig fest in Knox’ Rippen, während er gleichzeitig Bastiaan sagte, wo er langfahren musste.

Sie zweigten von der Hauptstraße ab in ein Industriegebiet mit niedrigen Lagerhäusern und einer rissigen Betondecke. Kein Fahrzeug war hier unterwegs. Sämtliche Gebäude waren verschlossen. Alle zwanzig Meter warfen Straßenlaternen gelbe Lichtkegel in die Finsternis. An einer Reihe großer Kräne erkannte man den Hafen. Sie fuhren an einem hohen Maschendrahtzaun entlang, an dem Al Assyutis Firmenschilder hingen: PRIVAT: EINTRITT VERBOTEN. Sie näherten sich dem Tor.

Bastiaan sah in den Seitenspiegel und wurde langsamer. Die Bremsen heulten auf, und er nahm den Fuß vom Pedal. Als er in die Einfahrt bog, rumpelten die Vorderräder über den Gehsteig. Vor einer Holzschranke hielt er an. Bastiaan kurbelte sein Fenster herunter, um einen älteren Wachmann auf sich aufmerksam zu machen, der in der gläsernen Kabine Schach gegen sich selbst spielte. Neben ihm ein angeleinter Dobermann. Der Wachmann seufzte, kam zum Sattelschlepper gehumpelt, schielte hoch zu Bastiaan und fragte auf Arabisch, was er wollte. Bastiaan zuckte mit den Achseln und schaute Hilfe suchend zu Knox und Nicolas.

«Ich bin Daniel Knox», sagte Knox. «Herr Al Assyuti erwartet mich.»

«Sie alle?», fragte der Mann.

«Ja.»

In der Ferne ertönte eine Schiffssirene. Der Wachmann zuckte mit den Achseln und schüttelte den Kopf, dann ging er in seine Kabine zurück und griff zum Telefon. Durch das offene Fenster des LKWs strömte die kühle Nachtluft herein, die nach Diesel, Salz und verrottetem Fisch roch. Eine Überwachungskamera nahm sie surrend ins Visier. Die Schranke ging hoch. Bastiaan fuhr auf das Gelände und brachte den LKW mühsam wieder auf Touren. Die Bürogebäude befanden sich am anderen Ende des Terminals. Wie gigantische Bauklötze waren überall bunte Container aufgestapelt. Kein Mensch war zu sehen, kein Hafenarbeiter, kein Gabelstaplerfahrer, kein Lastwagenfahrer, kein Kranführer. Nur Leere und Stille. Die Geländewagen schwärmten wie Flügelstürmer auf beiden Seiten des Sattelschleppers aus. Ein riesiges Schiff fuhr durch den Kanal. Die Lichter der Brücke und der Decks spiegelten sich im Wasser. Knox hatte das befremdliche und überwältigende Gefühl, dass das letzte Jahrzehnt seines Lebens jetzt seinen Höhepunkt erreichte. Er musste an den Tod seiner Eltern und seiner Schwester denken, an die Auseinandersetzung mit den Dragoumis, an die Jahre mit Richard, an die Suche nach Alexander. Und an Gaille. Vor allem an Gaille.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, tippte Nicolas eine Nummer in sein Handy. Einen Moment später hörte Knox es im Container hinter sich klingeln. Nachdem Eneas herangegangen war, hielt Nicolas sein Handy hoch und zeigte es Knox. «Ich werde es tun», sagte er. «Ich werde sie töten lassen, falls du etwas versuchst. Ich schwöre es.»

Irgendetwas an seiner Wortwahl machte Knox stutzig. Er musste plötzlich an Elena denken, wie sie vor Dragoumis gestanden hatte, bevor sie ihn erschoss, und mit welchen Worten sie sich erklärt hatte. «Elena hat Pavlos nicht eigenhändig getötet», murmelte er. «Sie hat ihn töten lassen. Das hat sie deinem Vater gesagt.»

Nicolas sah ihn unwirsch an. «Und?»

«Elena war Archäologin, keine Mafiabraut. Wie soll sie einen Mord in Auftrag gegeben haben?»

«Woher soll ich das wissen, verdammte Scheiße?» Aber Nicolas war nervös geworden.

«Wie lange hat Costis für dich gearbeitet?», wollte Knox wissen.

«Halt’s Maul!»

«Ich wette, er hat schon damals für dich gearbeitet, oder? Hat Elena ihn gekannt?»

«Was soll der Schwachsinn?», fuhr Nicolas ihn an.

«Elena hat sich an Costis gewendet», sagte Knox. Jetzt war er sich sicher. «Sie hat ihn beauftragt, Pavlos zu töten.»

«Hör auf mit dem Scheiß!»

«Und deshalb hat Elena ihn erschossen. Nicht weil er zufällig neben deinem Vater stand, sondern weil er derjenige war, der den Unfall inszeniert hat.»

«Halt’s Maul, habe ich gesagt!»

«Und Costis hat für dich gearbeitet.»

«Ich warne dich zum letzten Mal.»

«Er hätte niemals einen anderen Job angenommen, ohne es vorher mit dir abzuklären.»

Nicolas knallte den Lauf der Walther an Knox’ Schläfe. «Ich habe dich gewarnt», schrie er.

«Wusstest du, dass meine Familie mit im Auto sitzen würde?», fragte Knox.

«Verdammte Scheiße, halt endlich dein verfluchtes Maul!»

«Wusstest du, dass meine Schwester im Auto sitzen würde?»

«Halt jetzt die Klappe!»

«Sie war sechzehn Jahre alt», sagte Knox. «Verflucht, sie war erst sechzehn Jahre alt.»

«Wir befinden uns im Krieg!», schrie Nicolas außer sich. «Kapierst du das nicht? Krieg! Im Krieg muss man Opfer bringen.» Es entstand eine gelähmte Stille, als könnten beide Männer das Geständnis nicht ganz glauben. Nicolas richtete die Walther auf Knox’ Stirn, seine Hand zitterte vor Scham und Angst, ein Finger am Abzug, bereit ihn zu töten, nur um seinen Vorwürfen zu entgehen. Aber dann hielt Bastiaan mit heulenden Bremsen vor dem Bürogebäude an, und ein Mann kam durch die dunkle Doppeltür, die hinter ihm zuschlug.

«Wer ist das?», brummte Nicolas. «Hassan?»

Knox schüttelte den Kopf. «Nessim.»

«Nessim?»

«Hassans Sicherheitschef.»

«Sicherheitschef?» Nicolas verschlug es die Sprache.

Nessim wartete, bis alle Fahrzeuge angehalten hatten. Dann gab er ein Signal, und auf den Dächern der Container um sie herum erhoben sich bewaffnete Männer mit automatischen Waffen und nahmen sie ins Visier. In den Büros wurden die Fallfenster hochgeschoben, aus denen weitere Gewehrläufe glitten. «Ihr seid vollständig umzingelt», rief Nessim. «Schaltet die Motoren aus. Lasst die Waffen fallen. Legt eure Hände hinter den Kopf. Macht langsam die Türen auf. Dann kommt nacheinander heraus. Wir wollen kein unnötiges Blutvergießen.»

Voller Abscheu starrte Nicolas Knox an. Er hob sein Handy. «Das ist eine Falle», fauchte er. «Töte das …»

Knox schlug Nicolas das Handy aus der Hand, bevor er seinen Befehl beenden konnte, aber Nicolas hatte noch die Walther. Er richtete sie auf Knox und drückte ab. Knox warf seinen Kopf zurück, sodass die Kugel nur seine Wange streifte und dann das Fahrerfenster durchschlug. Es war, als hätte eine Startpistole jeden aufgescheut. Aus dem Geländewagen links von ihnen wurde eine Salve abgefeuert. Nessim warf sich auf den Boden. Von den Containern und den Bürofenstern wurde sofort zurückgeschossen, die Kugeln durchsiebten den Geländewagen und peitschten über den Asphalt. Knox packte Nicolas’ Handgelenk und verdrehte es, bis er die Walther fallen ließ. Währenddessen legte Bastiaan krachend den Rückwärtsgang ein und trat verzweifelt auf das Gaspedal, um den Sattelschlepper zu beschleunigen. Überall ertönte Geschrei, Leute liefen durcheinander, von allen Seiten wurde geschossen, doch irgendwie kam der LKW unbeschadet aus der Schusslinie. Der zweite Geländewagen machte eine Kehrtwende, aus den Fenstern wurden automatische Waffen abgefeuert. Dann geriet er in Dauerfeuer, die Karosserie wurde durchlöchert, die Fenster zersprangen. Eine Tür ging auf, und ein Mann sprang hinaus. Er lief ein paar Schritte und schoss blind hinter sich, dann wurde er getroffen und stürzte zu Boden.

Der Sattelschlepper nahm endlich Fahrt auf. Nicolas und Knox kämpften um die Walther, die auf dem Boden der Fahrerkabine umherrutschte. Eine einzelne Kugel durchschlug die Windschutzscheibe und durchzog sie mit Rissen. Bastiaan stöhnte auf und wurde zurückgeworfen. In seiner Stirn war ein kleines Loch. Als er dann nach vorn sackte, sah man den großen roten Krater im Hinterkopf. Sofort verloren sie an Geschwindigkeit. Nicolas packte die Walther und richtete sie auf Knox. Knox versetzte ihm einen Kopfstoß auf den Nasenrücken, griff nach seinem Handgelenk und knallte es so lange gegen das Armaturenbrett, bis er die Waffe fallen ließ. Er schob Bastiaan zur Seite, streckte ein Bein aus und trat aufs Gaspedal. Sofort wurden sie wieder schneller. Er riss das Lenkrad herum und lenkte sie rückwärts Richtung Kanal. Nicolas hob die Walther wieder auf und wollte sie gerade auf ihn richten, als die Hinterräder wegsackten und das Fahrgestell quietschend über die Kante der Hafenmauer schlitterte. Durch das Gewicht des Sarkophags im Container wurde die Fahrerkabine sofort nach oben geschleudert. Nicolas schrie auf, als sie in der Luft hingen und dann rückwärts aufs Wasser krachten. Der LKW erzitterte, und dann noch einmal, als Alexanders goldener Sarg wie ein Rammbock gegen die hinteren Türen krachte, sie aus den Angeln riss und schließlich hinaus in den Kanal rutschte und untertauchte.

Der LKW wippte zweimal und plumpste auf den Bauch. Ohne das Gewicht des Sarkophags war genug Luft im Container, um ihn treiben zu lassen. Nicolas versuchte, die Beifahrertür aufzukriegen, doch das Wasser drückte dagegen. Als er stattdessen das Fenster herunterkurbelte, strömte Wasser schäumend herein. Er wollte hinausklettern, doch Knox packte seinen Knöchel und kurbelte das Fenster wieder hoch, bis er an der Hüfte eingeklemmt war. Die Kabine neigte sich zur Seite und zog Nicolas unter Wasser. Er strampelte wie ein Wilder mit den Beinen, um sich loszureißen, aber Knox erinnerte sich an seine Schwester, an seine Eltern, an Rick und hielt ihn erbarmungslos fest. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis Nicolas sich nicht mehr rührte. Knox kletterte durch das andere Fenster und tauchte hinter den Container, damit ihn Hassans Männer, die jetzt an der Hafenmauer standen, nicht erwischten. In dem verschmutzten Wasser brannten seine Augen, sodass er sich nur vortasten konnte. Als er sie aber wieder öffnete, war er sich sicher, dass er für einen Moment zwei leere Augenhöhlen sehen konnte, die ihn aus einem Schädel anstarrten. Dann fiel der Schädel auf die Seite, wirbelte Luftblasen auf und trudelte in die Tiefe.

Er schüttelte den Kopf, um klar zu werden. Sollen die Toten die Toten begraben. Er musste Gaille retten. Die Türen des Containers waren abgerissen. Er zog sich hinein. Der Container war bereits zu zwei Dritteln unter Wasser und füllte sich rasant. Bei dem Aufprall war alles herausgerutscht, nur Gaille hing zum Glück an der Laufstange gefesselt. Das Wasser stand ihr schon bis zum Hals, und sie musste ihren Kopf weit in den Nacken legen, um nach Luft zu ringen. Knox tauchte unter, um ihre Fesseln zu lösen, doch der Knoten hatte sich durch die Feuchtigkeit festgezogen. Permanent stieg der Wasserpegel, bis nur noch ihre Nasenlöcher hervorschauten. Verzweifelt mühte sich Knox mit dem Seil ab, ehe er es endlich so weit gelockert hatte, dass er eine Fingerspitze hindurchschieben konnte, dann den ganzen Finger, und plötzlich war der Knoten auf. Gailles Hand war frei. Sie drehten beide um und schwammen zur Öffnung des Containers, tauchten gemeinsam auf, schnappten gierig nach Luft und schauten zu, wie aus dem Container die letzten Luftblasen stiegen und er dann im Kanal versank.

Eine Reihe von Männern mit erhobenen Gewehren säumte die Hafenmauer. Davor stand Nessim und zeigte auf eine Treppe, die aus dem Kanal führte. Die Kraft, die Knox die ganze Zeit angetrieben hatte, verließ ihn jetzt. Er wusste genau, dass es für ihn vorbei war. Er konnte nur noch hoffen, dass Gaille davonkam. Erschöpft schwamm er zu den Stufen und half ihr aus dem Wasser. Sie nahm seine Hand. Er wollte sie ihr entziehen, um sie aus der Sache herauszuhalten, aber sie merkte, was er vorhatte, und ließ ihn nicht los. Schweigend stiegen sie zusammen die Stufen hinauf, einander an den Händen haltend, um sich gegenseitig Mut zu machen.

«Kommt mit», befahl Nessim.

Knox’ Bein hatte wieder zu bluten begonnen. Es schmerzte so sehr, dass er humpeln musste. Hassans Männer zogen Leichen aus den Geländewagen. Als eine Tür aufsprang und Vasileios’ Kopf herausfiel, krachte seine Kalaschnikow auf den Boden. Die Nerven lagen so blank, dass die Ägypter sofort ihre Waffen zückten und entsicherten. Dann erkannten sie, dass keine Gefahr bestand, jemand riss einen Witz, und alle lachten erleichtert. In seinen tropfnassen Sachen begann Knox zu frieren. Er legte einen Arm um Gailles Schultern, drückte sie an sich und küsste sie auf die Schläfe. Tapfer lächelte sie ihn an. Durch das Brackwasser des Kanals quollen Tränen aus seinen Augen und liefen die Wangen hinab. Er wischte sie weg. Die ganze Zeit musste er an den Moment denken, als Nicolas erst gezuckt hatte und dann gestorben war, an die Pforte zwischen Leben und Tod, vor der sie nun selbst standen. Trotz seiner Angst verspürte er nicht das Bedürfnis davonzulaufen. Sein Schicksal lag nun nicht mehr in seiner Hand. Nessim führte sie in ein tristes Büro mit einem riesigen, ausgestopften Fisch in einem Glaskasten und alten Schaubildern von Süß- und Salzwasserfischen an den Wänden. Er verschwand einen Augenblick und kehrte mit zwei schmutzigen Handtüchern zurück, die er ihnen hinwarf. Sie trockneten ihre Gesichter und Arme ab. Knox setzte sich hin und band das Handtuch um sein Bein. «Und jetzt?», fragte er.

«Wir warten», sagte Nessim.

«Worauf?»

«Herr Al Assyuti war in Scharm, als du angerufen hast. Er wird jeden Moment hier sein.»

«Die Frau hat nichts damit zu tun», sagte Knox. «Lass sie gehen.»

«Wir warten auf Herrn Al Assyuti», sagte Nessim.

«Bitte», sagte Knox. «In Tanta habe ich dich und deine Männer gehen lassen. Du schuldest mir etwas. Lass sie gehen.»

Aber Nessim schüttelte nur den Kopf. Knox schloss die Augen. Er war müde und hatte Angst. Außerdem machte es ihn rasend, dass gerade Al Assyuti einen Nutzen aus dieser Sache ziehen würde. Es dürfte ihm keine Probleme bereiten, den Sarkophag aus dem verdreckten Kanal zu bergen, und sobald das geschehen war, würde er bestimmt die Edelsteine abbrechen und das Gold einschmelzen und damit einen der größten Funde der modernen Archäologie für immer zerstören. Wer wusste schon, ob er sich nicht auch den restlichen Schatz von Siwa unter den Nagel reißen würde. Er oder Yusuf Abbas oder beide zusammen. Bei dem Gedanken, wie diese korrupten Männer einen so kostbaren Fund unter sich aufteilten, wurde ihm schlecht. Sein ganzes Leben hatte Knox nach solchen Artefakten gesucht, und zwar nicht aufgrund ihres materiellen Wertes, sondern wegen der Erkenntnisse, die man aus ihnen gewann. Doch indem er erst den Gordischen Knoten durchtrennt und dann den Sattelschlepper im Kanal versenkt hatte, hatte er eine aktive Rolle bei der Plünderung gespielt, und das nur, um sich und Gaille aus einer Situation zu retten, in der es eigentlich keine Rettung mehr gab. Und es hatte nicht einmal funktioniert. Doch als er sie neben sich sitzen sah, spürte er einen gewissen Frieden. Im Grunde war ihm völlig klar, dass er nicht zögern würde, wieder genauso zu handeln, selbst mit dem Wissen, das er jetzt hatte. Er nahm ihre Hand und drückte sie beruhigend. Sie lächelte ihn an, erwiderte den Druck und streichelte ihn.

Nach fünfzehn Minuten strahlten Scheinwerfer durch das Fenster. Knox’ Herz schlug schneller. Er schaute wieder zu Gaille, die genauso verängstigt aussah, wie er sich fühlte. Schritte kamen näher. Nessim öffnete die Tür, und Hassan Al Assyuti kam mit auf dem Rücken verschränkten Händen herein. Er wirkte größer, als Knox ihn in Erinnerung gehabt hatte. Ein Auge und der Kiefer waren geschwollen, und wenn er sich bewegte, verzog er das Gesicht, als würde er noch immer die Prügel spüren, die er hatte einstecken müssen.

«Lassen Sie die Frau gehen», sagte Knox sofort. «Sie hat nichts damit zu tun.»

Hassan lächelte wölfisch und offenbarte eine Zahnreihe aus Gold, die vor kurzem noch strahlend weiß gewesen war. «Sie sind schwer zu finden, Knox. Meine Männer haben ganz Ägypten durchkämmt.»

«Wir hatten eine Abmachung», sagte Knox. «Ich sagte, dass ich zu Ihnen kommen würde. Sie sagten, dass Sie eine Fracht für mich außer Landes bringen würden. Ich bin hier. Sie ist die Fracht. Halten Sie Ihr Wort. Bringen Sie sie raus.»

«Finden Sie nicht, dass Sie die Bedingungen dieser Abmachung gebrochen haben? Finden Sie nicht, dass mich drei Fahrzeuge voller bewaffneter und feindseliger Männer dazu berechtigen …»

«Bitte», unterbrach Knox ihn. «Ich bitte Sie. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, aber lassen Sie die Frau gehen.»

«Wie bitte? Damit sie hier rausspazieren und ihre Geschichte der Presse verkaufen kann?»

«Das wird sie nicht tun. Sag es ihm, Gaille. Gib ihm dein Wort.»

«Scheiß auf ihn», sagte Gaille mit klappernden Zähnen. «Ich bleibe bei dir.»

Hassan lachte teils amüsiert, teils bewundernd auf. «Wie ich sehe, achten Sie bei Frauen eher auf das Aussehen als auf die Intelligenz.»

«Sie werden damit nicht durchkommen.»

«Womit durchkommen?», meinte Hassan. «Bisher habe ich Sie nur aus einer äußerst gefährlichen Situation gerettet. Sie sollten mir dankbar sein. Was ich allerdings als Nächstes tun werde …»

«Ja?», fragte Knox.

«Sie haben mich in Scharm gedemütigt, Knox», sagte Hassan. Die Sehnen an seinem Hals traten hervor. «Man hat über mich gelacht. Über mich, Knox. Über mich. Sie können sicherlich verstehen, dass ich so etwas nicht … tolerieren kann.» Er kam einen Schritt näher und beugte sich vor, sodass seine Nasenspitze beinahe die von Knox berührte und dieser Hassans säuerlichen Atem riechen konnte. «Es ist einfach eine Frage des Respekts.»

«Respekt!», schnaubte Knox. «Sie haben ein Mädchen vergewaltigt.»

Hassan kniff die Augen zusammen. Er richtete sich wieder auf, die Fäuste geballt. Knox stellte sich auf einen Schlag ein, aber Hassan beherrschte sich und rang sich sogar ein gequältes Lächeln ab. «Ich hatte die Hoffnung, Sie zu finden, fast aufgegeben», sagte er. «Und dann rufen Sie heute Nachmittag aus heiterem Himmel an. Zuerst hielt ich das für einen Scherz. Ich dachte, Sie würden sich über mich lustig machen. Sie dürften sich schließlich im Klaren darüber gewesen sein, was ich mit Ihnen tun würde. Doch dann wurde eine unglaubliche Nachricht bekannt. Ein Mann, der im Krankenhaus in Siwa behandelt wird, plapperte von der Entdeckung des Grabmals von Alexander dem Großen und goldenen Särgen und einer Verschwörung von Griechen und wie ein junger Mann namens Knox ihn gerettet hat. Und plötzlich begann Ihr Anruf einen gewissen Sinn zu ergeben. Was konnte Ihre Fracht anderes sein, als diese abtrünnigen Griechen und dieser geplünderte Schatz?»

«Wie glücklich Sie gewesen sein müssen», sagte Knox bitter. «Ich liefere Ihnen den Schatz frei Haus. Haben Sie nicht genug Gold?»

«Man kann nie genug Gold haben, Knox», entgegnete Hassan. «Und trotzdem haben Sie in gewisser Weise recht. Geld war nie ein Problem für mich. Es gibt jedoch andere Dinge, die etwas schwerer für mich zu erreichen sind. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill, Knox?»

«Sie sind offenbar auf ein Leben im Gefängnis aus.»

Hassan lachte. «Da irren Sie sich gewaltig. Das hier ist kein plumper Beutezug. Dies ist eine offizielle Operation. Zumindest halboffiziell. Diese Männer dort draußen sind Fallschirmjäger, Ägyptens Elitetruppe, alte Kameraden von Nessim. Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass ich so kurzfristig dreißig bewaffnete Scharfschützen zusammentrommeln kann, oder? Warum wurde Ihr Konvoi wohl auf dem Weg nach Suez von keinem Kontrollposten angehalten? Und was glauben Sie, warum nicht auf den Container geschossen wurde, außer als der Fahrer versucht hat abzuhauen?»

«Ich verstehe das nicht», meinte Gaille. «Wovon spricht er?»

«Ich spreche über eine Möglichkeit, wie Sie beide lebend hier rauskommen», erklärte er ihr. «Ich spreche über eine Möglichkeit, wie jeder gewinnen kann.»

«Fahren Sie fort», sagte Knox.

«Wenn man jung ist, hat man andere Ziele als ein reifer Mann, Knox. Das ist Ihnen wahrscheinlich auch schon klar geworden. Als junger Mann war ich nur hinter dem Geld her, denn Geld ist wie Luft: Wenn man keines hat, ist alles andere unwichtig. Aber wenn man es erst einmal hat …» Er machte eine abschätzige Geste.

«Und was wollen Sie jetzt?»

«Rechtmäßigkeit, Ansehen. Ein Platz im Herzen der Menschen. Eine Gelegenheit, der Gesellschaft zu dienen.»

«Eine Gelegenheit, der Gesellschaft zu dienen», wiederholte Knox höhnisch. «Ich glaube es nicht! Sie wollen in die Politik gehen?»

Hassan lächelte. «Unser Land wird von einer überalterten Generation geführt», sagte er. «Eine Generation ohne Kontakt zur Bevölkerung. Ägypten sehnt sich nach einer neuen Führung, nach Leuten mit frischen Ideen und Energie, nach Leuten, die neue Wege suchen. Ich beabsichtige, einer davon zu sein. Allerdings ist es in Ägypten nicht leicht, in die Welt der Politik vorzudringen, besonders nicht für einen Mann mit meinem … Hintergrund. In Ägypten herrscht Vetternwirtschaft, wie Sie wissen. Zu viele Söhne stehen schon in den Startlöchern. Und Sie wissen sicherlich, dass Geduld nicht gerade meine Stärke ist.»

«So ist das also», murmelte Knox. «Sie wollen sich zum Helden der Stunde machen. Zum Retter des ägyptischen Kulturerbes.»

«Und Sie werden mir dabei helfen, Knox», sagte Hassan nickend. «Sie werden der Öffentlichkeit erzählen, dass Sie sich heute an mich gewendet haben, als Ihnen klar geworden ist, dass diese prächtigen ägyptischen Schätze in Gefahr sind, weil Sie wussten, dass Sie sich auf meine Hilfe verlassen können. Denn mein Land und mein Volk waren für mich schon immer am wichtigsten, und die Ereignisse haben Ihnen recht gegeben. Ich habe genau in diesem Sinne gehandelt.»

«Und wenn ich das nicht tue?»

Hassan streichelte Gailles Wange. «Dort draußen ist bereits ein schreckliches Blutbad angerichtet worden, Knox. Glauben Sie wirklich, dass zwei weitere Leichen einen Unterschied machen würden?»

«Sie bluffen.»

«Wollen Sie mich herausfordern, Knox?»

Knox betrachtete Hassan und versuchte, aus ihm schlau zu werden. Aber der Mann war aus Stein, er gab nichts preis. Dann schaute er Gaille an, die auf das Schlimmste gefasst war, bereit, alles für ihn zu erleiden, und da wusste er, dass er keine Wahl hatte. «Gut», sagte er. «Wir sind im Geschäft.»

«Sehr schön», sagte Hassan. Er deutete auf Nessim, der noch immer stoisch neben der Tür stand. «Sie müssen übrigens meinem Sicherheitschef danken. Es war seine Idee. Ich war wütend auf Sie, Knox. Sie haben keine Ahnung, wie wütend. Nachdem Sie angerufen hatten, wollte ich Sie erschießen lassen. Aber Nessim überzeugte mich, dass dies der klügere Weg ist.» Er beugte sich wieder zu Knox hinab, als wollte er ihm ein Geheimnis anvertrauen. «Man sollte mich nicht zum Feind haben, Knox. Vergessen Sie das nicht.»

«Das werde ich nicht», versicherte Knox ihm. «Glauben Sie mir, das werde ich nicht.»

Hassan schaute ihn wieder an, amüsiert von seinem Trotz, und die beiden Männer starrten sich lange genug in die Augen, bis klar war, dass sie noch nicht miteinander fertig waren. Aber das konnte warten. Es musste warten. Sie hatten beide zu viel zu verlieren.

Knox erhob sich, half Gaille auf die Beine und legte einen Arm um sie. Zusammen gingen sie zur Tür, die Nessim für sie aufhielt. Knox nickte ihm beim Vorbeigehen zu, und Nessim nickte zurück, ein Eingeständnis beglichener Schulden, vielleicht sogar gegenseitigen Respekts. Aber dann gingen Knox und Gaille durch die Tür und in ein völlig neues Leben.

Das Gottesgrab
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