IV
Augustin hatte sich ein fleckiges Laken um die Hüfte geschlungen und öffnete seine Wohnungstür. Als Elena seinen Blick sah, wusste sie sofort Bescheid. Mit äußerster Ruhe ging sie an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Das Mädchen hatte eine blonde Punkerfrisur und ein Piercing in der Unterlippe, kleine Brüste mit großen Warzen und eine rasierte Scham. «Sind Sie seine Frau?», fragte das Mädchen und griff nach einer Zigarettenschachtel und einem Feuerzeug.
Elena drehte sich um. Augustin wollte etwas sagen, doch er ließ es lieber bleiben, als er ihre Miene sah. Sie lief die Treppe hinunter, ging schnell zu ihrem Wagen und fuhr davon. Sie bedauerte nicht, unangekündigt gekommen zu sein. Es war immer besser, im Bilde zu sein als im Dunkeln zu tappen. Aber mit jedem Meter wurde sie wütender. Als sie an einer Ampel stand, klingelte ihr Handy. Sie erkannte Augustins Nummer. Sie kurbelte das Fenster runter, warf das Handy hinaus und beobachtete, wie es auf die Straße krachte und auseinanderbrach. Es herrschte starker Verkehr. Sie umklammerte das Lenkrad und schrie. Einige Fußgänger schauten sie besorgt an. Sie überholte einen Lastwagen und raste auf die Straße nach Kairo. Wohin sie fuhr, war ihr egal. Sie wollte den Wagen nur treten, bis er auseinanderfiel.
Es ging nicht um Augustin. Augustin war ein Niemand, das wurde ihr jetzt klar. Er war nur eine Projektionsfläche für ihre Erinnerungen an Pavlos gewesen. Pavlos war ihr Mann, der einzige Mann, den sie wirklich geliebt hatte. Seit zehn Jahren sehnte sie sich danach, mit ihm zusammen zu sein. Seit zehn Jahren war ihr Leben beschissen.
Auf der anderen Seite der Schnellstraße näherte sich mit hoher Geschwindigkeit ein Sattelschlepper. Mit zitternden Händen steuerte sie darauf zu. Als sie den erhöhten Mittelstreifen überquerte, hüpfte der Wagen in die Luft. Sie riss das Lenkrad herum. Der Fahrer des Sattelschleppers hob seine Faust und stieß warnend auf die Hupe. Nicht jetzt. Noch nicht. Als Pavlos gestorben war, hatte sie mehr als einen Ehemann verloren. Sie hatte auch ihre Ehre verloren. Und nun kam Dragoumis nach Ägypten. Er verließ seine Heimaterde. Hier war er nicht mehr unverwundbar. Es hieß, dass man in den Hintergassen von Kairo alles kaufen könnte. Und Kairo war nur zwei Stunden entfernt. Mal schauen, ob an dem Gerücht etwas Wahres dran war.
Schließlich hatte Elena noch eine Blutschuld zu begleichen.