I
Daniel Knox döste zufrieden an Deck, als sich die junge Frau provozierend vor ihn stellte und die Nachmittagssonne verdeckte. Er blinzelte, doch als er sah, wer vor ihm stand, fuhr er auf und blickte sich schnell um. Max hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Auserwählte von Hassan Al Assyuti war, und der war stolz auf seinen Ruf, schnell gewalttätig zu werden. Besonders wenn es jemand wagte, in seinem Revier zu wildern. «Ja?», fragte er.
«Sie sind also wirklich Beduine?», sprudelte sie los. «Dieser Max hat jedenfalls gesagt, Sie wären Beduine, aber ich finde, Sie sehen gar nicht so aus. Verstehen Sie mich nicht falsch, irgendwie sehen Sie schon so aus, also ich meine Ihre Hautfarbe und Ihr Haar und die Augenbrauen, aber …»
Kein Wunder, dass Hassan ein Auge auf sie geworfen hat, dachte Knox, während sie weiterredete. Seine Vorliebe für Blondinen war bekannt, und diese hatte ein charmantes Lächeln, bezaubernde türkisgrüne Augen und eine schöne Haut mit ein paar hellen Sommersprossen. Außerdem brachte der grün-gelbe Bikini ihre schlanke Figur perfekt zur Geltung. «Die Mutter meines Vaters war Beduinin», sagte er, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen. «Das ist alles.»
«Wow! Eine Beduinengroßmutter!» Sie nahm das zum Anlass, sich zu ihm zu setzen. «Wie war sie denn so?»
Knox stützte sich auf einen Ellbogen und blinzelte in die Sonne. «Sie war schon tot, als ich geboren wurde.»
«Oh, das tut mir leid.» Eine feuchte Locke fiel ihr ins Gesicht. Sie strich ihr Haar zurück und hielt es mit beiden Händen zu einem Pferdeschwanz, sodass ihre Brüste hervorstanden. «Sind Sie hier aufgewachsen? In der Wüste?»
Er schaute sich um. Sie befanden sich auf Max Stratis Tauchschiff, mitten im Roten Meer. «Wüste?», fragte er.
«Tsts!» Sie boxte ihm spielerisch gegen die Brust. «Sie wissen, was ich meine.»
«Ich bin Engländer», sagte er.
«Ich mag Ihr Tattoo.» Sie fuhr mit der Fingerspitze über den blaugoldenen, sechzehnzackigen Stern auf seinem rechten Oberarm. «Was ist das?»
«Der Stern von Vergina», antwortete Knox. «Ein Symbol der Argeaden.»
«Der was?»
«Der alten königlichen Familie von Makedonien.»
«Was? Meinen Sie Alexander den Großen?»
«Sehr gut.»
Sie rümpfte ihre Nase. «Sind Sie ein Fan von ihm? Ich habe gehört, er wäre ein Säufer und Ekel gewesen.»
«Dann haben Sie etwas Falsches gehört.»
Sie lächelte. Anscheinend gefiel es ihr, zurechtgewiesen zu werden. «Na los, klären Sie mich auf.»
Knox runzelte die Stirn. Wo sollte man bei einem Mann wie Alexander anfangen? «Einmal belagerte er mit seinen Truppen eine Stadt namens Multan», erzählte er ihr. «Das war schon am Ende seiner Feldzüge. Seine Männer hatten das Kämpfen satt und wollten nur noch nach Hause. Aber Alexander ließ das nicht zu. Er war als Erster oben auf der Stadtmauer. Die Verteidiger stießen alle Angriffsleitern weg, deshalb war er plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Jeder normale Mensch hätte versucht, sich in Sicherheit zu bringen, nicht wahr? Aber wissen Sie, was Alexander getan hat?»
«Was?»
«Er sprang ins Innere der Festung. Nur so konnte er seine Männer dazu bringen, ihm zu folgen.» Und das taten sie auch. Sie haben die Stadt in Schutt und Asche gelegt, um ihn zu retten, und sie sind gerade noch rechtzeitig gekommen. Die Wunden, die er an diesem Tag davontrug, haben wahrscheinlich zu seinem frühen Tod geführt, aber auch seinen Mythos vergrößert. «Er rühmte sich damit, dass sein gesamter Körper mit Narben übersät war, außer sein Rücken.»
Sie lachte. «Hört sich nach einem Psycho an.»
«Das waren andere Zeiten», sagte Knox. «Als er die Mutter des persischen Herrschers gefangen nahm, hat er sie unter seinen persönlichen Schutz gestellt. Als er starb, fiel sie in so tiefe Trauer, dass sie sich zu Tode hungerte. Nicht als ihr eigener Sohn starb, sondern als Alexander starb. Das tut man nicht für einen Psychopathen.»
«Mmmh», sagte sie. Offenbar langweilte sie die Geschichte schon. Sie kniete sich hin, beugte sich über ihn und warf den Deckel der Kühlbox auf. Seelenruhig begutachtete sie jede einzelne Flasche und Dose, während genau vor seiner Nase ihre Brüste im Bikinioberteil umherschaukelten. Knox konnte ihre Brustwarzen erkennen. Plötzlich fühlte sich sein Mund etwas trocken an. Dass sie es nur darauf anlegte, tat der Wirkung keinen Abbruch. Aber sofort musste er auch an Hassan denken und wandte den Blick ab. Sie ließ sich zurückfallen, eine offene Flasche in der Hand und ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. «Wollen Sie auch was?», fragte sie.
«Nein, danke.»
Sie zuckte mit den Achseln und nahm einen Schluck. «Kennen Sie Hassan schon lange?»
«Nein.»
«Sind Sie ein Freund von ihm?»
«Ich stehe nur auf seiner Gehaltsliste, Schätzchen.»
«Aber er ist koscher, oder?»
«Das ist wohl kaum die passende Beschreibung für einen Moslem.»
«Sie wissen, was ich meine.»
Knox zuckte mit den Schultern. Um kalte Füße zu kriegen, war es längst zu spät für sie. Hassan hatte sie in einem Nachtklub aufgegabelt, nicht in der Sonntagsschule. Wenn er ihr nicht gefiel, hätte sie nein sagen sollen, ganz einfach. War sie naiv oder dumm? Allerdings schien sie genau zu wissen, was sie mit ihrem Körper anstellte.
In diesem Moment tauchte Max Strati hinter dem Kabinengang auf und eilte mit großen Schritten auf sie zu. «Was ist denn hier los?», fragte er eisig. Vor zwanzig Jahren hatte er seinen Urlaub in Scharm El Scheich verbracht und war dort hängengeblieben. Inzwischen hatte er sich in Ägypten etwas aufgebaut, und das wollte er nicht riskieren, indem er Hassan verärgerte.
«Wir reden nur», sagte Knox.
«Das kannst du nach Feierabend machen», sagte Max. «Herr Al Assyuti wünscht, dass seine Gäste noch einen letzten Tauchgang machen.»
Knox erhob sich. «Ich bereite alles vor.»
Das Mädchen sprang begeistert auf. «Super! Ich dachte, wir würden heute nicht mehr runtergehen.»
«Sie werden uns nicht begleiten, Fiona», sagte Max knapp. «Wir haben nicht genug Sauerstoffflaschen. Sie bleiben hier bei Herrn Al Assyuti.»
«Oh.» Plötzlich wirkte sie verängstigt wie ein kleines Kind und legte Hilfe suchend eine Hand auf Knox’ Unterarm. Er schüttelte sie ab und ging verärgert zum Heck, wo neben den Plastikkisten mit Neoprenanzügen, Schwimmflossen, Schnorcheln und Taucherbrillen die Sauerstoffflaschen in Stahlregalen lagen. Ein kurzer Blick bestätigte, was Knox bereits gewusst hatte: volle Flaschen gab es mehr als genug. Da er Max Stratis stechenden Blick spüren konnte, drehte er sich lieber nicht um. Das Mädchen war nicht sein Problem. Sie war alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Er hatte keine Beziehung zu ihr und keinerlei Verpflichtungen. Um sich in dieser Stadt zu etablieren, hatte er sich den Arsch abgearbeitet, und das würde er nicht aufs Spiel setzen, nur weil irgendein unreifes junges Ding ihren Preis falsch eingeschätzt hatte. Aber seine Rechtfertigungen halfen nicht viel. Mit einem flauen Gefühl im Magen hockte er sich vor die Kisten, um das Equipment zu checken.