III
Es hatte zu regnen begonnen. Als Knox und Rick nach Tanta fuhren, fegte der Regen durch das kaputte Seitenfenster und die durchlöcherte Windschutzscheibe. «Willst du warten, bis es sich gelegt hat?», fragte Knox.
«Nee», entgegnete Rick und schaute nach vorn. «Dauert bestimmt nicht lange.» Offenbar kannte er dieses Wetter und meinte, dass der Schauer schnell vorüberging. Er schaltete die Heizung auf die höchste Stufe, sodass herrlich warme Luft gegen ihre durchnässten Hosen blies. Südlich von Tanta bogen sie von der Hauptstraße ab. «Wo war denn das, verdammt?», knurrte Rick, während sie nach dem verlassenen Hof Ausschau hielten.
«Genau vor uns», sagte Knox zuversichtlicher, als er war. Mit einem Mal tauchte in der Dunkelheit ein junger Mann vor ihnen auf. Er starrte sie mit offenem Mund und großen Augen an. Es war so finster unter dem bewölkten Himmel, dass sie an dem Feldweg vorbeifuhren und wenden mussten. Dann holperten sie durch die Schlaglöcher, in denen das Regenwasser stand. Die Federung quietschte, und die Scheinwerfer tanzten über die Bäume und Stallungen. Rick beugte sich über das Lenkrad und starrte angestrengt durch die Windschutzscheibe, während sie den Weg entlangschlichen.
Knox schaute seinen Freund an. «Was ist los, Kumpel?», fragte er.
«Der Junge, an dem wir gerade vorbeigefahren sind», brummte er. «Irgendwas stimmte mit dem nicht.»
«Willst du umdrehen?»
Er schüttelte den Kopf. «Mit dieser Windschutzscheibe kommen wir keine zehn Meilen weit, erst recht nicht, wenn wir auf den Hauptstraßen sind.»
«Dann fahr lieber langsam.»
«Was glaubst du, was ich hier mache, verdammte Scheiße?» Angespannt und aufmerksam nach vorn schauend, rumpelten sie auf dem Feldweg zum Hof. Auf dem Betonboden hatten sich Pfützen gebildet, in denen sich die Lichter der Scheinwerfer spiegelten. Vor ihnen war eine matschige Stelle. Im gleichen Moment sahen sie beide die frischen Fußspuren. «Scheiße!», fluchte Rick. Er trat aufs Gaspedal und machte eine ruppige Kehrtwende. Die Reifen quietschten, und Knox wurde gegen die Tür geschleudert.
Plötzlich brauste Nessims Freelander unter den Bäumen hervor. Als seine Scheinwerfer angingen, wurden sie geblendet. Rick versuchte, seinen Wagen herumzureißen, kam aber auf dem feuchten Boden ins Schlingern und rutschte geradewegs in den Freelander. Die Motorhauben wurden zusammengedrückt, Glas splitterte, die Airbags gingen auf und pressten sie in ihre Sitze. Knox brauchte einen Moment, um sich zu sammeln; einen Moment, den er nicht hatte. Seine Tür wurde aufgerissen, ein Totschläger krachte auf seine Schläfe und betäubte ihn. Er wurde am Kragen herausgezerrt und über den Beton geschleift, zu benommen, um sich zu wehren. In seinen Ohren dröhnte es, dann war er im Außengebäude, genauso Rick, und die Stahltür schloss sich hinter ihnen wie eine Falle. Nessim trat Knox ins Kreuz, stellte sich dann über ihn und zielte auf seine Brust. «Wer ist dein Freund?», fragte er und richtete seine Taschenlampe auf Rick, der stöhnte, seine Stirn rieb und dabei Blut in sein Haar schmierte. Er versuchte sich auf die Knie zu stemmen, brach aber sofort wieder zusammen und übergab sich, was die Ägypter zum Lachen brachte.
«Kein Freund», murmelte Knox, der noch immer nicht wusste, wie ihm geschah. «Er ist nur der Fahrer. Er weiß nichts. Lass ihn gehen.»
«Sicher», schnaubte Nessim.
«Ich schwöre», sagte Knox. «Er weiß nichts.»
«Dann ist das heute wohl sein Pechtag, oder?»
Knox stützte sich auf einen Ellbogen. Langsam begann er wieder klar im Kopf zu werden. «Man verdient gutes Geld», meinte er, «wenn man für Al Assyuti arbeitet, oder?»
Für einen Moment leuchteten rote Punkte auf Nessims Wangen auf. «Du weißt überhaupt nichts über mein Leben», sagte er.
«Aber du weißt genug über meins, um es zu beenden, oder wie?»
«Du hast dich selbst in diese Lage gebracht», fauchte Nessim. «Du hättest wissen müssen, was passieren würde.»
Rick rappelte sich auf, dieses Mal erfolgreich. «Was ist hier los?», brachte er undeutlich hervor. «Wer sind diese Leute?»
«Mach dir keine Sorgen», sagte Knox.
«Die haben Waffen», sagte Rick. Er klang ängstlich und verwirrt. «Warum haben die Waffen?»
Knox sah seinen Freund verwundert an. Irgendwie klang seine Stimme nicht ganz echt. Entweder waren es die Nachwirkungen der Schläge, oder aber er versuchte, Nessim und den anderen etwas vorzumachen, damit sie ihn nicht ernst nahmen. Schließlich wussten sie nichts über seine Vergangenheit. Wenn das der Fall war, dann lag es nun an Knox, ihm etwas Zeit zu verschaffen, damit er loslegen konnte. Auch die Dunkelheit könnte ihm zugute kommen. Licht erzeugten in diesem Gebäude nur die verschiedenen Taschenlampen, und wenn er die Kerle dazu bringen könnte, sie alle auf sich zu richten …
Er starrte Nessim an. «Ich habe gehört, wie du dem Mädchen in Scharm erzählt hast, dass du mal Fallschirmspringer warst», sagte er. «Du Scheißlügner.»
«Das war keine Lüge.»
«Fallschirmspringer haben Ehre», entgegnete Knox spöttisch. «Ehrenmänner verkaufen sich nicht an Vergewaltiger und Mörder.»
Nessim schlug Knox mit dem Lauf seiner Waffe hart ins Gesicht und schickte ihn zu Boden. «Ehrenmänner erfüllen ihre Pflichten, auch wenn sie ihnen nicht gefallen», sagte er eisern.
«Ehre!», schnaubte Knox und stemmte sich auf die Knie. «Du weißt gar nicht, was das Wort bedeutet. Du bist nur eine Hure, die sich verkauft für …»
Dieses Mal schlug Nessim noch härter zu. Knox brach zusammen, seine Wange schabte über den rauen Beton. Doch als er benommen dalag, sah er, wie Rick plötzlich in Bewegung kam. Ein Faustschlag streckte den ersten Mann nieder. Mit dem Ellbogen setzte er den zweiten außer Gefecht. Als der Ägypter zu Boden ging, entriss Rick ihm die Waffe, schoss dem dritten in den Oberschenkel und richtete die Waffe dann auf Nessim, der noch immer erstarrt über Knox stand.
«Fallen lassen!», schrie Rick. «Lass deine Scheißknarre fallen!» Nessims Waffe und Taschenlampe krachten auf den Beton. «Auf die Knie!», befahl Rick. «Alle. Auf eure Scheißknie, sofort!» Die Ägypter gehorchten, selbst der Verwundete, dessen cremefarbene Hose blutgetränkt war und der erbärmlich wimmerte. «Hände hinter eure Scheißköpfe!», brüllte Rick. Teilweise hatte ihn in Rage gebracht, wie sie Knox behandelt hatten, vor allem aber war er sauer, dass er so tun musste, als hätte er Angst zu sterben. Die Ägypter lasen ihr Schicksal offenbar von seiner Miene ab und bekamen blasse Gesichter. Allein Nessim bewahrte Haltung und straffte seine Schultern, während Rick auf ihn zielte. Knox musste daran denken, wie Nessim zuvor rot und ärgerlich geworden war, als er ihm vorgeworfen hatte, keine Ehre zu haben. «Nein», sagte er und packte Ricks Arm, bevor er abdrücken konnte. «Das ist nicht unsere Art.»
«Deine vielleicht nicht, verdammte Scheiße», entgegnete Rick. «Aber meine.»
«Bitte, Kumpel», sagte Knox.
«Und was schlägst du vor?», meinte Rick aufgebracht. «Wenn wir sie laufen lassen, haben wir sie gleich wieder auf den Fersen. Das hier ist verfluchte Notwehr, Kumpel. Mehr nicht.»
Knox schaute wieder zu Nessim. Seine Miene gab nichts preis, doch Knox war sicher, dass Rick sich irrte. Wenn sie ihn laufen ließen, würde es sein persönlicher Ehrenkodex nicht zulassen, sie weiter zu verfolgen. Aber was die anderen betraf … Er bückte sich, um Nessims Pistole aufzuheben, und blickte sich nachdenklich um. Das Außengebäude war klein, fensterlos und aus Beton. Die Tür war aus solidem Stahl und hing in kräftigen Angeln. Er zog die Plane vom Jeep, warf sie auf den Boden vor Nessim und zielte dann auf seine Brust. «Zieht euch aus!», befahl er.
«Nein», entgegnete Nessim finster.
«Tu es», sagte Knox. «Wenn nicht um deinetwillen, dann für deine Männer.»
Nessims Gesicht zuckte, aber er schaute sich zu seinen Männern um und schien klein beizugeben. Widerwillig begann er sein Hemd aufzuknöpfen und bedeutete seinen Männern, das Gleiche zu tun. Ihre ausgezogenen Sachen warfen sie auf die Plane. Als sie nur noch in Unterhosen dastanden, vergewisserte sich Knox, dass sie nichts versteckt hatten, rollte dann die Plane zusammen und warf sie auf die Rückbank des Jeeps.
«Kommst du allein mit ihnen klar?», fragte er Rick.
Rick schnaubte. «Hast du vorhin nicht zugeguckt?»
Knox fuhr den Jeep hinaus zu den beiden anderen Wagen. Der Subaru gab keinen Ton mehr von sich, aber der Freelander sprang beim dritten Versuch an, obwohl der Motor ein klapperndes Geräusch von sich gab. Er legte den Rückwärtsgang ein und holperte zum Außengebäude. Rick kam rückwärts heraus und schleuderte die Stahltür mit dem Fuß zu. Knox fuhr so dicht wie möglich davor und zog die Handbremse an. Es war keine perfekte Lösung, doch es sollte reichen, Nessim und seine Männer für einige Stunden gefangen zu halten. Bis dahin könnten er und Rick schon am anderen Ende von Ägypten sein.
Sie liefen zum Jeep. Rick setzte sich ans Steuer und raste unnötig schnell davon. Vielleicht musste er seine restliche Wut abreagieren, jedenfalls schaute er nicht einmal in Knox’ Richtung. Knox selbst starrte durch die Windschutzscheibe und war noch immer verwirrt über die Entdeckung, dass sein Freund bereit gewesen wäre, diese Männer zu exekutieren. Die Stille wurde immer unbehaglicher, und Knox begann schon zu befürchten, dass sich zwischen ihnen etwas unwiderruflich verändert hatte.
Es war schließlich Rick, der das Schweigen brach. «Ich dachte, du hättest gesagt, diese Typen wären gefährlich», brummte er.
«Was soll ich sagen, Kumpel», grinste Knox. «Ich dachte, das wären sie.»