VI
Ibrahim war zutiefst besorgt, als er die Wendeltreppe hinaufstieg. Er musste Nicolas Dragoumis Bericht erstatten, und er wusste ganz genau, dass es dabei um mehr ging als nur den Etat dieser Ausgrabung. Es ging auch um Mohammeds kranke Tochter. Er drückte den Arm des großen Mannes, um ihm Zuversicht zu schenken, und entfernte sich dann mit Elena ein Stückchen von den anderen. Mohammed sah aufmerksam zu, als er die Nummer der Zentrale der Dragoumis-Gruppe wählte, seinen Namen und sein Anliegen angab und zum Warten aufgefordert wurde.
«Ja?», meldete sich Nicolas.
«Es ist eine schöne Stätte», begann Ibrahim. «Es gibt wundervolle …»
«Sie haben mir ein makedonisches Königsgrab versprochen. Ist es eines oder nicht?»
«Ich habe Ihnen etwas versprochen, was so aussieht wie ein Königsgrab», sagte Ibrahim. «Und das ist auch der Fall. Leider scheint es das Grab eines Schildknappen zu sein, nicht das eines Königs oder Adligen.»
«Eines Schildknappen?», schnaubte Nicolas. «Glauben Sie, die Dragoumis-Gruppe gibt zwanzigtausend Dollar für das Grab eines Schildknappen aus?»
«Die Schildknappen waren Alexanders Elitetruppe», protestierte Ibrahim. «Dieser Akylos muss ein …»
«Was?», unterbrach Nicolas ihn ungläubig. «Wie war der Name?»
«Akylos.»
«Akylos? Sind Sie sich absolut sicher?»
«Ja. Weshalb?»
«Ist Elena da?»
«Ja.»
«Geben Sie sie mir. Sofort! Ich will mit ihr sprechen.»
Ibrahim zuckte mit den Achseln und reichte ihr das Telefon. Elena entfernte sich noch etwas weiter und drehte ihm den Rücken zu, sodass er nichts hören konnte. Sie redete gut eine Minute, ehe sie ihm das Telefon zurückgab. «Sie kriegen Ihr Geld», sagte sie.
«Das verstehe ich nicht», sagte Ibrahim. «Was ist so besonders an diesem Akylos?»
«Ich weiß nicht, was Sie meinen.»
«Doch, das wissen Sie.»
«Herr Dragoumis möchte ständig informiert werden.»
«Natürlich. Ich werde ihn selbst anrufen, sobald wir …»
«Nicht von Ihnen. Von mir. Er möchte, dass ich unbeschränkten Zugang bekomme.»
«Nein. Dem kann ich nicht zustimmen …»
«Herr Dragoumis besteht aber darauf.»
«Aber das waren nicht unsere Bedingungen.»
«Jetzt sind sie es», sagte Elena achselzuckend. «Wenn Sie weiterhin seine Unterstützung wollen …»
Ibrahim schaute zu Mohammed hinüber, der seine Hände knetete. «Na schön», seufzte er. «Wir können bestimmt etwas arrangieren.» Er bedeutete Mohammed mit einem Nicken, dass er das Geld bekommen hatte. Der große Mann schloss erleichtert die Augen und ging dann auf wackeligen Beinen in sein Büro, zweifellos, um nun seinerseits zu telefonieren.
Mansoor kam die Treppe hinauf und ging zu Ibrahim. «Und?», fragte er. «Legen wir los?»
«Ja.»
«Bauen wir alles ab oder lassen wir es stehen?»
Ibrahim nickte nachdenklich. Eine gute Frage. Wenn die Hotelgruppe ihren Willen bekam, würden die Bulldozer in vierzehn Tagen Tonnen von Schutt die Treppe hinunterschütten und die Stätte als Abraumhalde benutzen. Die Öffnung würde versiegelt werden, darüber würde ein Parkplatz entstehen, sodass nie wieder jemand dort hinunter konnte. Wenn das geschehen sollte, mussten sie vorher alles von Wert, einschließlich der Wandmalereien, der Skulpturen und des Mosaiks auf dem Rotundenboden bergen. Das war natürlich machbar, aber es erforderte Zeit, Fachkenntnis und schweres Gerät, außerdem müssten sie sofort mit der Planung beginnen. Andererseits waren historische Stätten in Alexandria rar, besonders frühe ptolemäische. Wenn sie mit der Hotelgruppe einen permanenten Zugang aushandeln könnten, könnte diese Stätte die Stadtrundfahrt bereichern. Aber nur, wenn der Originalzustand erhalten blieb und man alle Artefakte während der Ausgrabung anständig schützte. «Wir bewahren den Originalzustand», sagte Ibrahim schließlich. «Ich werde mit den Leuten vom Hotel sprechen. Vielleicht wissen sie es zu schätzen, eine antike Stätte auf ihrem Gelände zu haben.»
Mansoor schnaubte. «Und vielleicht geben sie uns aus reiner Freundlichkeit noch Penthouse-Suiten, wann immer wir darum bitten.»
«Ja, gut. Überlass das Verhandeln mir. Aber du kümmerst dich um die Ausgrabung, ja?»
«Das wird nicht einfach», sagte Mansoor. «Die Sache in Shatby kann ich unterbrechen. Die ist nicht besonders dringend. Von dort können wir das Team, den Generator und die Lampen hierherbringen. Aber wir brauchen noch mehr Leute.»
«Bring die Sache in Umlauf. Wir haben Geld.»
«Ja, aber mit einem großen Team brauchen wir eine Belüftung, und ich möchte nicht, dass die Artefakte über diese Treppe hochgebracht werden. Da passieren nur Unfälle. Wir müssen einen Aufzug über der Treppe aufstellen. Und Augustin wird eine Pumpe wollen. Ich weiß es. Und das, was wir hier brauchen, ist noch nicht alles. Es müssen fünfzehnhundert loculi geleert werden; in den nächsten vierzehn Tagen werden also sechs- oder siebentausend Skelette im Museum oder in der Universität auftauchen. Wir brauchen ausgebildete Fachkräfte, die sich darum kümmern.» Er schnippte mit den Fingern. «Unsere zwei Wochen werden so schnell vorüber sein, verstehen Sie?»
Ibrahim lächelte. Mansoor machte ein Problem immer gerne größer, als es war, nur damit er sich hinterher umso mehr darüber freuen konnte, es gelöst zu haben. «Dann fang mal besser gleich an», riet er ihm.