IV
Niemand bemerkte, wie Elena sich vom Container wegschlich und zu den Geländewagen ging, um ihre Tasche zu holen. Zum Kauf ihrer Waffe in der vergangenen Nacht war sie durch ein simples Manöver gekommen. Sie hatte einfach das erste Taxi angehalten, das sie in Kairo gesehen hatte, und dem Fahrer einen Batzen Scheine hingehalten. Als er gemerkt hatte, dass sie es ernst meinte, hatte er eine Reihe von Telefonaten geführt. Zwei Stunden später hatte ihr ein Händler seine Sammlung gezeigt. Sie hatte gewusst, welche sie wollte, noch ehe er sie in die Hand genommen hatte. Sie war schwarz und klobig, allein der Anblick hatte ihr Zuversicht gegeben. Als sie auf die Waffe gezeigt hatte, hatte der Händler freudig genickt. Eine kluge Wahl, hatte er begeistert gesagt. Eine Walther P99. Eine halbautomatische Pistole mit zwei Magazinen. Als er ihr erklären wollte, wie man sie zusammenbaute, hatte sie nur abgewinkt. Daraufhin hatte er sie in eine dunkle Gasse geführt und ihr lediglich gezeigt, wie man die Waffe entsicherte. Sie hatte vier Kugeln in eine Mauer gejagt, und ein warmes Gefühl hatte sich in ihrem Bauch ausgebreitet. Das gleiche warme Gefühl, dass sie jetzt verspürte, als sie die Pistole in die Hand nahm.
Drei Leben wollte sie auslöschen, damit ihre Blutschuld endlich beglichen wäre.
Sie drehte sich um. Mohammed vergrub die Öffnung des Grabmals wieder unter Sand. Knox und Gaille wurden von Nicolas, Leonidas und Bastiaan zu den Geländewagen geführt. Die anderen Griechen saßen rauchend im Container. Costis und Dragoumis standen beisammen. Costis hatte eine Kalaschnikow um die Schulter gehängt, aber er sah entspannt aus und schien keinen Ärger zu erwarten. Die Gelegenheit hätte nicht günstiger sein können. Elena ging auf die beiden zu, die Walther hinter ihrem Rücken. Als die Männer sie kommen sahen, drehten sie sich zu ihr um. Anscheinend verwirrte Dragoumis ihre Miene.
«Ja?», fragte er.
Zuerst nahm sie sich Costis vor. Schon als sie die Waffe anhob, drückte sie ab. Der Schuss durchlöcherte seinen Brustkorb. Der Rückstoß riss ihre Hand hoch, sodass ihn die zweite Ladung direkt unterhalb der Kehle traf und zurückschleuderte. Raum und Zeit schienen sich auszudehnen. Links von ihr schrien Männer panisch auf und griffen nach ihren Waffen. Elena achtete nicht auf sie. Sie fühlte sich seltsam unverwundbar und geschützt durch ihr Schicksal. Costis gab einige krächzende Laute von sich. Er hob seinen Kopf, um seinen durchlöcherten Rumpf zu betrachten, und versuchte, seine Hände darüberzuhalten. Sie stellte sich rittlings über ihn, zielte auf seine Nase und feuerte noch einmal. Die Kugel traf ihn genau zwischen die Augen. Sein Kopf fiel leblos in den Sand.
Sie drehte sich zu Dragoumis um. Sein Gesicht war weiß. Er wirkte erstarrt. Sie trat vor ihn und drückte die Mündung der Pistole auf sein Herz. «Sagen Sie Ihren Männern, sie sollen bleiben, wo sie sind», sagte sie. Dragoumis sagte nichts. Sie hob die Pistole und drückte sie gegen seine Stirn. Als sie ihn zittern sah, spürte sie eine große innere Freude. Dann merkte sie, dass er nicht vor Angst zitterte, sondern vor Wut. «Ich habe Pavlos nicht getötet», sagte er knapp.
«Doch, das haben Sie.»
Er schüttelte den Kopf. «Ich gebe Ihnen mein Wort: Es war ein Unfall.»
«Es war kein Unfall», entgegnete sie. «Glauben Sie mir. Ich weiß alles. Ich weiß, dass Sie eine Hure angeheuert haben, um Pavlos zu verführen. Ich weiß, dass Sie die beiden haben filmen lassen und dass Sie ihm die Aufnahmen gezeigt haben. Ich weiß, dass Sie gedroht haben, mir eine Kopie zu schicken, wenn er nicht aufhört, eine Untersuchung zu verlangen.»
«Dann wissen Sie ja auch, dass ich keinen Grund hatte, ihn zu töten.»
Elena konnte die Tränen auf ihren Wangen spüren. «Haben Sie wirklich geglaubt, Sie könnten Pavlos kontrollieren? Keine Chance. Sie nicht, ich nicht, niemand konnte das. Er kam zu mir. Er hat alles gestanden. Deswegen weiß ich, dass Sie verantwortlich waren.»
Dragoumis’ Schläfe zuckte. «Ich gebe Ihnen mein Wort», sagte er. «Ich schwöre auf Makedonien. Auf die Leiche Alexanders. Auf den Tod meiner Frau. Ich habe nie den Befehl gegeben, Pavlos zu töten.»
«Nein», sagte Elena. «Aber ich habe es getan. Ich habe ihn wegen Ihres Scheißfilms töten lassen.» Sie lächelte, als Dragoumis die Worte aufnahm und ihre Tragweite erkannte. Jetzt wusste er, dass er sterben würde. Einen Moment lang genoss Elena diesen Anblick, dann schoss sie ihm einmal in die Stirn und verspritzte sein Hirn und seine Knochen wie Saatkörner über den Sand. Schließlich steckte sie sich den heißen Lauf in den Mund. An Pavlos denkend, sich nach ihm sehnend, stieß sie seinen Namen aus und drückte ein letztes Mal ab.