III
Als Gaille durch die Straßen von Siwa ging, sah sie plötzlich Knox und einen anderen Mann unter der Markise eines Cafés sitzen. Erst zögerte sie, dann ging sie hinüber. Knox schaute von seinem Eiswasser auf und war überrascht, sie zu sehen. «Gaille», sagte er verlegen.
«Daniel». Sie nickte ihm zu.
«Das ist Rick», sagte Knox und deutete auf seinen Begleiter.
«Freut mich.»
«Ebenfalls.»
Sie wandte sich wieder an Knox. «Können wir reden? Unter vier Augen?»
«Klar.» Er zeigte auf die Straße. «Wollen wir ein Stück gehen?»
Als sie nickte, wandte er sich an Rick. «Du hast doch nichts dagegen, oder, Kumpel?»
«Lass dir Zeit. Ich werde etwas essen.»
Knox und Gaille schlenderten davon. «Und?», fragte er.
«Ich bin heute dort gewesen.»
«Wo?»
«Dort, wo mein Vater gestorben ist. Mustafa und Zayn haben mich hingebracht.»
«Aha.»
Sie blieb stehen und schaute ihn an. «Ich möchte wissen, was passiert ist, Daniel. Ich will die Wahrheit wissen.»
«Die beiden werden Ihnen bestimmt die Wahrheit erzählt haben.»
«Ich bin mir sicher, dass sie mir erzählt haben, was sie gesehen haben», entgegnete Gaille beim Weitergehen. «Aber das ist nicht ganz das Gleiche, oder?»
Er schaute sie von der Seite an. «Was soll das heißen?»
«Sie haben zu meinem Vater gehalten, als es sonst niemand getan hat. Das hätten Sie nicht gemacht, wenn er Ihnen nicht etwas bedeutet hätte. Aber warum haben Sie ihn fallen gelassen?»
«Das habe ich nicht.»
«Doch, das haben Sie. Und Sie müssen einen Grund gehabt haben. Und ich glaube, ich weiß auch, welchen. Er war bereits am Sterben, nicht wahr?»
«Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.»
«Was hatte er? Aids?»
«Es war ein Unfall», sagte Knox.
Sie schüttelte den Kopf. «Mustafa und Zayn haben mir erzählt, dass Sie die beiden angefahren haben, als sie Ihnen mit der Leiche helfen wollten. Das ganze Blut. Deswegen dachte ich an Aids.»
«Es war ein Unfall.»
«Und deshalb mussten Sie ihn auch so schnell einäschern lassen.»
«Wie gesagt, es war ein Unfall.»
«Sie müssen das sagen, nicht wahr, denn sonst wären Sie mitschuldig am Versicherungsbetrug.» Knox öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er brachte kein Wort hervor. In der Finsternis der Hintergasse konnte man seine Miene nur schwer deuten. Aber sie fuhr trotzdem fort. «Sie mussten ihm versprechen, mir zu schreiben, richtig? Um mir zu sagen, dass er immer an mich gedacht hat. Bitte. Ich muss es einfach wissen.»
Knox schwieg eine Weile. «Ja», sagte er dann.
Sie nickte mehrere Male. Obwohl sie es tief im Inneren gewusst hatte, war es nicht leicht, plötzlich die Wahrheit zu hören. «Erzählen Sie es mir», bat sie. «Erzählen Sie mir alles.»
«Es war nicht nur Aids», seufzte Knox. «Sein gesamter Körper war angegriffen. Er hatte Krebs, die Organe versagten. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Zeit und Schmerz. Er war kein Mensch, der im Krankenhaus dahinsiechen wollte. Er wollte niemandem zur Last fallen. Das müssten Sie wissen. Er wollte auf seine Weise abtreten, an einem Ort, den er liebte. Und er wollte etwas für Sie tun, um ein bisschen wieder gutzumachen, dass er ein schlechter Vater war.»
«Ein schlechter Vater?», meinte Gaille traurig. «Hat er das gesagt?»
«Ja.»
«Und Sie haben ihn einfach … machen lassen?»
«Er hat mir keine Wahl gelassen. Ich konnte mich nur entscheiden, ob ich dabei sein wollte oder nicht. Er war mein Freund. Ich beschloss, bei ihm zu sein.» Und dann fügte er dickköpfig hinzu: «Wenn Sie denken, dass es falsch war, dann tut es mir leid.»
«Das denke ich nicht», sagte sie. «Ich wünschte nur, ich hätte auch da sein können.»
«Sie hatten die Chance.»
«Ja», gab sie zu. «Sie müssen mir nicht sagen, dass ich mich schlecht verhalten habe. Das weiß ich selbst. Und es tut mir leid.»
Sie hatten eine Runde gedreht. Rick sah sie und winkte. Sie gingen zu ihm hinüber und setzten sich. «Erstklassiges Huhn und Fritten», sagte er. «Sie sind also die berühmte Gaille, was?»
«Ja», sagte sie. «Aber dass ich berühmt bin, wusste ich nicht.»
«Für mich schon. Der gute Knox redet ständig von Ihnen.»
«Halt den Mund, Rick», sagte Knox.
Rick lachte. «Und, wie kommen Sie mit Ihrer Suche voran?»
«Welche Suche?»
«Ach, kommen Sie. Die Schätze für den Sohn Amuns.»
Sie schaute von einem zum anderen. «Woher wissen Sie beide davon?»
Knox zuckte mit den Achseln und lächelte. «Sie sind nicht die Einzige, die sich schlecht benommen hat.»
«Wie meinen Sie das?»
«Erinnern Sie sich daran, wie Sie in den Schacht unter der Plinthe hinabgelassen wurden?» Er verzog sein Gesicht und ahmte ihre Stimme nach. «Da ist jemand!», rief er.
Ihre Augen wurden groß. «Das waren Sie!», sagte sie lachend. «Daniel, das war böse!»
«Ich weiß», grinste er. «Und, haben Sie Erfolg gehabt?»
«Ich darf nicht darüber sprechen. Ich habe mein Wort gegeben.»
«Wem?», fragte Knox spöttisch. «Elena? Nicolas Dragoumis?»
«Nein. Yusuf Abbas.»
Knox lachte laut auf. «Diesem Betrüger? Der Mann ist korrupt, Gaille.»
«Er ist der Leiter der Antiquitätenbehörde.»
«Er hat Ihren Vater zerstört.»
«Ich weiß auch nicht», seufzte Gaille und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. «Ich weiß nicht mehr, wem ich noch trauen kann.»
«Mir können Sie trauen», sagte Knox. «Ihr Vater hat mir vertraut. Oder wenn Sie mit jemandem reden wollen, der etwas zu sagen hat, dann gehen Sie zu Dr. Sayed. Ihm können Sie blind vertrauen.»
«Sind Sie sich da sicher?»
«Was meinen Sie?»
Sie zögerte. «Er hat etwas auf meinen Fotos von der unteren Kammer gesehen, und das hat ihn beunruhigt», sagte sie dann. «Ich schwöre es. Und plötzlich waren ein paar Bücher aus seiner Bibliothek verschwunden.»
Knox runzelte die Stirn. «Und Sie glauben, er hat sie entfernt, damit Sie bestimmte Schlussfolgerungen nicht ziehen können?»
«Vielleicht.»
«Glauben Sie mir, Gaille, wenn er die Bücher weggenommen hat, dann nicht, um Sie zu stoppen, sondern um Yusuf aufzuhalten. Besuchen wir ihn doch.»
Sie schüttelte den Kopf. «Er ist nicht hier. Er wurde nach Kairo gerufen. Und sein Haus ist abgeschlossen.»
«Dann ist es ja nur gut, dass wir Rick dabeihaben», grinste Knox. «Er hat ein Talent, das uns nützlich sein kann.»