III
Als Soldat hatte Nessim gelernt, sich der Physiologie der Angst bewusst zu werden. Denn wenn man weiß, was in seinem Körper vorgeht, kann man ihn auch kontrollieren. Schlägt das Herz schneller, wird der Atem im Mund automatisch heiß, und dieser metallische Geschmack im Rachen rührt daher, dass die Drüsen in Vorbereitung eines Kampfes oder einer Flucht Adrenalin ausschütten. Das Kribbeln in Fingern und Zehen sowie die Erschlaffung von Blase und Gedärmen sind lediglich eine Folge davon, dass Blut in Körperteile fließt, die es in diesem Moment dringender benötigen.
Nessim stand vor seinem Hotelfenster, wählte Hassans Nummer und schaute hinunter auf den Fluss zehn Stockwerke tiefer. «Hast du ihn gefunden?», fragte Hassan, nachdem er durchgestellt worden war.
«Noch nicht, Chef. Aber wir machen Fortschritte.»
«Fortschritte?», wiederholte Hassan scharf. «Sind das die gleichen Fortschritte, von denen du mir gestern erzählt hast?»
«Ich habe ein starkes Team zusammengestellt, Chef.»
«Ein Team. Das ist ja wunderbar.»
«Ja, Chef.» Hassan konnte ruhig spotten. Aber Nessim hatte alte, fähige Kameraden angeheuert, die sich als verlässlich und diskret erwiesen hatten. Jeder von ihnen hatte Knox’ Namen, sein Autokennzeichen, eine Kopie seines Fotos und ein paar weitere, bekannte Einzelheiten erhalten. Nessim hatte eine Gruppe damit beauftragt, die Wohnungen von Knox’ Freunden und Bekannten zu beobachten, eine andere Gruppe, Hotels und Bahnhöfe abzugrasen. Außerdem hatte er eine Überwachung von Knox’ Handy organisiert, sodass sie seine Position bis auf hundert Meter orten konnten, wenn er es einschaltete. Zudem hatte er seine verschiedenen Bankkonten und Kreditkarten ins Visier nehmen lassen. Mit Geld war in Ägypten alles möglich.
«Hör zu», sagte Hassan. «Ich will keine Fortschritte, ich will Knox.»
«Ja, Chef.»
«Ruf morgen wieder an. Und dann möchte ich gute Nachrichten hören.»
«Ja, Chef.» Mit leicht zitternder Hand legte Nessim den Hörer auf und setzte sich mit hängenden Schultern aufs Bett. Er rieb seine Stirn. Als er den Arm senkte, waren die Haare auf seinem Handgelenk mit Schweiß benetzt. Ein weiteres Symptom. Full House. Einen Moment überlegte er, sein Bankkonto zu plündern und einfach zu verschwinden. Aber Hassan wusste zu viel über ihn. Er wusste von seiner Schwester. Er wusste von Fatima und ihrem gemeinsamen Sohn. Außerdem ließ es Nessims Ehrgefühl nicht zu, vor einer beruflichen Aufgabe davonzurennen, nur weil sie ihm zu schwierig oder zu gefährlich war. Also holte er stattdessen die Geheimdienstakte über Knox hervor und starrte erneut auf den alten, schwer leserlichen Text. Er war seit Jahren nicht aktualisiert worden. Viele Leute auf der Liste waren entweder umgezogen oder hatten Ägypten ganz verlassen. Andere waren spurlos verschwunden. Aber die Liste war Nessims größte Hoffnung auf Erfolg, und er betete, dass es für ihn gut ausgehen würde.