II
Gaille hatte an diesem Nachmittag wenig zu tun. Obwohl Mustafa und Zayn für die kommenden zwei Wochen angestellt waren, hatte sie ihnen freigegeben und war dann zu Aly gegangen, um mit der Recherche fortzufahren. Doch das Haus war verschlossen gewesen, und eine Notiz an der Tür hatte besagt, dass er nach Kairo gerufen worden war. Sie war zurück ins Hotel gegangen und hatte den Nachmittag in einer Hängematte verbummelt. Dann hatte sie sich unter einer kalten Dusche erfrischt und ein klappriges Fahrrad gemietet, mit dem sie nun zu einer Quelle in der Nähe radelte. Nachdem sie ein kurzes Stück unbekümmert gefahren war, kam sie an einem Eselskarren vorbei, auf dem drei verschleierte Frauen in dunkelblauen, verzierten Gewändern saßen. Eine hob ihren Schleier und lächelte Gaille schüchtern, aber strahlend an. Sie konnte kaum älter als vierzehn sein.
Die Reifen des Fahrrades waren nicht richtig aufgepumpt. Auf der von der Sonne aufgeweichten Straße bereitete ihr das Radeln große Mühe. Deshalb war sie erleichtert, als sie die Quelle sah. Es war ein kleines, tiefes und von Steinen eingefasstes Becken. Das Wasser sprudelte hinab auf graue Felsen, auf der Oberfläche trieben grüne Algen. Mehrere Zaggalah saßen am Rand, sie hatten ihre Arbeit auf den Dattelplantagen beendet und beobachteten sie mit unverhohlenem Interesse. Eigentlich hatte Gaille schwimmen wollen, aber da sie ihre Blicke nicht ertrug, ging sie in die Plantage und trank mit dem jungen Aufseher ein Glas bitteren Tee.
Die Sonne versank hinter dem großen Salzsee und den Bergen jenseits davon, der Horizont leuchtete orange und purpur, bis die Farben verblassten und ein weiterer Tag vorüber war. Gaille musste an das Mädchen auf dem Eselskarren denken, das mit Einsetzen der Pubertät verheiratet worden war und den Rest ihres Lebens vor der Welt versteckt verbringen musste, die Sicht auf schmale Augenschlitze beschränkt. In diesem Moment hatte sie eine Eingebung. Mit einem Male wurde ihr die Veränderung bewusst, die sich in den letzten Wochen in ihr vollzogen hatte. Sie wusste plötzlich, dass sie sich nicht mehr in die intellektuelle und abgeschlossene Welt der Sorbonne zurückziehen und undurchschaubare Wörterbücher toter Sprachen zusammenstellen konnte. Diese Arbeit war äußerst wertvoll, aber sie hatte nichts mit der Realität zu tun. Sie war keine Akademikerin. Sie war Archäologin, wie ihr Vater.
Es wurde Zeit, Frieden zu schließen.