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Ibrahim war nie ein Held gewesen, aber seit ihm Nicolas die scharfe Klinge an die Kehle gedrückt hatte, war ihm jeder Mut abhandengekommen. In Tagträumen war es leicht, furchtlos zu handeln, nun hatte er sich aber unter Zwang krankgemeldet und dann auf dem offiziellen Papier der Antiquitätenbehörde zahllose Genehmigungen für eine Ausgrabung in der Libyschen Wüste ausgestellt und unterschrieben, obwohl er für die Libysche Wüste überhaupt nicht zuständig war. Seitdem hatte er neben seinem Telefon ausharren müssen, falls Nicolas Probleme bekam und er angerufen wurde, um seine Unterschrift zu bestätigen.
Man hatte ihn nicht allein gelassen. Manolis und Sofronio, Pilot und Copilot von Nicolas, passten auf ihn auf. Sie hatten alle Außentüren und Fenster verschlossen, die Schlüssel eingesteckt und sein Handy konfisziert. Jetzt folgten sie ihm auf Schritt und Tritt, sogar ins Bad. Und Sofronio war des Arabischen so weit mächtig, dass er, wenn das Telefon klingelte, alle Gespräche mithörte und mit erhobenem Finger drohte, die Verbindung sofort zu unterbrechen, sollte Ibrahim irgendetwas versuchen.
Nicolas und seine Leute hatten tatsächlich vor, eine unschätzbar wertvolle historische Stätte in Siwa zu plündern. Sein ganzes Leben hatte Ibrahim dem Erbe Ägyptens gewidmet, und jetzt half er diesen Verbrechern, es zu rauben. Er drehte sich abrupt um und ging in sein Büro. Manolis folgte ihm. «Ich hole mir nur Arbeit», sagte er seufzend. Manolis kam trotzdem mit. Ibrahim zog ein paar Papiere aus der obersten Schublade und schaute beim Hinausgehen verstohlen zum Türschloss. Wie er vermutet hatte, steckte der Schlüssel von innen. Auf dem Flur fasste er sich an den Kopf. «Mein Stift!», sagte er.
Manolis wartete draußen, während Ibrahim in sein Büro zurückkehrte und einen dicken roten Füller von seinem Schreibtisch nahm. Er hielt ihn hoch, damit Manolis ihn sehen konnte. Sein Herz begann ungesund schnell zu schlagen, sein Mund wurde trocken. Durch die lebenslange Schreibtischarbeit fehlte ihm jede Kraft und Beweglichkeit. Er legte eine Hand an die Bürotür und sagte sich, dass jetzt der richtige Moment sei. Er wollte die Tür zuknallen und den Schlüssel herumdrehen, um etwas Zeit rauszuschlagen und sich dann zu befreien … aber seine Hand gehorchte nicht. Ibrahim verlor den Mut und ging hinaus. Sein Herzschlag verlangsamte sich. Der Adrenalinfluss ebbte ab. Er hatte das dringende Bedürfnis zu urinieren. Beschämt senkte er den Kopf. Er war ein Feigling, ein Versager, ein Nichts. Jedes Leben war ein Geschenk Allahs. Und seines hatte er völlig verschwendet.