III
Elena war ziemlich geladen, als sie nach ihrem Abstecher nach Kairo Ibrahims Villa erreichte.
«Sie sind spät dran», bemerkte Nicolas verärgert und führte sie in die Küche. Am Tisch saß Philipp Dragoumis und besprach die weitere Vorgehensweise mit Costis, seinem langjährigen Sicherheitschef, und dessen Leuten, allesamt kampferfahrene Veteranen der verschiedenen Balkankonflikte. «Ich hatte Ihnen gesagt, Sie sollen um neun hier sein.»
Allein bei Dragoumis’ Anblick wurde Elenas Umhängetasche schwerer. Doch dies war nicht der richtige Moment. «Ich hatte noch etwas zu tun», sagte sie. «Was soll die Eile überhaupt?»
«Wir müssen bei Einbruch der Nacht in Siwa sein.»
«In Siwa!», rief Elena. «Sie lassen mich hierherkommen, nur damit ich den ganzen Weg gleich wieder zurückfahren kann?»
«Es ist nur zu Ihrem Besten», sagte Nicolas und deutete auf den Überwachungsmonitor. «Sie wurden bei Ihrer Ankunft aufgenommen. Morgen Abend werden Sie beim Wegfahren aufgenommen. Und Ibrahim wird schwören, dass Sie in der Zwischenzeit jede Minute hier gewesen sind.»
«Aber wie …»
«Es gibt eine Hinterpforte», sagte Nicolas. «Wir haben dort eine Kamera installiert, die das Nichts abfilmt.» Er schaute auf seine Uhr. «Aber wir müssen los. Kann ich bitte Ihr Handy haben.»
«Weshalb?»
«Wenn Sie Ihr Handy benutzen, während wir unterwegs sind, kann man Sie orten», sagte er übertrieben geduldig. «Was nutzt Ihnen ein Alibi, wenn Sie es mit einem Telefonat zunichte machen?»
«Und wie wollen wir in Verbindung bleiben?»
«Wir haben Handys in den Wagen», sagte Nicolas. «Und jetzt geben Sie mir bitte Ihres.»
«Ich habe es nicht mehr», sagte Elena etwas verlegen. «Ich habe es weggeworfen.»
Er runzelte die Stirn. «Sie haben es weggeworfen? Wieso das denn?»
«Spielt das eine Rolle? Und worum geht es überhaupt? Ich hoffe, es lohnt sich.»
«Ich glaube, es wird sich lohnen», knurrte Dragoumis. Fragend sah Elena ihn an. Er winkte sie zu sich, schlug die beiden Bücher über Siwa auf und legte sie neben ein Foto des Mosaiks.
«Mein Gott!», murmelte Elena.
«Genau. Wir haben ihn endlich gefunden. Jetzt müssen wir ihn nur noch nach Hause bringen.»
Sie schaute ihn erschrocken an. Sosehr sie auch von ganzem Herzen mit der makedonischen Sache sympathisierte, sie war Archäologin. Ausgrabungsstätten und Artefakte waren ihr heilig.
«Nach Hause bringen?»
«Natürlich. Was glauben Sie, wofür wir sonst gearbeitet haben?»
«Aber … das ist verrückt. Sie werden ihn niemals fortbringen können.»
«Warum nicht?»
«Zum einen ist er vielleicht gar nicht dort.»
«Wenn er nicht dort ist, dann nicht», entgegnete Dragoumis achselzuckend. «Aber er ist dort. Ich weiß es.»
«Aber eine solche Ausgrabung kann Monate dauern. Jahre.»
«Wir haben eine Nacht», grinste Nicolas. «Heute Nacht. Ein Bagger wird dort sein. Eneas und Vasileios bringen weitere Ausrüstung und einen Sattelschlepper samt Container mit. Eines unserer Schiffe hat Kurs auf Alexandria genommen. Es wird am Morgen im Hafen einlaufen. Damit haben wir eine Menge Zeit, um alles zu laden, was wir finden. Glauben Sie mir, unsere Kapitäne sind darin geübt, die Papiere für versiegelte Container zu frisieren. Innerhalb von wenigen Tagen wird das Schiff zurück in Thessaloniki sein, und dann können wir den Fund bekannt geben.»
«Bekannt geben? Das können Sie nicht. Jeder wird wissen, dass wir ihn gestohlen haben.»
«Und? Man wird nichts beweisen können. Besonders dann nicht, wenn Sie aussagen, dass die Makedonische Archäologische Stiftung diese Entdeckung in den Bergen Makedoniens gemacht hat. Und da Sie eine respektierte Archäologin sind, wird man Ihnen glauben.»
«Niemals!», protestierte Elena. «Die ganze Welt wird darüber lachen.»
«Warum sollte sie?», meinte Nicolas. «Wenn es möglich ist, dass Alexander sich in Siwa ein Grabmal errichten ließ, warum dann nicht in Makedonien?»
«Es gibt eine Erklärung für Siwa. Die Inschrift.»
«Ja», sagte Dragoumis. «Aber was besagt die schon genau? Dass die Schildknappen ein Grabmal für Alexander an der Ruhestätte seines Vaters errichtet haben und dass sie die Wüste durchquert haben, um ihn dorthin zu bringen. Das trifft auf Siwa zu, richtig. Amun war Alexanders göttlicher Vater, und Siwa liegt in der Libyschen Wüste. Aber es trifft auch auf Makedonien zu. Philipp war Alexanders leiblicher Vater. Und die Schildknappen hätten die Wüste Sinai durchqueren müssen, um dorthin zu gelangen.»
Elena fiel die Kinnlade herunter. Die Logik konnte sie nicht leugnen, trotzdem war sie entsetzt. «Man wird es dennoch herausfinden», erwiderte sie schwach.
«Das hoffen wir auch», grinste Nicolas.
«Wie meinen Sie das?»
«Was glauben Sie, welche Reaktion es hervorrufen wird, wenn Athen versucht, uns den Schatz zu entreißen? Und der internationale Druck wird die griechische Regierung dazu zwingen. Können Sie sich den Aufschrei vorstellen? Makedonien wird das niemals hinnehmen.»
«Es wird Krieg geben», bemerkte Elena wie betäubt.
«Genau», stimmte Nicolas zu.
Elena wandte sich an seinen Vater. «Ich dachte, sie wären ein Mann des Friedens», sagte sie.
«Das bin ich», sagte er. «Aber jede Nation hat das Recht auf Selbstverteidigung. Und das steht auch uns zu.»