III
Obwohl sie konzentriert die Inschrift betrachtete, dauerte es eine Weile, bis Gaille herausfand, was sie gestört hatte. Die untere Textzeile war unvollständig, und sie war von links nach rechts geschrieben. Doch wie Arabisch wurde Demotisch von rechts nach links geschrieben.
Die Inschrift im makedonischen Grabmal war in griechischer Sprache geschrieben. Die wenigen Worte auf den Wandmalereien der Vorkammer waren griechische gewesen. Die Widmung auf dem Architrav war griechisch gewesen. Die Schildknappen waren Griechen gewesen. Die Götter, die sie angebetet hatten, waren griechische gewesen. Diese Schrift sah aus wie Demotisch, aber der Eindruck war nur äußerlich. Und es erschien unnatürlich, nur für eine Inschrift ins Demotische zu wechseln. Vielleicht war der Text einfach zu heikel gewesen, um in Griechisch verfasst zu werden. Vielleicht hatte der Autor deshalb das demotische Alphabet benutzt. Schließlich waren Kodes in der Antike nicht unbekannt gewesen. Alexander hatte wichtige Botschaften verschlüsselt. Manche der Schriftrollen vom Toten Meer hatten Kodes für besonders heikle Worte enthalten. Valerius Probus hatte eine ganze Abhandlung über Geheimschriften verfasst. Sie waren einfach gewesen, weil die Menschen sie für nicht entschlüsselbar gehalten hatten. Nicht so Gaille.
Sie schrieb die Inschrift auf einen Block und suchte dabei bereits nach Mustern. Wenn es sich hierbei um eine buchstabengetreue Übertragung handelte und das gleiche Wort mehrmals verschlüsselt war, dann würde sie jedes Mal identische Ziffernfolgen finden. Es dauerte nicht lange, bis sie den ersten Treffer erzielt hatte, dann einen zweiten und dritten. Der dritte erschien besonders hilfreich. Zehn Buchstaben, die nicht weniger als vier Mal in einer Reihe vorkamen. Das musste ein einzelnes Wort sein. Und zudem ein wichtiges. Was könnte es bedeuten? Vielleicht war es ein Name. Sie ging im Geiste all die Namen durch, denen sie in der unteren Kammer begegnet waren. Akylos, aber der war zu kurz. Genauso Kelonimos und Apelles, Bilip und Timoleum. Alexander, dachte sie dann aufgeregt, aber der Name war auch zu kurz. Der Mut verließ sie wieder. Sie stand auf und ging in der kleinen Küche auf und ab. Ihr war klar, dass sie etwas übersah, und es strengte sie beinahe körperlich an, die Antwort zu finden.
Als sie schließlich darauf kam, erröteten ihre Wangen. Sie schaute sich ängstlich um, als könnte ihr Anfängerfehler bemerkt worden sein. Denn Alexander, der Name, unter dem ihn die Welt kannte, war eigentlich ein lateinischer Name. Bei den Griechen hieß er Alexandros. Gaille setzte sich wieder und begann, mit den Buchstaben des Namens Alexandros ein Übertragungsalphabet zu erstellen und die demotischen Schriftzeichen durch die entsprechenden griechischen Buchstaben zu ersetzen. Damit hatte sie genug, um das Wort zu erahnen, das dem ersten Vorkommen des Namens Alexandros folgte. Makedonien. Nachdem sie das halbe Alphabet entschlüsselt hatte, folgte der Rest schnell. Altgriechisch war ihr Steckenpferd. Sie schrieb die Übersetzung auf ihren Block und war so in ihre Aufgabe vertieft, dass sie jedes Gefühl von Zeit und Raum verlor. Plötzlich wurde ihr Name gerufen und sie zurück in die Wirklichkeit geholt. Als sie aufschaute, sah sie Ibrahim, Nicolas, Mansoor und Elena im Halbkreis vor sich stehen. Sie schauten sie so erwartungsvoll an, als hätte ihr gerade jemand eine Frage gestellt, die sie nun beantworten sollte.
Ibrahim seufzte. «Ich habe Nicolas gerade erklärt, wie schwierig Demotisch sein kann», sagte er. «Wir möchten, dass so wenig Leute wie möglich davon erfahren, es wäre also am besten, wenn Sie allein daran arbeiten. Wie lange werden Sie wohl brauchen? Einen Tag? Zwei? Eine Woche?»
Es war der befriedigendste Moment in Gailles Berufsleben.
«Eigentlich», sagte sie munter und hielt ihren Block hoch, «bin ich schon fertig.»