III
Knox setzte das Schnellboot unweit seines Jeeps auf den Strand und watete an Land. Fiona hatte sich wieder gefasst und wollte unbedingt zurück in ihr Hotel. Ihrem Blick nach zu urteilen, war sie zu dem Schluss gekommen, dass Hassans Zorn sich auf Knox konzentrieren würde, nicht auf sie; daher wollte sie wohl lieber nicht in seiner Nähe bleiben. Irgendwie gar nicht so dumm. Knox jagte mit seinem Jeep davon. Obwohl er froh war, sich nicht um sie kümmern zu müssen, war er auch ein wenig verärgert. Sein Pass, sein Geld und die Kreditkarten hatte er bei sich. Sein Laptop, die Klamotten, Bücher und all seine Forschungsarbeiten waren allerdings im Hotelzimmer, doch er wagte es nicht, sich dort blicken zu lassen.
Als er auf die Hauptstraße kam, musste er die erste wichtige Entscheidung treffen. Sollte er nach Nordosten zur israelischen Grenze fahren oder über die Autobahn an der Westküste entlang in den Hauptteil Ägyptens? Israel war sicher, doch die Straße dorthin befand sich in einem schlechten Zustand und war voller Kontrollpunkte der Armee. Dann also nach Westen. Vor neun Jahren war er auf einem Schiff in Port Said angekommen. Der passende Ort, um das Land wieder zu verlassen. Allerdings lag Port Said am Suezkanal, und das war Hassans Territorium. Nein. Auf der Sinai-Halbinsel war er nicht mehr sicher. Er musste zu einem internationalen Flughafen. Nach Kairo, Alexandria oder Luxor.
Unterwegs rief er Rick und seine anderen Freunde an und warnte sie vor Hassan. Dann schaltete er sein Handy aus, damit man ihn über das Signal nicht orten konnte. Knox holte das letzte aus seinem alten Jeep heraus, der Motor heulte. Vor ihm flackerten die blauen Ölflammen am Golf von Suez wie eine ferne Hölle auf. Das passte zu seiner Stimmung. Er war noch keine Stunde unterwegs, als er auf einen Kontrollpunkt der Armee zufuhr, eine Schikane aus Betonblöcken zwischen zwei Holzhütten. Er unterdrückte das plötzliche Verlangen, umzudrehen und abzuhauen. Solche Kontrollpunkte waren auf dem Sinai Normalität, man musste sich nicht davor fürchten. Er wurde an den Straßenrand gewunken und fuhr auf den weichen Sand. Ein Offizier stolzierte heran, ein kleiner, breitschultriger Mann mit tiefliegenden Augen und einem arroganten Blick; einer von der Sorte, die gerne schwächere Männer anpöbelte, bis sie die Nerven verloren und auf ihn losgingen, sodass er sie zu Brei schlagen und mit Unschuldsmiene beteuern konnte, er hätte den Streit nicht begonnen. Er griff Knox’ Pass und ging davon. Es herrschte kaum Verkehr, die anderen Soldaten standen plaudernd vor einem Funkgerät, über ihren Schultern hingen lässig automatische Gewehre. Knox senkte den Blick. Es war immer einer dabei, der mit seinem Englisch angeben wollte.
Ein langes grünes Insekt kroch langsam über den Rand des heruntergekurbelten Fensters. Eine Raupe. Nein, ein Hundertfüßer. Knox versperrte ihm mit einem Finger den Weg, doch ohne zu zögern kletterte der Hundertfüßer auf seine Haut. Die vielen Füße kitzelten. Knox hob das Insekt hoch, um es genauer zu betrachten. Es lief weiter, sich der Gefahr seiner Situation nicht bewusst. Knox schaute zu, wie es um sein Handgelenk lief, und fühlte sich ihm seltsam nahe. Hundertfüßer waren von den antiken Ägyptern sehr verehrt worden. Man hatte sie mit dem Tod in Verbindung gebracht, aber auf eine angenehme Weise, denn sie ernährten sich von den zahllosen, mikroskopisch kleinen Insekten, die sich wiederum an Leichen labten. Deshalb wurden sie als Wächter des menschlichen Körpers angesehen, die ihn vor der Verwesung schützten. Aus diesem Grund hatte man Hundertfüßer für eine Erscheinung des Gottes Osiris gehalten. Knox tippte seine Hand vorsichtig an die Tür des Jeeps, bis der Hundertfüßer zu Boden fiel. Dann lehnte er sich aus dem Fenster und schaute zu, wie das Insekt davonkroch, bis er es nicht mehr sehen konnte.
In der Hütte diktierte der Offizier die Eintragungen in Knox’ Pass ins Telefon. Dann legte er den Hörer auf, hockte sich auf die Schreibtischkante und wartete auf den Rückruf. Minuten verstrichen. Knox schaute sich um. Niemand anderes wurde angehalten. Die anderen Fahrzeuge wurden nur neugierig gemustert und dann durchgewunken. Schließlich klingelte das Telefon in der Hütte. Nervös beobachtete Knox, wie der Offizier den Hörer abnahm.