27 Da und dort

Bailey Hawks

Bailey beobachtete, wie Dime in seiner Wohnung verschwand. Mit dem Kerl stimmte doch etwas nicht. Vielleicht war er unter dem Druck der Vorfälle bereits zerbrochen, obwohl das heißen würde, dass er psychisch weniger belastbar war als der kleine Winny. Dime schien sich nie für andere zu interessieren, die im Pendleton wohnten, war nie bereit, im Eigentümerverband oder in irgendeinem Ausschuss Aufgaben zu übernehmen, und erschien nie zu der zwanglosen vorweihnachtlichen Feier der Hausbewohner im Bankettsaal. Er sprach im Treppenhaus mit einem, falls man ihm zufällig über den Weg lief, man konnte ihn aber nur im Vergleich zu einem Mönch, der ein Schweigegelübde abgelegt hatte, einen Gesprächspartner nennen.

Er hatte eine Pistole. Er hatte zwei eigentümliche blaue Monitore zerschossen, die sich nicht in diesem Hausflur befunden hatten, bevor es zu dem gekommen war, was Twyla Trahern »den Sprung« nannte. Als Bailey ihm den Plan unterbreitet hatte, andere Hausbewohner zusammenzutrommeln und sich vorläufig zusammenzutun, hatte Dime in einem Tonfall widersprochen, der im besten Fall geringschätzig, wenn nicht gar feindselig war. Und einiges von dem, was er gesagt hatte – Was raufgeht, kommt nicht zwangsläufig wieder runter, wenn man die Bedeutung von runter neu definiert –, war unverständlich.

Bailey beschloss, die Suche nach weiteren Nachbarn im Südflügel des zweiten Stockwerks zu beginnen, sich von dort aus nach unten vorzuarbeiten und erst zum Schluss wieder in den Nordflügel dieser Etage zurückzukehren, um Dime Zeit zu geben, sich am Riemen zu reißen. Herman Shusselman, der allein in der 3-E lebte, war derzeit ohnehin im Krankenhaus und hatte daher nicht an ihrer Zeitreise teilgenommen. Senator Blandon in der 3-D würde um diese Tageszeit wahrscheinlich schon ziemlich angetrunken und noch weniger liebenswürdig sein als Mickey Dime; demnach konnte es klug sein, sich auch den Politiker bis zum Schluss aufzuheben.

»Was hatte das denn zu bedeuten?«, fragte Kirby Ignis, der offenbar rechtzeitig zur Tür hinausgekommen war, um Baileys Wortwechsel mit Dime noch mitzubekommen.

»Ich weiß nicht. Wir lassen ihm etwas Zeit, damit er sich mit der Situation abfinden und sich beruhigen kann. Bevor wir uns den Südflügel vornehmen, schauen wir noch schnell nach, ob Silas hier ist.«

Der Anwalt hatte die Eckwohnung nach vorn hinaus, neben den Cupps. Bailey drückte auf den Klingelknopf, hörte aber drinnen kein Läuten. Auf sein Klopfen hin öffnete niemand. Es stellte sich heraus, dass die Tür nicht abgeschlossen war – tatsächlich funktionierte das Schloss gar nicht –, und als Silas auf Baileys Ruf »Ist hier jemand zu Hause?« nicht antwortete, betraten er und Kirby die Wohnung, um die Zimmer des alten Mannes zu durchsuchen.

Kirby hielt eine Taschenlampe in der Hand, die er sich von Twyla Trahern geborgt hatte. Somit blieb den Frauen und Kindern noch Sparkles Taschenlampe sowie Marthas Pistole. Da er sich an die überstürzten, aber lebhaften Schilderungen der Kreaturen erinnerte, die die Frauen gesehen hatten, an Sallys Dämon im Geschirrkabinett und den mysteriösen Schwimmer von der Begegnung in den frühen Morgenstunden, umklammerte Bailey seine 9mm Beretta mit beiden Händen.

Wie andere Räume, die sie seit dem Sprung gesehen hatten, war auch die Wohnung des Anwalts unmöbliert, schäbig, schmutzig, mit Schimmel überwuchert und schien schon lange leer zu stehen. Sie lag in dem Halbdunkel des schummerigen Lichts, das die Schimmelpilze – oder was auch immer es war – verströmten, einem erschöpften Licht, das eine sterbende Sonne hervorbringen könnte. Kirby hatte keinerlei polizeiliche oder militärische Vorkenntnisse, aber er war klug und begriff schnell, warum sein bewaffneter Partner so vorging, wie er es tat. Daraus folgerte er, was von ihm gewünscht wurde, und begleitete Bailey so, als hätten sie schon bei früheren Durchsuchungen ein Team gebildet, während sie die Wohnung Raum für Raum sicherten.

Als sie sich dem letzten Raum näherten, dem Bad, das an Silas’ Schlafzimmer grenzte, sahen sie darin einen schwächeren Lichtschein als überall sonst, der die Farbe von dunklem Urin hatte. Mit jedem Schritt wurde der Schimmelgestank, der schwach, aber durchdringend überall im Pendleton vorhanden war, beißender und schien der Luft außer dem Geruch auch einen Geschmack zu verleihen. Als sie auf der Schwelle stehen blieben, enthüllte der Strahl der Taschenlampe, der in den Raum drang, etwas, was eine Installation hätte sein können, abstrakte Kunst von einem geistesgestörten Bildhauer: blassgrüne, schwarz geprenkelte, schlangenartige Formen an den Wänden, die sich nicht bewegten und doch so gewunden waren wie geschmeidige Wesen, als seien sie bei einer überschäumenden Paarung abrupt erstarrt, auf den vertikalen Flächen dicht aneinandergekuschelt, doch sie schwappten auch auf einen Teil des Fußbodens, in kompletter Erstarrung miteinander verschlungen, wie im Winterschlaf. An einigen Punkten in dieser abscheulichen Masse ragten auf dicken Stielen dichte Klumpen von Pilzen derselben Färbung auf, manche so groß wie eine von Baileys Fäusten, aber andere so groß wie zwei, eine Formation von runzligen Höckern, wie das obere Ende eines Kordelzugbeutels in der Mitte jeder glockenförmigen Kappe.

»Zwei unterschiedliche Formen«, sagte Kirby Ignis, »aber alles derselbe Organismus.«

»Organismus? Sie meinen tierisch?«

»Schmarotzerpilze sind Organismen. Und dafür würde ich es halten.«

»Aber nicht gehfähig wie die Dinger, die die anderen gesehen haben.«

»Ich rate davon ab einzutreten, um es herauszufinden.«

Die Schlangenformen setzten sich zwar nicht plötzlich in Bewegung, doch sie begannen zu pulsieren, als bewegten sich Klumpen von etwas durch sie hindurch – als seien sie Schlangen, die gerade dabei waren, eine Reihe von Mäusen zu schlucken.

* * *

Nachthaus
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