Martha Cupp

Aus dem Chesterfield-Sofa heraus und in einem Sprühregen von Rosshaarfüllung auf die Sitzfläche ergoss sich etwas, das wie ein Gewirr von schillernden Därmen aussah, obwohl sie blutlos und grau waren. Die Gedärme eines ausgeweideten Säugetiers hätten sich niemals gewunden und gezuckt wie diese Schlingen, die sich entwirrten und nicht ein Teil von einem brutal aufgeschlitzten Tier zu sein schienen, sondern das komplette unversehrte Tier, eine Art langer, sehniger Dickdarm, wie durch Muskelstränge in Segmente unterteilt, ein abscheulicheres Spektakel als alles, was Martha jemals im Traum oder im Wachen gesehen hatte.

Im ersten Moment war Martha gelähmt, denn sie wurde von einem Abscheu und Ekel gepackt, der sogar alles überstieg, was sie jemals für das Finanzamt empfunden hatte. Sie hielt den Schürhaken mit beiden Händen hoch über ihrem Kopf und wünschte sich mehr, als sie sich jemals in ihrem langen Leben etwas anderes gewünscht hatte, damit zuzuschlagen, aber ihre Arme waren unbeweglich. Ihr Körper reagierte nicht auf ihren Willen, sondern schien durch ihr Erstaunen über das Unfassbare wie gelähmt.

Smoke und Ashes stießen schrille Schreie aus, ganz untypisch für die fügsamen Katzen, die sie immer gewesen waren. Sie hörte sie von der Etagere springen und auf gepolsterten Möbelstücken landen, um sich sogleich unter lautem Geschrei aus dem Wohnzimmer zu entfernen und sicherere Gefilde aufzusuchen.

Die Fenster nach Westen wurden von dem bisher hellsten Sperrfeuer von Blitzen durchzuckt; der ganze Himmel schien zu lodern, als hätten sich die Pole von Himmel und Hölle verlagert und die Feuer der Verdammnis seien jetzt über ihren Köpfen, während Gottes Engel allesamt in Erdspalten herabstürzten. Die Lampen flackerten aus Anteilnahme am Blinken der Nacht und ein plötzliches Zucken der glitschigen Eingeweidemasse auf dem Sofa hätte eine Sinnestäuschung sein können, der Stroboskopeffekt des pulsierenden Lichtes.

Dann hörten die Blitze auf und das Licht der Lampen schwoll an, bis es wieder seinen vollen Helligkeitspegel erreicht hatte und deutlich zeigte, dass der Abscheulichkeit auf dem Sofa zwischen den schwitzenden Schlingen ihres darmartigen Körpers schwarze Tarantelbeine wuchsen, und nicht nur Beine, sondern auch ein dichtes Knäuel roter Schnäbel, die schnappten, schnappten, schnappten, als könnten sie es kaum erwarten, auf etwas einzuhacken und es zu zerfetzen.

Martha schüttelte ihre vorübergehende Lähmung gewaltsam ab und holte mit dem Schürhaken aus, und aus ihrer Perspektive schien das groteske Geschöpf zu schimmern und sich aufzulösen, während der Schürhaken hinabsauste. Die Waffe rammte sich in das Chesterfield-Sofa und und Rosshaar quoll aus dem Riss im Bezugsstoff, doch was ausblieb, waren ein befriedigendes Spritzen von Flüssigkeiten und der Schrei einer verwundeten Kreatur. Überspannt vor Abscheu, Furcht und Entrüstung darüber, dass jemand in ihre Wohnung eingedrungen war, ließ sie den Schürhaken wieder hinuntersausen, ein drittes Mal und ein viertes Mal, ehe sie sich eingestehen konnte, dass es ihr an einem Ziel fehlte. Sie war immer noch wutentbrannt und total außer sich; ihr war fast schlecht vor Ekel und sie weigerte sie sich, zu akzeptieren, dass sich die zappelnde Monstrosität in Luft aufgelöst hatte. Sie ließ den Schürhaken fallen, packte die Vorderkante des Sofas mit beiden Händen und warf es um, ließ es auf den Rücken knallen, um seine Unterseite zu sehen – doch da war kein Eindringling. Sie sah das ausgezackte Loch, das diese Bestie in die schwarze Bespannung gerissen hatte, um sich in die Sprungfedern und von dort aus in das Polster zu zwängen. Martha griff noch einmal nach dem Schürhaken, sank auf die Knie, als hätte sie nie in ihrem Leben das Stechen der Arthritis gespürt, und stocherte mit dem Messingwerkzeug in dem Loch in der Füllung herum, stach nach da und dort, zupfte einen Missklang an klirrenden spröden Klängen und herben Halbtönen aus den Federn, als seien sie die Saiten eines Instruments, das nur von den Philharmonikern des Hades gespielt wurde, doch sie entlockte keinem Lebewesen auch nur ein Quieken.

Endlich zog sie sich auf die Füße, den Schürhaken immer noch in den Händen, obwohl die entzündeten Knöchel ihrer arthritischen Finger pochten. Ihr war der Schweiß ausgebrochen. Feuchte Locken hingen ihr ins Gesicht. Sie atmete schwer und ihr Herz hatte nicht mehr so schnell geschlagen, seit sie vor langer Zeit aufgehört hatte, ihren zweiten Ehemann durchs Schlafzimmer zu jagen.

Sie drehte sich zu ihrer Schwester um, damit sie die Bestätigung erhielt, dass das, was sie gesehen hatte, keine Wahnvorstellung war, die der Demenz entsprang. Sowohl Ednas Gesichtsausdruck als auch ihre Körperhaltung bekräftigten die Realität des Geschehens: Ihre Augen waren so groß wie die einer Eule und ihr Mund bildete ein vollendetes O unausgesprochenen Erstaunens.

Nach einem kurzen Schweigen sagte Edna: »Meine Liebe, dass du dich so ins Gefecht stürzt, habe ich seit den alten Zeiten nicht mehr gesehen, wenn ein Vorstandstreffen nicht gut lief und du die Herrschaften auf Trab bringen musstest.«

* * *

Nachthaus
titlepage.xhtml
cover.html
ePub_98-3-641-08888-0.html
ePub_98-3-641-08888-0-1.html
ePub_98-3-641-08888-0-2.html
ePub_98-3-641-08888-0-3.html
ePub_98-3-641-08888-0-4.html
ePub_98-3-641-08888-0-5.html
ePub_98-3-641-08888-0-6.html
ePub_98-3-641-08888-0-7.html
ePub_98-3-641-08888-0-8.html
ePub_98-3-641-08888-0-9.html
ePub_98-3-641-08888-0-10.html
ePub_98-3-641-08888-0-11.html
ePub_98-3-641-08888-0-12.html
ePub_98-3-641-08888-0-13.html
ePub_98-3-641-08888-0-14.html
ePub_98-3-641-08888-0-15.html
ePub_98-3-641-08888-0-16.html
ePub_98-3-641-08888-0-17.html
ePub_98-3-641-08888-0-18.html
ePub_98-3-641-08888-0-19.html
ePub_98-3-641-08888-0-20.html
ePub_98-3-641-08888-0-21.html
ePub_98-3-641-08888-0-22.html
ePub_98-3-641-08888-0-23.html
ePub_98-3-641-08888-0-24.html
ePub_98-3-641-08888-0-25.html
ePub_98-3-641-08888-0-26.html
ePub_98-3-641-08888-0-27.html
ePub_98-3-641-08888-0-28.html
ePub_98-3-641-08888-0-29.html
ePub_98-3-641-08888-0-30.html
ePub_98-3-641-08888-0-31.html
ePub_98-3-641-08888-0-32.html
ePub_98-3-641-08888-0-33.html
ePub_98-3-641-08888-0-34.html
ePub_98-3-641-08888-0-35.html
ePub_98-3-641-08888-0-36.html
ePub_98-3-641-08888-0-37.html
ePub_98-3-641-08888-0-38.html
ePub_98-3-641-08888-0-39.html
ePub_98-3-641-08888-0-40.html
ePub_98-3-641-08888-0-41.html
ePub_98-3-641-08888-0-42.html
ePub_98-3-641-08888-0-43.html
ePub_98-3-641-08888-0-44.html
ePub_98-3-641-08888-0-45.html
ePub_98-3-641-08888-0-46.html
ePub_98-3-641-08888-0-47.html
ePub_98-3-641-08888-0-48.html
ePub_98-3-641-08888-0-49.html
ePub_98-3-641-08888-0-50.html
ePub_98-3-641-08888-0-51.html
ePub_98-3-641-08888-0-52.html
ePub_98-3-641-08888-0-53.html
ePub_98-3-641-08888-0-54.html
ePub_98-3-641-08888-0-55.html
ePub_98-3-641-08888-0-56.html
ePub_98-3-641-08888-0-57.html
ePub_98-3-641-08888-0-58.html
ePub_98-3-641-08888-0-59.html
ePub_98-3-641-08888-0-60.html
ePub_98-3-641-08888-0-61.html
ePub_98-3-641-08888-0-62.html
ePub_98-3-641-08888-0-63.html
ePub_98-3-641-08888-0-64.html
ePub_98-3-641-08888-0-65.html
ePub_98-3-641-08888-0-66.html
ePub_98-3-641-08888-0-67.html
ePub_98-3-641-08888-0-68.html
ePub_98-3-641-08888-0-69.html
ePub_98-3-641-08888-0-70.html
ePub_98-3-641-08888-0-71.html
ePub_98-3-641-08888-0-72.html
ePub_98-3-641-08888-0-73.html
ePub_98-3-641-08888-0-74.html
ePub_98-3-641-08888-0-75.html
ePub_98-3-641-08888-0-76.html
ePub_98-3-641-08888-0-77.html
ePub_98-3-641-08888-0-78.html
ePub_98-3-641-08888-0-79.html
ePub_98-3-641-08888-0-80.html
ePub_98-3-641-08888-0-81.html
ePub_98-3-641-08888-0-82.html
ePub_98-3-641-08888-0-83.html
ePub_98-3-641-08888-0-84.html
ePub_98-3-641-08888-0-85.html
ePub_98-3-641-08888-0-86.html
ePub_98-3-641-08888-0-87.html
ePub_98-3-641-08888-0-88.html
ePub_98-3-641-08888-0-89.html
ePub_98-3-641-08888-0-90.html
ePub_98-3-641-08888-0-91.html
ePub_98-3-641-08888-0-92.html
ePub_98-3-641-08888-0-93.html
ePub_98-3-641-08888-0-94.html
ePub_98-3-641-08888-0-95.html
ePub_98-3-641-08888-0-96.html
ePub_98-3-641-08888-0-97.html
ePub_98-3-641-08888-0-98.html
ePub_98-3-641-08888-0-99.html
ePub_98-3-641-08888-0-100.html
ePub_98-3-641-08888-0-101.html
ePub_98-3-641-08888-0-102.html
ePub_98-3-641-08888-0-103.html
ePub_98-3-641-08888-0-104.html
ePub_98-3-641-08888-0-105.html
ePub_98-3-641-08888-0-106.html
ePub_98-3-641-08888-0-107.html
ePub_98-3-641-08888-0-108.html
ePub_98-3-641-08888-0-109.html
ePub_98-3-641-08888-0-110.html
ePub_98-3-641-08888-0-111.html
ePub_98-3-641-08888-0-112.html
ePub_98-3-641-08888-0-113.html
ePub_98-3-641-08888-0-114.html
ePub_98-3-641-08888-0-115.html
ePub_98-3-641-08888-0-116.html
ePub_98-3-641-08888-0-117.html
ePub_98-3-641-08888-0-118.html
ePub_98-3-641-08888-0-119.html
ePub_98-3-641-08888-0-120.html
ePub_98-3-641-08888-0-121.html
ePub_98-3-641-08888-0-122.html
ePub_98-3-641-08888-0-123.html
ePub_98-3-641-08888-0-124.html
ePub_98-3-641-08888-0-125.html
ePub_98-3-641-08888-0-126.html
ePub_98-3-641-08888-0-127.html
ePub_98-3-641-08888-0-128.html
ePub_98-3-641-08888-0-129.html
ePub_98-3-641-08888-0-130.html
ePub_98-3-641-08888-0-131.html
ePub_98-3-641-08888-0-132.html
ePub_98-3-641-08888-0-133.html
ePub_98-3-641-08888-0-134.html
ePub_98-3-641-08888-0-135.html
ePub_98-3-641-08888-0-136.html
ePub_98-3-641-08888-0-137.html
ePub_98-3-641-08888-0-138.html
ePub_98-3-641-08888-0-139.html
ePub_98-3-641-08888-0-140.html
ePub_98-3-641-08888-0-141.html
ePub_98-3-641-08888-0-142.html
ePub_98-3-641-08888-0-143.html
ePub_98-3-641-08888-0-144.html
ePub_98-3-641-08888-0-145.html
ePub_98-3-641-08888-0-146.html
ePub_98-3-641-08888-0-147.html
ePub_98-3-641-08888-0-148.html
ePub_98-3-641-08888-0-149.html
ePub_98-3-641-08888-0-150.html
ePub_98-3-641-08888-0-151.html
ePub_98-3-641-08888-0-152.html
ePub_98-3-641-08888-0-153.html
ePub_98-3-641-08888-0-154.html
ePub_98-3-641-08888-0-155.html
ePub_98-3-641-08888-0-156.html
ePub_98-3-641-08888-0-157.html
ePub_98-3-641-08888-0-158.html
ePub_98-3-641-08888-0-159.html
ePub_98-3-641-08888-0-160.html
ePub_98-3-641-08888-0-161.html
ePub_98-3-641-08888-0-162.html
ePub_98-3-641-08888-0-163.html
ePub_98-3-641-08888-0-164.html
ePub_98-3-641-08888-0-165.html
ePub_98-3-641-08888-0-166.html
ePub_98-3-641-08888-0-167.html
ePub_98-3-641-08888-0-168.html
ePub_98-3-641-08888-0-169.html
ePub_98-3-641-08888-0-170.html
ePub_98-3-641-08888-0-171.html
ePub_98-3-641-08888-0-172.html
ePub_98-3-641-08888-0-173.html
ePub_98-3-641-08888-0-174.html