Silas Kinsley
Sämtliche Lichter im Versorgungsraum brannten, Reihen von Leuchtstoffröhren, die an Ketten von der Decke hingen. Die Batterie von komplexen Apparaten, die surrten, wie es ein Ingenieur ursprünglich beabsichtigt hatte, stellten eine Kulisse von solcher Ordnung und Normalität dar, dass Silas fast glauben konnte, ungeachtet der Dinge, die er gesehen und gehört hatte, sei mit dem Pendleton alles in bester Ordnung.
Er schloss die Tür hinter sich. »Ist hier jemand? Mr. Tran? Tom?«
Als niemand antwortete, wollte sich Silas gerade an die Erkundung der Gänge zwischen den Reihen von Geräten machen. Stattdessen wurde er jedoch von dem Gully mitten im Raum und von dem Bündel, das danebenlag, angezogen.
Der Schacht, den es schon seit dem Bau des Pendleton gab, war eine Art Stahlhülse von neunzig Zentimetern Durchmesser, die das zweieinhalb Meter dicke Betonfundament des prachtvollen Herrenhauses durchdrang. Die Hülse war exakt so angebracht worden, dass sie an der Öffnung einer Verwerfung im felsigen Untergrund endete.
Und das war keine Verwerfung im Sinne einer Bruchstelle, sondern ein glattwandiger Eruptionskanal, durch den einst geschmolzenes Gestein ausgeströmt war. Shadow Hill und die Umgebung war eine stabile Masse aus Basalt, einem extrem dichten vulkanischen Gestein, und Rhyolith, das die vulkanische Form von Granit war. Vor Zehntausenden von Jahren, am Ende der vulkanischen Ära in dieser Region, als sich die Ausbrüche erschöpft hatten, waren in dem festen Stein ein paar lange Entlüftungsschächte zurückgeblieben, darunter der unter dem Pendleton, der eine Breite von einem Meter zwanzig bis einem Meter fünfzig zu haben schien.
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als das prachtvolle Haus erbaut worden war, waren Umweltfragen von geringerer Bedeutung als in der heutigen Zeit. Man machte sich kaum, wenn überhaupt, Gedanken über eine mögliche Verseuchung des Grundwassers, als die Abflüsse von Badewannen, Waschbecken, Spülbecken und Toiletten im Pendleton so verlegt wurden, dass sie am oberen Ende der anscheinend bodenlosen Lavaröhre endeten. In jener Zeit war die Stadt viel kleiner als jetzt und man begann damals gerade erst, eine öffentliche Kanalisation zu planen. Klärgruben blieben weiterhin das am weitesten verbreitete Mittel zur Entsorgung von Abwasser und Abfällen, und die vielen Tausend Kubikmeter des Eruptionskanals boten eine billige und wartungsfreie Alternative zu einem Standardtank.
Der Bauunternehmer sorgte mit einem Gully für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Problem auftreten sollte, für einen Wartungszugang. Wenn der gusseiserne Gullydeckel entfernt wurde, diente der Eruptionskanal auch als ein effizienter Abfluss für den Fall, dass der Keller einmal durch eine gebrochene Wasserleitung überschwemmt werden sollte. 1928 wurden die Abflüsse der Badewannen, Waschbecken, Spülbecken und Toiletten des Pendleton umverlegt und in die städtische Kanalisation geleitet, doch der Schacht blieb.
Durch den Umbau des Belle Vista zum Pendleton im Jahre 1973 stieg durch all die Kühlaggregate und die riesigen Boiler der neuen Heiß- und Kühlwasseranlage die Wahrscheinlichkeit einer Überschwemmung. Durch den bestehenden Zugang zu dem Eruptionskanal blieb dem Architekten und dem Bauunternehmer die Notwendigkeit erspart, für den Notfall massive Pumpen bereitzustellen, die ständig in Bereitschaft waren; stattdessen konnten sie sich auf die Durchflussmethode der ursprünglichen Anlage verlassen.
Silas Kinsley ging in die Hocke; ihn interessierte nicht der Gully, sondern die zusammengerollte Decke, die Dime mit Möbelgurten zugeschnürt hatte. Er machte sich mit beiden Händen eine Vorstellung vom Inhalt des Bündels und ertastete, was Beine zu sein schienen, was mit ziemlich großer Sicherheit Arme waren und ohne jeden Zweifel einen Kopf. Ein Ende der Rolle hatte sich ein wenig geöffnet, als der Knoten in dem Riemen sich gelöst hatte. Silas griff hinein und seine Hände trafen auf den Kopf von jemandem. Das lockige Haar und die Erinnerung an das Ausrufezeichen aus Blut in dem unerklärlicherweise menschenleeren Wachraum erschienen ihm als ausreichende Indizien für die Schlussfolgerung, dass es sich bei dem Toten um Vernon Klick handelte. Der Eruptionskanal sollte wohl sein Grab werden.
Silas glaubte, dieser Mord müsse etwas mit den Tragödien zu tun haben, die sich hier alle achtunddreißig Jahre abspielten. Dass Dime Vernon Klick ermordet hatte, musste in irgendeinem Zusammenhang zu den momentanen Ereignissen stehen, die durch das Rumpeln in der Erde, das Erscheinen des verstorbenen Andrew North Pendleton im Foyer, die Stimmen im Aufzugschacht und andere Zeichen angekündigt worden waren. Aber in welcher Beziehung stand der Mord dazu?
Er brauchte noch dringender als zuvor Padmini Bahrati, damit sie Tom Tran fand oder den Feueralarm selbst auslöste, falls sie wusste, wie das ging. Er erhob sich, durchquerte den Raum und war keine drei Schritte von der Tür entfernt, als etwas von außen dagegenschlug.
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