Mickey Dime
Während Mickey im zweiten Stockwerk auf den nördlichen Aufzug wartete, ließen neuerliche Beben das Pendleton wieder erschauern. Das bereitete ihm nicht die geringsten Sorgen.
Auf den Philippinen hatte er einmal zwei Männer bis an den Rand eines Vulkankraters verfolgt. Er musste sie töten, um einen Vertrag zu erfüllen. Als er gerade auf sie schießen wollte, erschütterte ein unerwartetes kleines Beben den Berg. Eine Fontäne weißglühender Lava ergoss sich über die beiden Männer, ließ ihr Fleisch nahezu verdampfen und verwandelte ihre Knochen in Holzkohle. Obwohl Mickey keine fünf Meter von ihnen entfernt stand, berührte ihn nicht ein einziger Tropfen. Als er fortging, hatte er gerade mal so etwas wie einen leichten Sonnenbrand im Gesicht.
Der Geruch geschmolzenen Gesteins hatte ihm gefallen. Metallisch, herb, sexy.
Einen Tag später war der Vulkan im großen Stil ausgebrochen. Aber da hatte er es sich längst mit einer jungen Prostituierten und eine Sprühdose Schlagsahne in einer Hotelsuite in Hongkong gemütlich gemacht. Sie war köstlich gewesen.
Wenn ein Vulkan ihm nichts anhaben konnte, dann konnte ihm nichts etwas anhaben.
Jetzt fuhr er mit dem Aufzug in den Keller. Die Türen glitten zur Seite.
Mickey trat auf den Korridor hinaus.
Schräg gegenüber von ihm auf der anderen Seite des Flurs schwang die Treppenhaustür hinter jemandem zu. Er sah genau hin. Ihm gefiel das Geräusch, mit dem das Schloss einschnappte. Ein massives, endgültiges Geräusch.
Es erinnerte ihn an das Geräusch der robusten Riegel der Überseekoffer, in die er die Überreste der Kellnerin namens Mallory, ihrer kleine Schwester und ihrer Freundin gepackt hatte. Fünfzehn Jahre waren vergangen, seit er sich dieser Leichen entledigt hatte, doch jene berauschende Nacht war ihm noch so frisch im Gedächtnis, als hätten sich die Ereignisse erst heute im Lauf des Tages abgespielt. Mit seiner enormen Willenskraft beschränkte er sich auf professionelle Morde, doch in seinem Herzen lebte immer noch der Amateur, der dieselbe Arbeit auch umsonst getan hätte.
Er genoss den schwachen Chlorgeruch, während er wartete, um zu sehen, ob jemand durch die Tür zurückkommen würde. Vielleicht würde das »Pling!« des eintreffenden Aufzugs die Neugier dieser Person anstacheln. Er durfte es nicht riskieren, einen Zeugen zu haben, der wusste, dass er um diese Uhrzeit hier gewesen war.
Nach vielleicht einer halben Minute wandte sich Mickey nach links und ging zum Wachraum. Er öffnete die Tür und trat ein.
Das Arschloch hatte Dienst. Die anderen Wächter waren in Ordnung, obwohl sie ehemalige Bullen waren. Aber dieser Klick war ein selbstgefälliges kleines Dreckschwein, das immer etwas im Schilde zu führen schien.
Klick drehte sich auf seinem Stuhl zu ihm um und sagte: »Plötzlich bin ich anscheinend so populär wie Justin Timberlake oder so jemand. Was führt Sie hierher, Mr. Dime?«
Mickey zog seine Pistole mit dem Schalldämpfer aus dem Schulterhalfter.
Klicks Augen weiteten sich vor Entsetzen, als Mickey auf ihn zukam, und er sagte: »Ich werde kein Wort über die Dessous verlieren.«
Mickey schoss ihm aus nächster Nähe zweimal ins Herz. Wenn man sofort jeden weiteren Herzschlag verhindert, braucht man weniger Blut aufzuwischen.
Er verließ den Wachraum und ging zu dem gemeinschaftlich genutzten Abstellraum im Keller, wo er schon die Sackkarre geholt hatte. Diesmal nahm er eine Umzugsdecke und zwei von den Möbelgurten mit, die von einem Gestell an der Wand baumelten.
Erst, als er in den Wachraum zurückkehrte, nahm er sich die Zeit, über das nachzudenken, was Vernon Klick gesagt hatte: Ich werde kein Wort über die Dessous verlieren.
Schon als Mickey noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte seine Mutter ihn gewarnt, niemals einem Mann in Uniform zu trauen. Wie recht sie doch gehabt hatte.
* * *