Winny
Unter den gegebenen Umständen mochte es eine gute Idee sein, sich eine Auszeit zu nehmen, aber nur, wenn man klug genug war, um eine grandiose Strategie auszuhecken. Eingeklemmt zwischen den Skeletten und in die übel riechenden Totengewänder gewickelt grübelte Winny sehr genau darüber nach, was für ihn und Iris die beste Vorgehensweise sein könnte, aber das Einzige, was ihm einfiel, war hierzubleiben, genau da, wo sie waren, und sich tot zu stellen, bis sie entweder von ihren Müttern gefunden wurden oder tatsächlich tot waren.
Eine Zeitlang hatte er sich erstaunlich toll gefühlt und war, obwohl ihm der Arsch auf Grundeis ging, vorangestürmt, doch jetzt stürzte er ab, eine Bruchlandung, die ihn vom Helden in spe wieder zu dem üblichen mickrigen Winny machte. Strategien entwerfen hieß, ernsthafte Gespräche mit sich selbst zu führen, und zu seiner großen Bestürzung stellte er fest, dass er unter Druck nicht einmal mehr wusste, was er zu sich selbst sagen sollte. Er konnte fast hören, wie sein Vater ihm vorhielt, er wäre besser auf diese Notlage vorbereitet gewesen, wenn er nicht so verdammt viele Bücher gelesen hätte, sondern wenn er Taekwondo gelernt hätte und wie man ein männliches Musikinstrument spielt, wenn er einen oder zwei Sommer damit verbracht hätte, mit Alligatoren zu ringen, und wenn er daran gearbeitet hätte, sich Haare auf der Brust wachsen zu lassen. Winny hatte bisher noch kein einziges Haar auf der Brust, und dazu würde es jetzt wahrscheinlich ohnehin nicht mehr kommen.
Die arme Iris. Sie hatte all ihren Mut zusammengenommen und das getan, was für sie das Schwierigste war, aber was nutzte ihr das, wenn sie dabei ausgerechnet dem Trottel des Jahres, des Jahrzehnts, des Jahrhunderts vertraute. Wahrscheinlich hatte sie ihn für Clark Kent gehalten, und dabei war er in Wirklichkeit bloß SpongeBob Schwammkopf, wenn überhaupt irgendein Comicheld. Da er, was Strategien betraf, ein Reinfall war, suchte er nach Worten, um ihr die schlechte Nachricht mitzuteilen.
Natürlich fielen ihm auch die nicht ein, und während er darum rang, sie zu finden, schwebten vor seinem einen unbedeckten Auge Bröckchen phosphoreszierender Pilze vorbei wie gelbe Schneeflocken, was ihm passend erschien. Als der zweite Schauer von Pilzflocken vor ihm herabrieselte, wurde ihm mit Verspätung klar, was das zu bedeuten hatte.
Er sagte sich: Sieh nicht nach oben, als könnte das, was jeden Moment passieren musste, nur dann eintreten, wenn er diese gesamte Reise in die Zukunft träumte. Wenn er träumte, dass die phosphoreszierenden Pilzflocken nie an ihm vorbeischwebten, dann würden er und Iris in Sicherheit sein. Wenn er sie alle in das gute alte Pendleton in ihrer Zeit zurückträumte, dann würden sie plötzlich dort sein und das Schlimmste, worüber er sich Sorgen machen müsste, wäre, dass sein Dad auftauchte und als Geschenk einen Sandsack und Boxhandschuhe mitbrachte.
Wenn man im Traum zu sich sagte: Sieh nicht nach oben, dann sah man früher oder später trotzdem immer nach oben, und im wirklichen Leben war es genauso. Winny legte seinen Kopf zurück, der stinkende Stoff rutschte von seinem Gesicht, und als er an dem grinsenden Schädel des Skeletts, das an ihm lehnte, vorbei und nach oben blickte, sah er in die grimmigen Augen der Bestie, die mit ihrem spitzen Kopf nach unten an der Wand hing und deren Gesicht nicht mehr als einen halben Meter von seinem entfernt war. Die grauen Lippen waren von den Reihen scharfer grauer Zähne zurückgezogen.
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