Sparkle Sykes
Sie eilten die südliche Wendeltreppe hinunter, eine steinerne Kehle, die schluckte und sie verschluckte. Die Kalksteinwände, das dekorative Bronzegeländer und die Stufen aus geschliffenem Marmor waren ihr vertraut und doch fremd, so wie Träume vertraute Orte verfälschen und dem Alltäglichen etwas Geheimnisvolles verleihen.
Dieses Pendleton am Ende der Weltgeschichte, dessen Wände mit eigentümlichem Leben durchsetzt waren, schien zu wachsen; es war nicht mehr nur ein Herrenhaus im Beaux-Arts-Stil, sondern eine weitläufige Burg, deren Stein sich immer noch mit organischer Vitalität ausdehnte. Dieses Gefühl hätte vor allem eine Folge davon sein können, dass sie von Iris getrennt war. In jeder Minute, die Sparkle fern von ihrer Tochter verbrachte, stellte sie sich vor, das Mädchen könnte in der Dunkelheit verschwinden wie ein Astronaut, der, von einer Weltraumfähre losgemacht, in die Leere stürzen und bis in alle Ewigkeit dort treiben würde.
Aber der Eindruck, das Gebäude könne aus eigener Kraft dazu fähig sein, neue Zimmer und Flure zu entfalten, vielleicht sogar neue Etagen, schien bekräftigt zu werden, als sie das Erdgeschoss erreichten und hörten, dass die Aufzugkabine mit den Cupp-Schwestern und Logan Spangler immer noch surrend und zischend nach unten glitt, denn sie musste den Keller doch längst hinter sich zurückgelassen haben.
Der erste Raum am südlichen Hausflur war die riesige Partyküche, wo Mahlzeiten zubereitet wurden, um sie bei besonderen Anlässen im Bankettsaal zu servieren, der vom Foyer abging. Unter den allgegenwärtigen Pilzen befanden sich grandiose architektonische Gebilde aus zerfetzten Spinnweben, aber keine Spinnen, Haushaltsgeräte aus rostfreiem Stahl, die jetzt so stumpf und gesprenkelt waren wie verzinktes Blech, und in der Mitte drei rechteckige Kochinseln, hinter denen ein Kind sich hätte verstecken können. Am hinteren Ende der Küche stand die Tür zu einem Lagerraum, den man vom Flur aus nicht betreten konnte, halb offen.
Twyla trat mit der Pistole in der Hand wachsam, aber rasch ein, gefolgt von Sparkle mit der Taschenlampe. Die Stille wurde schlagartig von einem Chor bedrohlicher Laute abgelöst, die aus den Spülbecken kamen: beharrliche Stimmen, die in einer ihnen unbekannte Sprache redeten, Zischen und Gurgeln und schlüpfrige, gleitende Geräusche, als seien Schlangen in den Abflüssen und kämen gleich daraus hervor. Um sie herum erwachten diabolische Kreaturen aus ihrem Schlummer. Durch die rußgeschwärzten Sichtfenster in den Türen der vier Öfen waren undeutlich Dinge zu erkennen, die in Zeitlupe zappelten, graue tentakelartige Formen, die über das Hartglas glitten; vielleicht waren sie aus den Wänden dahinter in diese Backöfen eingedrungen, aber vielleicht waren sie auch durch Lüftungsschächte dort gesät worden. In den Hängeschränken folgte etwas den Frauen durch den Raum und ließ die Türen klappern, wenn es sie von innen streifte, als würde es jeden Moment eine der Schranktüren aufstoßen und auf sie herabspringen. Über ihren Köpfen knirschten vermodernde Balken, als würden sie von einem schweren Gewicht niedergedrückt, Rohrleitungen aus Metall vibrierten und rasselten und Staub kam, gefiltert durch die Gittersiebe von Dunstabzugshauben, heruntergerieselt. Der Strahl der Taschenlampe in Sparkles Hand sprang von hier nach dort und wieder zurück, und Twyla entschied sich laufend um, welche Geräusche sie mit der Pistole verfolgen sollte.
Das, was in diesem Haus herumspukte und viel realer war als jeder Geist, unternahm keine weiteren Versuche, sich wie vorhin in ihre Gedanken zu schleichen, aber Sparkle konnte seine Stimmung, sein dringendes Verlangen, so deutlich fühlen, wie sie Kälte gefühlt hätte, wenn sie aus der offenen Tür eines Gefrierschranks geströmt wäre. Seine Leidenschaft war eisig, ihr Tod sein größter Wunsch, ihr Fleisch sein liebster Humus, um darin seine nächsten Manifestationen zu züchten. All das entnahm sie wortlosen Eindrücken, die keine Übersetzung erforderten.
Am hinteren Ende der Küche konnten sie durch die Tür sehen, dass der Lagerraum von einer Sukkulente bar jeglichen Chlorophylls überwuchert war; ihre fleischigen Blätter waren so weiß und glatt wie Käse, weiß sogar im Schimmer der Pilzformationen in der Küche, aber noch weißer im Strahl der Taschenlampe. Unter den Blättern befanden sich zahlreiche Blüten mit zwei Blatthälften wie die fleischfressenden Fangblätter von Venusfliegenfallen, und die meisten von ihnen hatten ihre glasklaren Borsten in ein Blatt versenkt, das sie in fortwährendem Autokannibalismus langsam zersetzten und verschlangen.
Es war keine undenkbare Vorstellung, dass Kinderleichen an den Wurzeln dieses Dings liegen könnten und dass fleischige Blattstiele aus leeren Augenhöhlen wuchsen, und während sie ein Schauer des Ekels überlief, wünschte sich Sparkle, sie hätte Benzin und ein Streichholz. Als sei ihr Gedanke empfangen und verstanden worden, knirschten etliche Blüten, deren Mäuler weit offen standen, weil sie noch kein Blatt gefunden hatten, von dem sie sich nähren konnten, mit ihren transparenten Zähnen. Der Hass ihrer Feinde und ihr Hang zur Gewalttätigkeit lasteten drückend auf ihr und sie folgte Twyla erleichtert aus der Küche.
Aber jetzt drückte die Last dieses Hasses sie nieder, wohin sie auch gingen: durch den Hausflur, in Apartment 1-D, in Apartment 1-E. Selbst da, wo sich nur kleine oder gar keine Manifestationen zeigten, konnte Sparkle Bewegung in den Wänden hören, und an einigen Stellen schien es ihr, als wölbten sich Teile einer Wand oder einer Decke und blähten sich, nicht nur so, als seien sie verfault, sondern auch, als würden sie durch eine dunkle Masse deformiert, die dahinter Metastasen bildete.
Sie lugten durch das Gitter des Lastenaufzugs am Ende des Hausflurs. Obwohl die große Kabine leer stand, nahm Sparkle deutlich eine Anwesenheit in dem Schacht wahr, etwas, was kurz davorzustehen schien, unter der Kabine aufzuwallen und sich durch das Gitter zu ergießen.
Als sie zum westlichen Flur eilten, sagte Sparkle: »Fühlst du es? Überall um uns herum?«
»Klar«, bestätigte Twyla.
»Es will uns töten.«
»Warum zum Teufel tut es das dann nicht?«
»Vielleicht weil die Vorfreude süß ist.«
»Belohnungsaufschub? Bist du damit jemals bei einem Typen durchgekommen?«
»Das ist kein Typ. Es ist ein … irgendein verdammtes Ding.«
Sie bogen um die Ecke in den westlichen Flur und Twylas Stimme wurde von Sorge und Frustration verzerrt, als sie rief: »Winny? Wo bist du, Winny?«
Es schien keinen Grund mehr für Verstohlenheit zu geben. Derjenige, der in diesem Pendleton herumspukte, schien in jedem einzelnen Moment genau zu wissen, wo sie waren, und seine Anwesenheit war hier genauso greifbar wie in der Partyküche.
Sparkle rief nach Iris, obwohl sich Iris sogar unter normalen Umtänden meistens zu beklommen fühlte, um ihr zu antworten.
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