Vernon Klick
Im Wachraum teilte Vernon Klick seine Aufmerksamkeit nur zwischen zwei der sechs Plasmabildschirme. Einer zeigte ein Vollbild des kurzen Flurs nach Norden im Westflügel des zweiten Stockwerks draußen vor dem nördlichen Aufzug, der andere eine Aufnahme des nördlichen Flurs im selben Stockwerk.
Er hatte beobachtet, wie Logan Spangler, der senile Bulle, vor der Wohnung des beknackten Senators auf die Klingel drückte, er hatte gesehen, wie er jemanden anrief, wahrscheinlich Tom Tran, diesen Arschkriecher von einem Hausmeister, der sich kleidete wie der Ehrengast auf einer Tagung von Computerfreaks, und dann hatte er beobachtet, wie er die Wohnung mit einem Hauptschlüssel öffnete und eintrat. Seitdem wartete Vernon darauf, dass Spangler aus der 3-D herauskam, wo er dem alten Suffkopf Blandon wahrscheinlich neunzig Jahre alten Scotch raubte, den er mit einem Strohhalm aus der Flasche sog.
Vernon Klick war kein geduldiger Mann. Er war dreißig Jahre alt und auf dem Weg nach oben, und jeder, der seinen Aufstieg zu Ruhm und Reichtümern auch nur fünf Minuten verzögerte, hatte sich einen Platz auf der Liste seiner Feinde verdient. Die Liste war lang, zwölf Seiten auf einem linierten A4-Block. Der Tag würde kommen, an dem er die Mittel hatte, jede dieser Personen auf die eine oder andere Weise fertigzumachen, und zwar jeweils so, dass diejenigen genau wussten, wer ihnen etwas heimgezahlt hatte.
Wären die gegenwärtigen Machtverhältnisse und die von ihnen profitierenden zahlreichen verabscheuungswürdigen Speichellecker nicht gewesen, dann wäre Vernon bereits an der Spitze angelangt. Aber Typen wie er hatten schlechte Karten. Er musste dreimal so hart arbeiten wie die, denen die Trümpfe nur so zuflogen, und zehnmal so schlau sein, um den Erfolg zu erringen, den er verdiente. Sogar um dahin zu gelangen, wo er jetzt war, hatte er zahllose Hindernisse aus dem Weg räumen müssen, die ihm die Juden in den Weg gestellt hatten, die Wall-Street-Banker, die ebenfalls Juden waren, die Ölkonzerne, die Republikaner, sämtliche New Yorker Verleger, die sich miteinander verschworen hatten, um außerordentlich talentierte Leute, die die Wahrheit sagten, daran zu hindern, auf dem Markt Fuß zu fassen, die ränkeschmiedenden Armenier, der Staat Israel – der, welch Wunder, von Juden regiert wurde – und nicht zuletzt zwei dumme Vertrauenslehrer an der Highschool, die es wirklich verdient hatten, lebendig an wilde Hunde verfüttert zu werden, sogar noch dreizehn Jahre nach ihrem Verrat.
Vernon stand so dicht davor, sich seinen lang gehegten Traum zu erfüllen, dass der heutige Abend der vorletzte sein würde, den er als Wachmann im Pendleton verbrachte, dieser Kloake der Habgier und der Privilegien, unter all diesen pampigen Weibern und selbstgefälligen Mistkerlen, ganz zu schweigen von alten Hexen wie den Cupp-Schwestern und alten Spinnern wie Silas Kinsley, der der Gesellschaft schon seit Jahren nichts mehr zu bieten hatte und doch weiterhin ihre Mittel verschlang, statt allen einen Gefallen zu tun und abzukratzen. Es gab nur noch zwei Wohnungen, die Vernon erkunden und fotografieren musste, und deren Bewohner hielten sich während des kommenden Wochenendes nicht in der Stadt auf.
Monatelang hatte Vernon erst die Nachschicht geschoben und dann die Abendschicht übernommen, und er benutzte den Universalschlüssel des Sicherheitsteams, um nach Belieben überall in dem Gebäude ein- und auszugehen. In seiner dicken Aktentasche befanden sich eine Kamera und ein zusätzlicher Memorystick, ein Laptop und ein kleines Aufnahmegerät, auf das er Notizen diktieren konnte, während er seine Erkundungen vornahm und Beweise zusammentrug.
Gegen Ende seiner acht Stunden hackte er sich immer in die Videoarchive der Sicherheitskameras und löschte die Teile der Aufzeichnungen, die zeigten, wie er durch Treppenflure lief und Wohnungen betrat, deren Besitzer außer Haus waren, wenn er im Wachraum im Keller Dienst hatte. Niemand merkte, dass er die Aufnahmen bearbeitete, weil sich keiner die langweiligen Videos ansah, es sei denn, es war während der jeweiligen Schicht zu einem Zwischenfall gekommen – einem medizinischen Notfall, einem falschen Feueralarm. Außerdem war Logan Spangler ein alter Knacker, der sich mit Computern weniger gut auskannte als der Dalai Lama mit der Großwildjagd; der alte Sack nahm an, die Videoarchive seien immun dagegen, dass sich jemand an ihnen zu schaffen machte, und das nur, weil sie auf Sicherheit konzipiert waren. Auf jemanden, der so brillant und geschickt war wie Vernon Klick und noch dazu zu Höherem berufen, war Logan, der alte Bulle, nicht gefasst.
Aber solange Spangler nicht aufhörte, in der Wohnung des bescheuerten Senators Scotch zu nuckeln, mit dem kostbaren Universalschlüssel zurückkehrte, ihn in die Schublade legte, in der er immer aufbewahrt wurde, und nach Hause ging, zu seiner verhutzelten Hexe von einer Ehefrau und seiner von Flöhen geplagten Katze, konnte Vernon sein geheimes Werk nicht abschließen. Er starrte unverwandt den Plasmabildschirm an, behielt den nördlichen Hausflur im Auge und wartete darauf, dass Spangler die 3-D verließ. Er murmelte: »Jetzt mach schon, komm raus, du blödes altes Arschloch.«
Am anderen Ende des Hausflurs kam Mickey Dime aus der 3-F und schloss die Tür hinter sich. Er ging auf die Kamera zu, an der Wohnung des räuberischen Senators vorbei, bog um die Ecke und stieg in den nördlichen Aufzug.
Vernon hatte keinerlei Interesse an Dime. Vor ein paar Wochen hatte er die Wohnung des Mannes inspiziert und nichts von Interesse gefunden. Dime schwelgte nicht in haarsträubendem Luxus; er gönnte sich nur ein riesiges Badezimmer mit einem illegalen Hochdruckduschkopf, der enorme Wassermengen vergeudete, und eine Sauna, die gleichermaßen unnötige Mengen von der Stromzufuhr der Stadt abzweigte. Seine Einrichtung war modern und wies klare Linien auf; wahrscheinlich waren die Möbel teuer, aber nicht schandbar kostspielig. An den Wänden hingen große hässliche Gemälde, aber sie waren auf eine Art und Weise hässlich, die sie liebenswert machte, denn wenn man sie ansah, sagte man sich: Ja, so ist das Leben. Und nachdem er die Künstler im Internet nachgeschaut hatte, fand Vernon, sie verlangten keine horrenden Preise für ihre Werke. Dime verprasste keine Unsummen, für die die Gesellschaft eine bessere Verwendung gehabt hätte; tatsächlich hatten sich zwei der Künstler schon vor Jahren umgebracht, vielleicht weil sie zu wenige von ihren Gemälden verkauften. Es gab einen Safe, in den Vernon nicht reinkam, aber in Anbetracht dessen, was er im Rest der Wohnung vorgefunden hatte, enthielt er wahrscheinlich keine Peinlichkeiten.
Dime hatte eine kleine Sammlung raffinierter Schlüpfer und andere Dessous, die er in einer schwarzen Ledertasche auf einem hohen Regalbrett in seinem Ankleidezimmer aufbewahrte. Aber es gab keine Fotos von ihm, auf denen er die Wäsche trug, und keinen Grund zu der Annahme, dass er besonders ungewöhnliche Dinge damit tat. Zweifellos roch er gern daran und schmiegte sie an sein Gesicht, wie es auch Vernon mit seiner eigenen, wesentlich größeren Sammlung tat, aber das war kein anomales Benehmen und reichte nicht einmal annähernd an die Form von Skandalen heran, die er für das Buch gebrauchen konnte, das er schrieb, und für die dazugehörige Website. Wahrscheinlich hatten die meisten Männer solche Sammlungen, was erklärte, warum Lingerie immer ein einträgliches Geschäft war, sogar in den schlimmsten Zeiten, denn Damenwäsche wurde von beiden Geschlechtern gekauft.
Wo zum Teufel blieb Logan Spangler? Was tat er bloß so lange in der Wohnung dieses schwachköpfigen Senators? Sammelte der Schnüffler, dieser alte Sack, etwa Informationen für seinen eigenen Bestseller und eine Website voller Sensationen und Skandale?
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