Mickey Dime

Als er mit dem zerknüllten feuchten Reinigungstuch vor seinen Füßen in seiner schon seit langer Zeit leer stehenden Wohnung stand, beschloss Mickey Dime, dass ein Eingeständnis seines Wahnsinns etwas für sich hatte. Zuerst einmal würde, falls er das als seinen Zustand akzeptierte, eine Menge Stress von ihm abfallen. Ein Wahnsinniger trug keine Verantwortung für seine Taten und konnte daher nicht bestraft werden. Er setzte beträchtliches Vertrauen in seine Fähigkeit, sich seinen Lebensunterhalt als Mörder zu verdienen und dennoch einer Verhaftung und strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Trotzdem wachte er in manchen Nächten schweißgebadet auf und war sich sicher, dass er jemanden an die Tür hämmern und Polizei rufen gehört hatte. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, musste er zugeben, dass er sich seiner Annahme, ihm würde das Gefängnis erspart bleiben, nicht hundertprozentig sicher war.

Er hatte es nie geschafft, seine Furcht vor dem Gefängnis vollständig zu unterdrücken, eine Furcht, die darauf zurückging, dass seine Mutter ihn vierundzwanzig Stunden lang ohne Licht, ohne Essen, ohne Wasser und nur mit einem Einmachglas als Toilette in einen Kleiderschrank gesperrt hatte. Diese Strafe war mehr als einmal verhängt worden, tatsächlich sogar ziemlich oft, und er wusste nicht, was ihm am meisten zugesetzt hatte: die Klaustrophobie oder der Mangel an den meisten sinnlichen Reizen oder die zwei oder drei Male, als er nicht einmal ein Einmachglas bekommen hatte. Wenn man verrückt war, schickten sie einen nichts ins Gefängnis; insbesondere dann, wenn man Geld hatte, mochten sie einem vielleicht sogar erlauben, sich in ein privates Sanatorium einweisen zu lassen, wo die Wächter höflich waren und man keinen Zellengenossen von zweieinhalb Zentnern hatte, der einen vergewaltigen wollte.

Mickey warf seiner Mutter die Auszeiten im Kleiderschrank nicht vor. Er hatte Dummheiten angestellt oder etwas Dummes gesagt und seine Mutter konnte so ziemlich alles außer Dummheit ertragen. Er war nicht so klug wie sie und sie tat das Beste, was sie für ihn tun konnte. Wenn Mickey wahnsinnig war, spielte Dummheit keine Rolle mehr; sie wäre dann lediglich eine Begleiterscheinung. Wahnsinn stach Dummheit aus. Und wenn er wahnsinnig war, brauchte er sich wegen seiner Unzulänglichkeiten nicht schuldbewusst zu fühlen. Wenn man dumm geboren wurde, dann war man es von Anfang an. Aber wenn man wahnsinnig wurde, dann war das eine Tragödie, die einem unterwegs zustieß, und definitiv kein Mangel des ursprünglichen Charakters. Deshalb hieß es ja auch, man würde in den Wahnsinn getrieben, denn das war etwas, was einem angetan wurde.

Außerdem würde er, wenn er wahnsinnig war, von der Verpflichtung entbunden sein, jemals wieder über etwas nachdenken oder etwas verstehen zu müssen. All seine Probleme würden die Probleme anderer Leute sein. Die derzeitige Situation hinsichtlich des Pendleton und der verrückten Welt draußen würde zur Sorge von jemand anderem werden. Mickey würde nicht mehr darüber nachdenken müssen, was eine immense Erleichterung darstellen würde, denn er wusste noch nicht einmal, wie man darüber nachdachte.

Nachdem er jetzt beschlossen hatte, den Wahnsinn mit offenen Armen willkommen zu heißen, wurde ihm klar, dass er wahrscheinlich schon lange vor den jüngsten Ereignissen wahnsinnig gewesen war. Viele Dinge, die er getan hatte, erschienen ihm plötzlich einleuchtender, wenn er schon seit Jahren wahnsinnig war. Komisch, wie ein Eingeständnis seines Wahnsinns bewirken konnte, dass er gleich viel mehr als jemals zuvor mit sich und der Welt im Reinen war. Er hatte das Gefühl, seine Mitte endlich gefunden zu haben und regelrecht in sich zu ruhen.

Okay. Als Erstes würde er in den ersten Stock hinuntergehen und Dr. Kirby Ignis töten und dann würde er sich den Behörden stellen. Er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, warum er Ignis umbringen musste, aber er wusste, dass er die Absicht gehabt hatte, es zu tun, und es schien ihm das Beste zu sein, sämtliche unerledigten Angelegenheiten zu einem Abschluss zu bringen, ehe er sein sorgenfreies neues Leben als Patient in einem Sanatorium begann.

Er verließ seine Wohnung.

Er ging in dem langen Hausflur nach Westen zur nördlichen Treppe.

Er stieg in den ersten Stock hinunter.

Er lief durch den langen Hausflur nach Osten zum Apartment 2-F.

Er klopfte nicht an. Wahnsinnige brauchten nicht anzuklopfen.

Mickey betrat die Wohnung von Dr. Kirby Ignis und wusste bereits zwei Schritte nach dem Überqueren der Schwelle, dass sein Entschluss, den Wahnsinn mit offenen Armen zu begrüßen, eine weise Entscheidung gewesen war, denn er wurde jetzt schon reichlich dafür belohnt, dass er ein neues Kapitel aufgeschlagen hatte.

* * *

Nachthaus
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