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Und nun war es Sonntag geworden, nach einer ersten arbeitsreichen Woche Sonntagnachmittag, und auf dem so frisch gereinigten, spiegelnden Büro saßen Herr von Studmann und der junge Pagel und rauchten. Herr von Studmann rauchte eine schöne, sanfte Havanna mit Sumatradeckblatt aus der Fest- und Feiertagskiste des Rittmeisters, denn sie waren beide »drüben« zum Essen geladen gewesen; der junge Pagel aber rauchte schon wieder von seinen eigenen Zigaretten.

Ja, die beiden Herren waren, vielbeachtet von den Neuloher Gutsleuten, in der Villa zum Mittagessen gewesen, nachdem sie vorher schon zweimal dort zu Abend gegessen hatten. Dies war noch nie bei Beamten vorgekommen und gab den Gerüchten über die ungewöhnliche Sendung der beiden Berliner neue Nahrung. Und der ältere von den beiden Herren, der mit dem etwas eiförmigen Kopf und den braunen Augen, hatte ja sogar bis zu dem nächtlichen Verschwinden des kleinen Meier in der Villa gewohnt! Dann freilich war er sofort ins Beamtenhaus gezogen – allerdings gegen den Willen des Rittmeisters, der ihn, wie man von der Köchin Armgard erfuhr, förmlich gebeten hatte, drüben zu bleiben. Aber nein, der Herr hatte gesagt: »Verzeih, Prackwitz, wo meine Arbeit ist, da will ich auch wohnen. Du siehst mich ja, sooft du nur willst!« (Sie nannten sich du!) Und nun wohnte der junge Herr, der Herr Pagel, im Inspektorenzimmer, der ältere Herr aber in dem Giebelzimmer – und was sie hier für eine Arbeit hatten, das würde man auch noch herausbekommen – von der Landwirtschaft verstanden sie nichts, soviel war sicher!

Von Studmann sitzt also rauchend am Schreibtisch und blättert in den Deputatlisten. Er tut es aber nur oberflächlich, denn einmal ist es warm, und dann war das Mittagessen ausgezeichnet. Man ißt hier, wo man so ausgiebig an die frische Luft geht, viel zuviel. Studmann klappt also seine Kornabrechnungen energisch zu und sagt zu Pagel, der am Fenster sitzt und mit halbgeschlossenen Augen in den sonnenflimmernden geheimrätlichen Park blinzelt: »Nun, was machen wir also? Hauen wir uns ein bißchen auf unsere Falle? Gott, bin ich müde!«

Pagel muß ebenso müde sein, denn er macht nicht einmal den Mund auf. Aber er deutet gegen die Decke, von der, umsummt und umsurrt von Fliegen, ein Fliegenfänger hängt.

Studmann folgt mit den Augen dem weisenden Finger, er sieht einen Augenblick nachdenklich dem freudigen Sommertanz dieser Plagegeister zu und sagt dann: »Sie haben recht, die Biester würden uns nicht einen Augenblick schlafen lassen. Aber was dann?«

»Ich bin noch gar nicht richtig im Walde gewesen«, sagt Pagel. »Wenn wir uns den einmal ansähen? Es sollen da auch Teiche sein, Krebsteiche, eiskalt. Wir könnten unsere Badeanzüge mitnehmen.«

»Großartig!« stimmt Herr von Studmann zu, und fünf Minuten später treten die beiden mit ihren Badepäckchen aus dem Beamtenhaus.

Der erste, den sie treffen, ist der alte Herr, der Geheimrat Horst-Heinz von Teschow. Er stapft einher in grünem Loden, den Eichenstock in der Hand, der listige Greis, und als sie, die ihm nur kurz vorgestellt sind, mit flüchtigem Gruß vorüber wollen, ruft er sie an: »Aber das ist ja großartig, meine Herren, daß ich Sie mal treffe! Ich überlege, ich denk nach, ich grübele: Sind die Herren schon wieder abgefahren? Haben sie genug vom Lande und der Landwirtschaft? Ich sehe sie doch seit Tagen nicht mehr –!«

Wie es sich gehört, lächeln die beiden zu diesen geheimrätlichen Scherzen, Herr von Studmann recht kühl, aber Pagel ehrlich vergnügt über diesen ländlichen Rauschebart, rot wie ein neu angemalter Nußknacker.

»Und nun wollen die Herren also einen kleinen Sonntagnachmittagsbummel machen, zur Erfrischung? Die Dorfschönheiten gehen dort lang, junger Mann – Herrn von Tutmann wage ich nicht darauf aufmerksam zu machen …«

»Studmann«, verbesserte der ehemalige Oberleutnant.

»Ja, natürlich, entschuldigen Sie bloß, Verehrtester, ich weiß natürlich. Ist mir nur so rausgerutscht, weil die Leute hier alle so von Ihnen sagen. ›Tut du man‹, sagte gestern noch einer von den Kutschern, den Sie wohl wegen seiner Fahrerei angehaucht hatten. ›Hier haben schon viele getutet.‹«

»Gestern«, sagte Herr von Studmann.

»Wieso gestern? Oder war es nicht gestern? Natürlich war es gestern – mein Köpfchen ist noch in Ordnung, Herr von Studmann.«

»Weil Herr Geheimrat doch schon seit Tagen grübeln, ob wir nicht schon wieder weg sind«, sagt Studmann und nimmt mit einem Lächeln seiner Bemerkung etwas von ihrer Schärfe.

Pagel platzt raus.

Der alte Herr steht einen Augenblick verblüfft, dann lacht auch er. Lachend haut er Pagel auf die Schulter, und da er kräftig hauen kann, tut er es auch. Pagel ist in der Versuchung, zurückzuhauen, aber er kennt den fröhlichen Alten noch nicht so gut und läßt es lieber.

»Großartig!« schreit der Geheimrat, »da hat er mich drangekriegt! Schlau, der Herr von Studmann, kein Nachtwächter mit ’ner Tute!« Unvermittelt wird er ernst, und dies plötzliche Ernstwerden überzeugt Studmann, daß dies alles nur ein Theater ist, ihnen beiden aus irgendwelchen vorläufig noch unerklärlichen Gründen vorgespielt. Ich fange dich noch öfter, denkt Studmann kampflustig.

»Hätten die Herren wohl einen Augenblick Zeit?« fragt der alte Herr. »Ich hab da einen Brief für meinen Schwiegersohn liegen, schon seit ein paar Tagen; bin nicht dazu gekommen, ihn rüberzuschicken; war immer so viel los die letzten Tage … Wenn Sie ihn im Vorbeigehen in der Villa abgeben wollten –?«

»Ich kann ja …«, fängt Pagel, den Herr von Teschow hauptsächlich angesehen hat, an.

Aber Studmann unterbricht ihn: »Gewiß, Herr Geheimrat. Wir werden dem Diener in der Villa Bescheid sagen, daß er ihn abholt.«

»Ausgezeichnet! Prächtig!« ruft der Neuloher Herr, aber sein Ton hat jetzt nichts mehr von Bonhomie. »Übrigens fällt mir ein, mein alter Elias kann sich ruhig einmal die Beine vertreten. Ich schicke ihn …«

Er nickt den beiden Herren zu und stampft weiter, durch die Büsche dem Schloß zu.

»Donnerwetter, Studmann«, sagt Pagel, ein wenig atemlos. »Mit dem haben Sie es aber verschüttet! Warum so kiebig zu dem fröhlichen Greis –?«

»Ich gebe Ihnen einmal den Pachtvertrag zu lesen«, sagt Herr von Studmann und fährt mit der Hand über die schwitzende Stirn, »den dieser fröhliche Greis seinen Schwiegersohn hat unterschreiben lassen. Nur ein geschäftlich völlig ahnungsloses Kind wie der Rittmeister hat unter so was seinen Namen setzen können. Das grenzt an den Schandvertrag von Versailles! Auf Leben und Sterben ausgeliefert!«

»Aber er macht doch einen ganz biederen Eindruck, der fröhliche Alte!«

»Trauen Sie ihm nicht! Erzählen Sie ihm nie etwas! Tun Sie nichts von dem, was er Ihnen sagt! Wir sind Beamte des Rittmeisters – der Alte geht uns nichts an.«

»Ach, Studmann, Sie sind ja ein Pessimist – ich bin überzeugt, der Alte ist ein ganz fröhlicher Nußknacker.«

»Und ich bin überzeugt, daß es sogar mit dem Brief, den wir abgeben sollten, seine eigene Bewandtnis hat. Nun, wir werden ja sehen. Also gehen wir.«

Sie gingen.

Unterdes stand der alte Herr in seinem Arbeitszimmer im Schloß und drehte an der Kurbel des Telefons, als drehe er die Kurbel einer Kaffeemühle. Er rief den Nebenanschluß Försterei. Schließlich hörte er die quakige Stimme des Försters, der sich meldete.

»Sitzen Sie auf Ihren Ohren, Kniebusch?! Sie können wohl nur noch schlafen? Na, warten Sie man, ich werde schon dafür sorgen, daß Sie ruhen können, Kniebusch – aber ohne Ruhegeld von mir! – Hören Sie überhaupt, Kniebusch?«

»Jawohl, Herr Geheimrat!«

»Na also, Jott sei’s jetrommelt und jepfiffen, Sie hören noch. Dann hören Sie jetzt mal zu! Ich habe hier eben die beiden frisch importierten Berliner Tagediebe von meinem Herrn Schwiegersohn auf dem Hof herumlungern sehen, mit Badeanzug unterm Arm. Die wollen sicher in unsere Forst, in den Krebsteichen baden. Machen Sie sich sofort auf Ihre Sohlen und pirschen sich sachte an, und wenn die Herren im Wasser sind, aber nicht eher, machen Sie ihnen begreiflich, daß das meine Krebsteiche sind und daß sie einen Dreck darin zu baden haben! Meinethalben beschlagnahmen Sie die Kleider, das gibt ein Gelächter; ich vertret das, Kniebusch, ich schütze Sie …«

»Aber, Herr Geheimrat, ich kann doch nicht … Der eine Herr ist Oberleutnant und duzt sich mit dem Herrn Rittmeister …«

»Na, wat denn, Kniebusch, wat denn?! Was hat denn das damit zu tun, daß er in meinen Krebsteichen badet? Ich sage Ihnen, machen Sie das ordentlich, und von sich aus – unterstehen Sie sich nicht zu sagen, daß ich Sie geschickt habe! Sonst erleben Sie was – nee, sonst erleben Sie gar nichts mehr …«

»Jawohl, Herr Geheimrat …«

»Und noch was, Kniebusch! He, Mensch, was haben Sie es so eilig? Wenn Ihr Chef mit Ihnen redet, dann warten Sie ab, bis Sie entlassen sind, aber Sie können es wohl gar nicht abwarten mit Ihrer Entlassung. Hören Sie, was ich sage, Kniebusch –?«

»Jawohl, Herr Geheimrat …«

»Also gestern hat der Untersuchungsrichter aus Frankfurt angerufen – der Bäumer hat über vierzig Fieber und liegt noch immer besinnungslos. Und es wäre eine Folge von Ihrer rohen Behandlung …«

»Aber ich konnte doch nicht, Herr Geheimrat …«

»Natürlich konnten Sie, Mensch! Sie hätten laufen müssen, Umschlag machen, Arzt holen, Krankenschwester, meinethalben noch die Hebamme Müllern – so ’n armer Mensch, ist ja bloß ein armer guter Wilderer, wenn der auf Sie schießt, ist es doch nur, weil Sie schlechter Mensch ihm keinen Rehbraten gönnen – nicht wahr? Das kann doch so ’n Untersuchungsrichter ihm nicht übelnehmen, was, ist doch nur ein armer Mitmensch, was?«

»Ach, Herr Geheimrat, was soll ich denn bloß tun –?«

»Gar nichts soll’n Se tun. Aber ich halt Sie, Kniebusch, ich habe dem Genossen Untersuchungsrichter schon meine Meinung gegeigt. Aber nun machen Sie mir diese Sache auch ordentlich! Murr, Kniebusch, ruckzuck, Baden verboten, Pfändung der Kleider üblich …«

Der Geheimrat hängte ab und grinste. Er holte sich eine Zigarre und schenkte sich einen Kognak ein. Nach getaner Arbeit setzte er sich in seinen Ohrensessel zu einem Nickerchen.

Warum der Schulze Haase bloß so ungünstig über Kniebusch ans Gericht geschrieben hat? schoß es ihm durch den Kopf. Das paßt mir nicht. Dem will ich auch noch zeigen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Der hat zu berichten, wie ich will. Aber da stinkt was – und was da stinkt, das bekomme ich auch noch raus, und wenn’s einen ganzen Tag dauern soll!

Wolf unter Wölfen
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